Wilder Mann: Unterschied zwischen den Versionen

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1) '''Wilder Mann, Wilde Männer''' (und Wildfrauen) existieren in den Sagen vieler Kulturen, teils als Wesen einer noch nicht zivilisierten Natur, teils als menschenähnliche Wesen einer natürlichen Parallelwelt. Diese prüfen die Menschen, sie können hilfreich wie auch schädigend bzw. strafend sein oder die Lebensräume der Menschen vor Bedrohungen schützen. Die Wilden Frauen suchen oft die Gesellschaft der Menschen, verlieren dabei aber, etwa wenn sie sich in einen Mann verlieben, ihre Zauberkräfte.
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'''Wilder Mann, Wilde Männer'''. Brunnenplastik von 1610/1620 am einstigen Fischmarktbrunnen, heute vor dem Salzburger Furtwängler-Garten.
  
2) Zwischen Hochmittelalter und Barock waren Darstellungen des behaarten W.M.es als Schildträger und Wappenhalter von Herrschern (u.a. Prunkwagen von Kaiser Ferdinand III., 1452, Universalmuseum Joanneum, Graz), Städten, Zünften oder Grabsteinen (z.B. Wolf Haunsperg, 1564, Stiftskirche Laufen) sowie als Münzbild (ausgehend vom Aureus des Kaiser Maximinanus I., 286-305) beliebt. Sie gehörten, im Zuge der Rezeption antiker Emblematik und Mythologie, zum allgemeinen Bildungsgut. In der Renaissance fanden diese Figuren als typisierte Allegorien Eingang in die höfischen Fest- und Faschingsaufzüge, etwa in Venedig. Eine der ältesten Nennungen ist der Stabtanz der deutschsprachigen Kaufleute in Venedig, in W.M.-Kostümen, 1517, beim Faschingsball im Dogenpalast. Von dort ausgehend wurden sie weithin rezipiert(u.a. 1616-1618 unter Erzbischof Markus Sittikus). Als Qualitäts- und Markenzeichen erscheint der W.M. mit Wappen und Krone auf der Sorte Notenpapier der Papiermühle in Lengfelden bei Salzburg zwischen 1723 und 1780; darauf wurde u.a. das "Notenbuch für Maria Anna Mozart", 1759, geschrieben. Ein satyrartiger "Forstteufel" steht als Gartenplastik im Hellbrunner Schlosspark, als Zeugnis der Vorliebe des Barock für die Groteske. Im Laufe des 18. Jh.s fanden die Typen und Masken höfischer Faschingsumzüge Eingang in die Umzüge am Lande, darunter auch W.M. in Moos-, Zapfen-, Laub- und Fellkostümen.
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1) Zwischen Hochmittelalter und Barock waren Darstellungen des behaarten Wilden Mannes als Schildträger und Wappenhalter von Herrschern (u.a. Prunkwagen von Kaiser Ferdinand III., 1452, Universalmuseum Joanneum, Graz), Städten, Zünften oder Grabsteinen (z.B. Wolf Haunsperg, 1564, Stiftskirche Laufen) sowie als Münzbild (ausgehend vom Aureus des Kaiser Maximinanus I., 286–305 n.Chr.) beliebt. Sie gehörten, im Zuge der Rezeption antiker Emblematik und Mythologie, zum allgemeinen Bildungsgut. In der Renaissance fanden diese Figuren als typisierte Allegorien Eingang in die höfischen Fest- und Faschingsaufzüge, etwa in Venedig. Zu den ältesten Nennungen gehören Stabtänze der deutschsprachigen Kaufleute in Venedig – unter welchen die Salzburger bedeutend waren – in Wilde-Mann-Kostümen, 1517 und 1525, bei Faschingsbällen im Dogenpalast. Von dort ausgehend wurden sie weithin rezipiert (u.a. 1616–18 in den Faschingsaufzügen von Erzbischof [[Markus Sittikus von Hohenems]]). Als Qualitäts- und Markenzeichen erscheint der Wilde Mann mit Wappen und Krone auf der Sorte Notenpapier der Papiermühle in Lengfelden bei Salzburg zwischen 1723 und 1780; darauf wurde u.a. das Notenbuch für [[Mozart, Maria Anna Walburga Ignatia|Maria Anna Mozart]], 1759, geschrieben. Ein satyrartiger „Forstteufel“ steht als Gartenplastik im Schlosspark [[Hellbrunn, Schloss|Hellbrunn]], als Zeugnis der Vorliebe des Barock für diese Art der Groteske. Im Laufe des 18. Jahrhunderts fanden die Typen und Masken höfischer Faschingsumzüge Eingang in die Umlaufbräuche am Land (vergleiche Gasteiner Schönperchtenlauf [[Perchten]]), darunter auch Wilde Männer in Moos-, Zapfen-, Laub- und Fellkostümen.
  
