Hanswurst: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
Wechseln zu: Navigation, Suche
Zeile 1: Zeile 1:
 
'''Hanswurst, Hans Wurst'''.   
 
'''Hanswurst, Hans Wurst'''.   
Führende #Komische Person# (Buffo) des deutschsprachigen Theaters im 18.Jh., davon abgleitet der komische Spielmacher in vielen ländlichen #Umlaufbräuchen# seit dem 18. Jh.
+
Führende „Komische Person# (Buffo) des deutschsprachigen Theaters im 18.Jh., davon abgleitet der komische Spielmacher in vielen ländlichen „Umlaufbräuchen“ seit dem 18. Jh.
 
    
 
    
1) H.-Figuren scheinen bereits 1519 in Sebastian Brants Narrenschiff auf bzw. in Predigten von Martin Luther 1541. Einflüsse des dt. #Pickelhering# und ital. #Zanni# und weiterer komischer Figuren der #Commedia dell’arte#, u.a. des Arlecchino«, #Pulcinella#. Zw. 1705 und 1712 schuf →J.A. Stranitzky am von ihm geleiteten Wiener Kärtnertortheater den Wiener H., der derb-komisch in Stehgreif- und Marionetten-Komödien die höfische Welt karikierte. Dieser Figur soll die Tracht der Lungauer Sauschneider (Vieh-Kastrierer) zugrunde liegen.  
+
1) H.-Figuren scheinen bereits 1519 in Sebastian Brants Narrenschiff auf bzw. in Predigten von Martin Luther 1541. Einflüsse des dt. „Pickelhering“ und ital. „Zanni“ und weiterer komischer Figuren der „Commedia dell’arte“, u.a. des „Arlecchino“, „Pulcinella“. Zw. 1705 und 1712 schuf →J.A. Stranitzky am von ihm geleiteten Wiener Kärtnertortheater den Wiener H., der derb-komisch in Stehgreif- und Marionetten-Komödien die höfische Welt karikierte. Dieser Figur soll die Tracht der Lungauer Sauschneider (Vieh-Kastrierer) zugrunde liegen.  
Die Lungauer #Viehschneider# waren als Wandergewerbetreibende zwischen Sachsen, Pfalz, Bayern, Böhmen, Mähren, den habsburgischen Erblanden, Ungarn bis nach Kroatien u.a. unterwegs; bekannt für ihren bauernschlauen Humor. Sie wurden unter Kaiser Leopold I. 1699 für ehrenwert und zunftfähig erklärt; sie bildeten nie eine Zunft, legten aber feste Regeln der Ausbildung fest. Nachweisbar bis ins späte Mittelalter, Blütezeit im 18. Jh., Niedergang nach dem 1. Weltkrieg.  
+
Die Lungauer „Viehschneider“ waren als Wandergewerbetreibende zwischen Sachsen, Pfalz, Bayern, Böhmen, Mähren, den habsburgischen Erblanden, Ungarn bis nach Kroatien u.a. unterwegs; bekannt für ihren bauernschlauen Humor. Sie wurden unter Kaiser Leopold I. 1699 für ehrenwert und zunftfähig erklärt; sie bildeten nie eine Zunft, legten aber feste Regeln der Ausbildung fest. Nachweisbar bis ins späte Mittelalter, Blütezeit im 18. Jh., Niedergang nach dem 1. Weltkrieg.  
 
Ab 1730 führte Stranitzkys Nachfolger G. Prehäuser die Figur weiter, als Teil von burlesken Komödien. Bald wurden dem H. auch Komödienarien bzw. Intermezzi musicali gestattet. Abwanderung der Volkskomödien ins Vorstadttheater; H.-Figuren noch im 19. Jh. bei Johann Nestroy u.a.
 
Ab 1730 führte Stranitzkys Nachfolger G. Prehäuser die Figur weiter, als Teil von burlesken Komödien. Bald wurden dem H. auch Komödienarien bzw. Intermezzi musicali gestattet. Abwanderung der Volkskomödien ins Vorstadttheater; H.-Figuren noch im 19. Jh. bei Johann Nestroy u.a.
 
