Peter Handke: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Handke, Peter''', * Griffen (Kärnten) 6. 12. 1942, Schriftsteller.  
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Peter '''Handke''', * 6. Dezember 1942 in Griffen, Kärnten; Schriftsteller.  
  
Kindheit und Jugend in Kärnten, Jus-Studium in Graz. Mitte der 60er Jahre wurde H. zur literarischen Leitfigur der jungen Generation. Nach Aufenthalten in Deutschland und Paris lebte er von 1979 bis 1987 in Salzburg; seine Tochter besuchte das Akademische Gymnasium. Während dieser Zeit war H. als Schriftsteller und Übersetzer sehr produktiv. In seinen Prosawerken verbinden sich seit jeher die literarische Darstellung konkreter Örtlichkeit mit fiktionaler Topographie; das gilt auch für Salzburg; vielfältige Bezüge also zum Ort, an dem er wohnt: »Ich bin ein Orts-Schriftsteller«, sagt H. »Für mich sind die Orte ja die Räume, die Begrenzungen, die erst die Erlebnisse hervorbringen.« Sein Buch »Die Lehre der Sainte Victoire« schrieb er 1980 in Salzburg. In Analogie zum »Menschheitslehrer « Paul Cézanne erkennt H. sein künstlerisches Prinzip in der »Verwirklichung (›réalisation‹) des reinen schuldlosen Irdischen«, nämlich der schlichten Alltagsdinge. Das Schlusskapitel dieses Buches heißt »Der große Wald«. Von einem Bild des Holländers Jacob van Ruisdael ausgehend, beschreibt H. eine Wanderung vom Mönchsberg in den Morzger Wald, und zwar als die einmalige Erzählung der oftmaligen Wiederholung des gleichen Weges.
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Handke verbrachte seine Kindheit und Jugend in Kärnten und begann ein Jus-Studium an der Universität Graz. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurde Handke mit Sprech- und Theaterstücken wie ''Publikumsbeschimpfung'' (1966) und ''Kaspar'' (1967), Romanen wie ''Die Hornissen'' (1966) und ''Der Hausierer'' (1967) sowie dem Lyrikband ''Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt'' (1969) zur literarischen Leitfigur der jüngeren Generation. Es folgten u.a. die Prosatexte ''Die Angst des Tormanns beim Elfmeter'' (1970), ''Die Stunde der wahren Empfindung'' (1975) und ''Langsame Heimkehr'' (1979), dazu die autobiografische Erzählung ''Wunschloses Unglück'' (1972, ausgelöst vom Suizid der Mutter), die wie das Journal ''Das Gewicht der Welt'' (1977) im Salzburger [[Residenz Verlag]] erschien.
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Nach Aufenthalten in Deutschland und Paris lebte Handke 1979–87 mit seiner Tochter Amina in Salzburg im Haus des befreundeten Ehepaars Gerheid und [[Hans Widrich]] am Mönchsberg. In dieser Zeit war er als Schriftsteller sehr produktiv, außerdem begann er in Salzburg mit der Arbeit als Übersetzer (in vier Sprachen). In seinen Prosawerken verbindet sich seit jeher die literarische Darstellung konkreter Örtlichkeit mit fiktionaler Topografie; das trifft auch auf die Stadt Salzburg und ihre Umgebung zu. Außerdem sind in seinen Texten einige Salzburger Persönlichkeiten in literarisch überformter Gestalt wiederzufinden.
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Das erste in Salzburg entstandene Buch ist ''Die Lehre der Sainte-Victoire'' (1980), in dessen Schlusskapitel mit dem Titel ''Der große Wald'' Handke, von einem Bild Jacob van Ruisdaels ausgehend, eine Wanderung vom Mönchsberg in den Morzger Wald schildert. Die ''Kindergeschichte'' (1981) schrieb Handke im Frühjahr und Sommer 1980 in Salzburg. Es sollte nicht die konkrete Geschichte der Beziehung zwischen dem Vater Handke und seiner Tochter sein, sondern die abstrahierte Geschichte zwischen dem „Erwachsenen“ und dem „Kind“ – und eben deshalb im Leseakt individuell konkretisierbar.
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Handkes dramatisches Gedicht ''Über die Dörfer'' wurde 1982 bei den [[Salzburger Festspiele]]n uraufgeführt. Vorbild war das klassische Drama der griechischen Antike mit seinen langen epischen Wechselreden; Autobiografisches (die Darstellung des Konflikts um ein Erbe) ist ins Familienmodell verarbeitet. Regie führte Wim Wenders, zu dessen Film ''Der Himmel über Berlin'' (1987) Handke das Drehbuch schrieb. Handke befasste sich auch als Übersetzer mit der griechischen Tragödie: Seine Übertragung des Stücks ''Prometheus, gefesselt'' von Aischylos wurde 1986 bei den Festspielen uraufgeführt. 1985 drehte er, nachdem er bereits 1978 den Film ''Die linkshändige Frau'' (nach einem eigenen Text, 1976) inszeniert hatte, den Film ''Das Mal des Todes'' (nach Marguerite Duras, mit seiner damaligen Lebensgefährtin Marie Colbin in der Hauptrolle), zum Teil im Schloss Freisaal.