3) Der W.M.-Brunnen beim Furtwänglerpark in der Stadt Salzburg setzt sich zusammen aus Teilen des Brunnens von 1508-1528, aus einer Säule von 1556 und der Brunnenfigur. Diese Bronzefigur von 1610/1620 zeigt einen von nassem Fell (nicht Schuppen!) bedeckten W.M. mit Blätterschurz, Blätterkranz und Baumdürrling, der das Salzburger Stadtwappen hält. Der W.M. lässt sich mit dem Federriss für ein Fenster der Kleinbasler Zunft von H.Holbein d.J., 1528-1532, vergleichen (Britisch Museum). Der W.M.-Brunnen wurde einst beim Niederleghof am Gries erbaut (Mautstelle für Fernhändler). Von 1661 bis 1937 stand er als „Fischmarktbrunnen“ (daher Brunnensegmente mit Metalldeckeln als Fischkalter) am Gries. Seit der Sachregulierung 1864 ist dort ein Gasthof, (heute Passage bei Griesgasse 17) der seit 1884  „Zum Wilden Mann“ benannt ist. Der Sage nach soll sich der W.M. während des Mittagläutens am Karfreitag (das es bei katholischen Kirchen nicht gibt) einmal um sich selbst drehen.
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2) Der Wilde-Mann-Brunnen beim Furtwängler-Garten in der Stadt Salzburg setzt sich zusammen aus Teilen des Brunnens von 1508–28, aus einer Säule von 1556 und der Brunnenfigur. Diese Bronzefigur von 1610/1620 zeigt einen von nassem Fell (nicht Schuppen!) bedeckten Wilden Mann mit Blätterschurz, Blätterkranz und Baumdürrling, der das Salzburger Stadtwappen hält. Der Wilde-Mann-Brunnen wurde einst beim Niederleghof am Gries erbaut (Mautstelle für Fernhändler). Von 1661 bis 1937 stand er als „Fischmarktbrunnen“ (daher Brunnensegmente mit Metalldeckeln als Fischkalter) am Gries. Seit der Salzachregulierung 1864 ist dort ein Gasthof, der seit 1884 Zum Wilden Mann benannt ist (heute Passage bei Griesgasse 17). Der [[Sagen|Sage]] nach soll sich der Wilde Mann während des Mittagläutens am Karfreitag (das es in der katholischen Liturgie nicht gibt) einmal um sich selbst drehen. Der Salzburger Wilde Mann lässt sich mit dem Federriss für ein Fenster der Kleinbasler Zunft von Hans Holbein d. J., 1528–32, vergleichen (British Museum).
U.Ka.
 
  
Literatur:
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3) Wilde Männer und Wildfrauen existieren in den Sagen vieler Kulturen, teils als Wesen einer noch nicht zivilisierten Natur, teils als menschenähnliche Wesen einer natürlichen Parallelwelt. Diese können den Menschen hilfreich wie auch schädigend sein oder die Lebensräume der Menschen vor Bedrohungen schützen. Die Wilden Frauen suchen oft die Gesellschaft der Menschen, verlieren dabei aber, etwa wenn sie sich in einen Mann verlieben, ihre Zauberkräfte. Vielerorts wurden Wilde-Mann-Wappen an Handelsstraßen ab dem 18. Jahrhundert missverstehend naturmythologisch gedeutet.
- Uomini selvatici. Grafik v. F. Bertelli, 'Mussica usata da mascare in Venettia il Carnevale'. Venedig 1569, Museo Correr. zitiert In: C. Clemens: Il carnevale di Venezia: Storia e attualita. Diplomarbeit 1984, Universität Innsbruck, S. 57.
 
- A. Pontremoli, Integrezione al Codice Cicogna, Volume XXIII, col. 604, 25 febraio 1517. In: A. Pontremoli / P. La Rocca (Ed.): La danza a Venezia nel Rinascimento. NS 2, (=Cultura popolar veneta. Collana di studi e ricerche sulla cultura popolare veneta realizzata su iniziativa della Regione del Veneto).Vicenza: Neri Pozza 1993  S. 254.
 