1752 Zensurerlass Maria Theresias beendet den Hanswurst-Streit in Wien (angezettelt von Johann Chr. Gottsched), verbietet das Extemporieren und das Stehgreiftheater, das dem Weiterleben der Figur jedoch keinen Abbruch tat.  
 
1752 Zensurerlass Maria Theresias beendet den Hanswurst-Streit in Wien (angezettelt von Johann Chr. Gottsched), verbietet das Extemporieren und das Stehgreiftheater, das dem Weiterleben der Figur jedoch keinen Abbruch tat.  
Zeile 11: Zeile 11:
 
2) Der H. wurde zur Symbolfigur des 1976/77 wieder errichteten Rupertikirtages. →Märkte, und in der Folge anderer Salzburger Feste. Eigenwillige Ausdeutungen im Sinne der →Brauchtumspflege als angeblich alte Kult- und Fruchtbarkeitsfigur.
 
2) Der H. wurde zur Symbolfigur des 1976/77 wieder errichteten Rupertikirtages. →Märkte, und in der Folge anderer Salzburger Feste. Eigenwillige Ausdeutungen im Sinne der →Brauchtumspflege als angeblich alte Kult- und Fruchtbarkeitsfigur.
  
3) Über den Fernhandel wurde der H. auch in ländlichen Umlaufbräuchen im Umkreis historischer Saumwege über die Alpen ab dem 18. Jh. rezipiert. Dort ist er einer der fröhlichen Vorläufer, Spiel- und Spaßmacher, für eindeutig-zweideutige Späße mit dem Publikum zuständig; u.a. der Pongauer Schön-→Perchten, der Pinzgauer →Trestererumzüge u.a. Er trägt meist die hohe Spitzkappe oder lange Zipfelmütze der Faschingsläufer sowie eine #Schlagwurst# (Pritsche). Sein Gewand kann am italienischen Rautenkostüm (Unken) oder am einstigen weißen Arbeitsgewand orientiert sein.  
+
3) Über den Fernhandel wurde der H. auch in ländlichen Umlaufbräuchen im Umkreis historischer Saumwege über die Alpen ab dem 18. Jh. rezipiert. Dort ist er einer der fröhlichen Vorläufer, Spiel- und Spaßmacher, für eindeutig-zweideutige Späße mit dem Publikum zuständig; u.a. der Pongauer Schön-→Perchten, der Pinzgauer →Trestererumzüge u.a. Er trägt meist die hohe Spitzkappe oder lange Zipfelmütze der Faschingsläufer sowie eine „Schlagwurst“ (Pritsche). Sein Gewand kann am italienischen Rautenkostüm (Unken) oder am einstigen weißen Arbeitsgewand orientiert sein.  
  
 
Lit.:
 
Lit.:

Version vom 2. Oktober 2018, 12:42 Uhr

Hanswurst, Hans Wurst. Führende „Komische Person# (Buffo) des deutschsprachigen Theaters im 18.Jh., davon abgleitet der komische Spielmacher in vielen ländlichen „Umlaufbräuchen“ seit dem 18. Jh.