- W. Rainer: Marcus Sitticus. Was sich in Regierung des hochwürdigsten Fürsten Marx Sittichen Denkwürdiges zugetragen. Nach der Chronik von Johannes Stainhauser. Übersetzung a. d. Lat.: F. Witek, a. d. Ital.: D. Messner, in: MGSLK 29 (2012), S. 243–263: Ablaufordnung von 1618.
 
- W. Mezger: Narrenidee und Fastnachtsbrauch: Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur (Konstanzer Bibliothek 15), Konstanz 1991, S. 214-221.
 
- U. Kammerhofer-Aggermann: Salzburger Karneval unter Erzbischof Markus Sittikus − ein Gesamtkunstwerk. Die Faschingsfeste am Salzburger Hof 1613-1619. In: MGSLK 154/155, 2015, S. 241-277.
 
- E. Neumayr/L. Laubhold: RISM Salzburg, Repertoire International des Sources Musicales from the Dommusikarchiv, the music collection at the Archiv der Erzdiözese Salzburg during two FWF sponsored projects (P20309 and P 23195, leader Ernst Hintermaier). ÖAW Vienna.  http://memoryofpaper.oeaw.ac.at/aes/aes.php?Nummer=23 bzw. http://www.memoryofpaper.eu:8080/BernsteinPortal/appl_start.disp  (Abruf 26.6.2015), Nr. 23, RISM-ID: 659000692.
 
- B. Euler u.a.: Dehio-Handbuch Salzburg (Die Kunstdenkmäler Österreichs) Salzburg 1986, S. 613: Wilder-Mann-Brunnen.
 
- H. Waitzbauer: Zum Wilden Mann. Geschichte eines Salzburger Gasthauses. Eigenverlag der Stieglbrauerei Salzburg 2009, S. 11-19.
 
- E. Major: Hans Holbeins Scheibenriss mit dem Wilden Mann. In: ZS f. schweiz. Archäologie und Kunstgeschichte. Bd 8/2, 1946 , Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-163242, PDF erstellt am: 19.07.2017 durch ETH-Bibliothek Zürich. http://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=zak-003:1946:8::411, S. 116-119.
 
  
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Lit.:
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* U. Kammerhofer-Aggermann: Wilde Männer – vom gotischen Wappenhalter zur Faschingsfigur. In: B. Pöttler, K. Eisch-Angus, J. Verhovsek: Fundstücke europäisch-ethnologischen Forschens. Festschrift f. H. Eberhart. Graz/Münster/New York 2018, S. 303–320.
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* W. Rainer: Marcus Sitticus. Was sich in Regierung des hochwürdigsten Fürsten Marx Sittichen Denkwürdiges zugetragen. Nach der Chronik von Johannes Stainhauser. In: MGSLK 29 (2012), S. 243–263: Ablaufordnung von 1618.
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* H. Waitzbauer: Zum Wilden Mann. Geschichte eines Salzburger Gasthauses. Eigenverlag der Stieglbrauerei Salzburg 2009, S. 11–19.
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* B. Euler u.a.: Dehio-Handbuch Salzburg (Die Kunstdenkmäler Österreichs) Salzburg 1986, S. 613: Wilder-Mann-Brunnen.
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* E. Major: Hans Holbeins Scheibenriss mit dem Wilden Mann. In: ZS f. schweiz. Archäologie und Kunstgeschichte. Bd 8/2, 1946, S. 116–119.
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Aktuelle Version vom 9. Juli 2021, 20:01 Uhr

Wilder Mann 30205.jpg

Wilder Mann, Wilde Männer. Brunnenplastik von 1610/1620 am einstigen Fischmarktbrunnen, heute vor dem Salzburger Furtwängler-Garten.