1) H.-Figuren scheinen bereits 1519 in Sebastian Brants Narrenschiff auf bzw. in Predigten von Martin Luther 1541. Einflüsse des dt. „Pickelhering“ und ital. „Zanni“ und weiterer komischer Figuren der „Commedia dell’arte“, u.a. des „Arlecchino“, „Pulcinella“. Zw. 1705 und 1712 schuf →J.A. Stranitzky am von ihm geleiteten Wiener Kärtnertortheater den Wiener H., der derb-komisch in Stehgreif- und Marionetten-Komödien die höfische Welt karikierte. Dieser Figur soll die Tracht der Lungauer Sauschneider (Vieh-Kastrierer) zugrunde liegen. Die Lungauer „Viehschneider“ waren als Wandergewerbetreibende zwischen Sachsen, Pfalz, Bayern, Böhmen, Mähren, den habsburgischen Erblanden, Ungarn bis nach Kroatien u.a. unterwegs; bekannt für ihren bauernschlauen Humor. Sie wurden unter Kaiser Leopold I. 1699 für ehrenwert und zunftfähig erklärt; sie bildeten nie eine Zunft, legten aber feste Regeln der Ausbildung fest. Nachweisbar bis ins späte Mittelalter, Blütezeit im 18. Jh., Niedergang nach dem 1. Weltkrieg. Ab 1730 führte Stranitzkys Nachfolger G. Prehäuser die Figur weiter, als Teil von burlesken Komödien. Bald wurden dem H. auch Komödienarien bzw. Intermezzi musicali gestattet. Abwanderung der Volkskomödien ins Vorstadttheater; H.-Figuren noch im 19. Jh. bei Johann Nestroy u.a. 1752 Zensurerlass Maria Theresias beendet den Hanswurst-Streit in Wien (angezettelt von Johann Chr. Gottsched), verbietet das Extemporieren und das Stehgreiftheater, das dem Weiterleben der Figur jedoch keinen Abbruch tat. Erwähnung 1805 durch F. Graf →Spaur, der 1769 die Darstellung des H. durch den Schauspieler Gottfried Prehauser im Wiener Hoftheater sah: damals bereits kurze rote Joppe, vielfärbiges Wams mit grünem Hosenträger und schwarze Hose (ländliche Trachtenform des frühen 18.Jh.s, u.a. im Lungau, der Steiermark und Kärnten). Auch Schikaneders Papageno (Zauberflöte) soll Einflüsse des H. enthalten. Die Lungauer Hanswurst-Spiele führen diese Theaterfigur in Aufführungen fort.

2) Der H. wurde zur Symbolfigur des 1976/77 wieder errichteten Rupertikirtages. →Märkte, und in der Folge anderer Salzburger Feste. Eigenwillige Ausdeutungen im Sinne der →Brauchtumspflege als angeblich alte Kult- und Fruchtbarkeitsfigur.

3) Über den Fernhandel wurde der H. auch in ländlichen Umlaufbräuchen im Umkreis historischer Saumwege über die Alpen ab dem 18. Jh. rezipiert. Dort ist er einer der fröhlichen Vorläufer, Spiel- und Spaßmacher, für eindeutig-zweideutige Späße mit dem Publikum zuständig; u.a. der Pongauer Schön-→Perchten, der Pinzgauer →Trestererumzüge u.a. Er trägt meist die hohe Spitzkappe oder lange Zipfelmütze der Faschingsläufer sowie eine „Schlagwurst“ (Pritsche). Sein Gewand kann am italienischen Rautenkostüm (Unken) oder am einstigen weißen Arbeitsgewand orientiert sein.

Lit.:

  • O.G. Schindler: Hanswurst. In: Österreichisches Musiklexikon online. ÖAW, Zugriff 23.7.2018.
  • U. Kammerhofer-Aggermann: Salzburger #Maschkeraläufe# im 17. und 18. Jh. Alpine Formen des Karnevals an den Fernhandelsrouten. In: G. Ammerer, I. Hannesschläger, T. Hochradner (Hg.): Von Venedig nach Salzburg. Spurenlese eines vielschichtigen Transfers.(= Veröff. d. Forschungsplattform Salzburger Musikgeschichte 3), Salzburg 2015, S. 137–183.
  • O. Binder: #Es gibt ja noch mehr Leute meinesgleichen#. In: Die Zauberflöte. Programmheft Salzburger Landestheater 2000, S. 35f.
  • P. Wirnsperger, W. Gappmayer: Die Sauschneider. Ein altes, ehrsames Gewerbe. Mauerndorf 1989, S.72.
  • F. v. Spaur: Reise durch Oberdeutschland. 2. Bd., Salzburg 1805, S. 98.

U.K.