1) Zwischen Hochmittelalter und Barock waren Darstellungen des behaarten Wilden Mannes als Schildträger und Wappenhalter von Herrschern (u.a. Prunkwagen von Kaiser Ferdinand III., 1452, Universalmuseum Joanneum, Graz), Städten, Zünften oder Grabsteinen (z.B. Wolf Haunsperg, 1564, Stiftskirche Laufen) sowie als Münzbild (ausgehend vom Aureus des Kaiser Maximinanus I., 286–305 n.Chr.) beliebt. Sie gehörten, im Zuge der Rezeption antiker Emblematik und Mythologie, zum allgemeinen Bildungsgut. In der Renaissance fanden diese Figuren als typisierte Allegorien Eingang in die höfischen Fest- und Faschingsaufzüge, etwa in Venedig. Zu den ältesten Nennungen gehören Stabtänze der deutschsprachigen Kaufleute in Venedig – unter welchen die Salzburger bedeutend waren – in Wilde-Mann-Kostümen, 1517 und 1525, bei Faschingsbällen im Dogenpalast. Von dort ausgehend wurden sie weithin rezipiert (u.a. 1616–18 in den Faschingsaufzügen von Erzbischof Markus Sittikus von Hohenems). Als Qualitäts- und Markenzeichen erscheint der Wilde Mann mit Wappen und Krone auf der Sorte Notenpapier der Papiermühle in Lengfelden bei Salzburg zwischen 1723 und 1780; darauf wurde u.a. das Notenbuch für Maria Anna Mozart, 1759, geschrieben. Ein satyrartiger „Forstteufel“ steht als Gartenplastik im Schlosspark Hellbrunn, als Zeugnis der Vorliebe des Barock für diese Art der Groteske. Im Laufe des 18. Jahrhunderts fanden die Typen und Masken höfischer Faschingsumzüge Eingang in die Umlaufbräuche am Land (vergleiche Gasteiner Schönperchtenlauf Perchten), darunter auch Wilde Männer in Moos-, Zapfen-, Laub- und Fellkostümen.

2) Der Wilde-Mann-Brunnen beim Furtwängler-Garten in der Stadt Salzburg setzt sich zusammen aus Teilen des Brunnens von 1508–28, aus einer Säule von 1556 und der Brunnenfigur. Diese Bronzefigur von 1610/1620 zeigt einen von nassem Fell (nicht Schuppen!) bedeckten Wilden Mann mit Blätterschurz, Blätterkranz und Baumdürrling, der das Salzburger Stadtwappen hält. Der Wilde-Mann-Brunnen wurde einst beim Niederleghof am Gries erbaut (Mautstelle für Fernhändler). Von 1661 bis 1937 stand er als „Fischmarktbrunnen“ (daher Brunnensegmente mit Metalldeckeln als Fischkalter) am Gries. Seit der Salzachregulierung 1864 ist dort ein Gasthof, der seit 1884 Zum Wilden Mann benannt ist (heute Passage bei Griesgasse 17). Der Sage nach soll sich der Wilde Mann während des Mittagläutens am Karfreitag (das es in der katholischen Liturgie nicht gibt) einmal um sich selbst drehen. Der Salzburger Wilde Mann lässt sich mit dem Federriss für ein Fenster der Kleinbasler Zunft von Hans Holbein d. J., 1528–32, vergleichen (British Museum).

3) Wilde Männer und Wildfrauen existieren in den Sagen vieler Kulturen, teils als Wesen einer noch nicht zivilisierten Natur, teils als menschenähnliche Wesen einer natürlichen Parallelwelt. Diese können den Menschen hilfreich wie auch schädigend sein oder die Lebensräume der Menschen vor Bedrohungen schützen. Die Wilden Frauen suchen oft die Gesellschaft der Menschen, verlieren dabei aber, etwa wenn sie sich in einen Mann verlieben, ihre Zauberkräfte. Vielerorts wurden Wilde-Mann-Wappen an Handelsstraßen ab dem 18. Jahrhundert missverstehend naturmythologisch gedeutet.

Lit.:

  • U. Kammerhofer-Aggermann: Wilde Männer – vom gotischen Wappenhalter zur Faschingsfigur. In: B. Pöttler, K. Eisch-Angus, J. Verhovsek: Fundstücke europäisch-ethnologischen Forschens. Festschrift f. H. Eberhart. Graz/Münster/New York 2018, S. 303–320.
  • W. Rainer: Marcus Sitticus. Was sich in Regierung des hochwürdigsten Fürsten Marx Sittichen Denkwürdiges zugetragen. Nach der Chronik von Johannes Stainhauser. In: MGSLK 29 (2012), S. 243–263: Ablaufordnung von 1618.
  • H. Waitzbauer: Zum Wilden Mann. Geschichte eines Salzburger Gasthauses. Eigenverlag der Stieglbrauerei Salzburg 2009, S. 11–19.
  • B. Euler u.a.: Dehio-Handbuch Salzburg (Die Kunstdenkmäler Österreichs) Salzburg 1986, S. 613: Wilder-Mann-Brunnen.
  • E. Major: Hans Holbeins Scheibenriss mit dem Wilden Mann. In: ZS f. schweiz. Archäologie und Kunstgeschichte. Bd 8/2, 1946, S. 116–119.

U.K.