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Die Handlung der Erzählung ''Der Chinese des Schmerzes'' (1983) ist in und um Salzburg herum angesiedelt; dabei verwandelt Handke die konkret genannten Schauplätze in eine komplexe literarische Zeichenwelt. In ''Nachmittag eines Schriftstellers'' (1987) bildet die vertraute Topografie von Berg, Fluss, Brücke, Stadtrand und Umgebung den Erfahrungsraum für die grundsätzliche Begegnung von Künstler und Welt. Die Reise der kleinen Personengruppe in ''Die Abwesenheit. Ein Märchen'' (1987, unter Handkes Regie verfilmt 1992) beginnt ebenfalls in Salzburg, die Protagonisten stammen von dort.
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In Handkes Roman ''In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus'' (1997) spielen der Schauplatz Taxham sowie die Figur eines Apothekers von Taxham eine zentrale Rolle. Mehrere Prosastücke des Bandes ''Noch einmal für Thukydides'' (1990) beziehen Salzburgs Landschaft mit ein. Im Journal ''Am Felsfenster morgens'' (1998) veröffentlichte Handke seine Notizen und Reflexionen durch fünf Salzburger Jahre (1982–87). Die beiden letztgenannten Texte erschienen erneut im Residenz Verlag; Handkes Salzburger Publikationsgeschichte setzte sich im Verlag [[Jung und Jung Verlag|Jung und Jung]] fort: ''Gestern unterwegs'' (2005), ''Ein Jahr aus der Nacht gesprochen'' (2010), ''Die Geschichte des Dragoljub Milanović'' (2011) sowie ''Vor der Baumschattenwand nachts'' (2016).
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Bei den Salzburger Festspielen folgten weitere Uraufführungen. 2009 inszenierte Jossi Wieler ''Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts'', ein dramatisches „Echo“ (Handke) auf Samuel Becketts ''Das letzte Band''. Eines der wichtigsten Dramen Handkes ist ''Immer noch Sturm'', das im Rahmen der Festspiele 2011 auf der Perner Insel uraufgeführt wurde (Regie: Dimiter Gotscheff; Hauptrolle: Jens Harzer). Es handelt sich um eine weit in die Vergangenheit ausgefaltete theatralische Phantasie über die Familiengeschichte des Autors, verbunden mit einer Auseinandersetzung mit dem Partisanenkampf der Kärntner Slowenen. 2020 fand - ebenfalls als Festspiel-Produktion - im Salzburger Landestheater die Uraufführung des Stücks ''Zdeněk Adamec'' statt.
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Weitere Werke: Prosa: ''Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein Märchen aus den neuen Zeiten'' (1994), ''Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos'' (2002), ''Die Morawische Nacht'' (2008), ''Die Obstdiebin – oder – Einfache Fahrt ins Landesinnere'' (2017), ''Das zweite Schwert – Eine Maigeschichte'' (2020); Dramen: ''Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land'' (1989), ''Die Stunde da wir nichts voneinander wußten'' (1992), ''Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg'' (1999), ''Spuren der Verirrten'' (2007, auch als Oper von Philip Glass, 2013).
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Neben zahlreichen internationalen Auszeichnungen (u.a. Georg-Büchner-Preis 1973, Franz-Kafka-Preis 1979, Großer Österreichischer Staatspreis 1987, Bremer Literaturpreis 1988, Internationaler Ibsen-Preis 2014) erhielt Handke den Literaturpreis des Kulturfonds der Stadt Salzburg 1986 und den [[Großer Kunstpreis des Landes Salzburg|Großen Kunstpreis des Landes Salzburg]] 2012, außerdem mehrere Ehrendoktorate, darunter 2003 jenes der [[Universität Salzburg]] (''Einige Anmerkungen zum Da- und zum Dort-Sein'', Handkes Dankesrede, 2004). 2019 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Die Verleihung löste neben zustimmenden Reaktionen auch eine heftige internationale Diskussion über Handkes Stellungnahmen zu Serbien und den Kriegen im einstigen Jugoslawien aus.
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Das [[Literaturarchiv Salzburg]] bewahrt einen umfangreichen Teilvorlass Handkes: neben zahlreichen Einzelmanuskripten (darunter der Essay ''Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien'', mit dem 1996 Handkes umstrittene Kritik an der einseitigen Parteinahme der westlichen Medien gegen das Verhalten Serbiens im Jugoslawien-Krieg begann) aus dem Bestand der [[Adolf Haslinger Literaturstiftung]] auch die Dokumentation der gesamten Werkgenese von ''Immer noch Sturm''.
  
Der Erzähler setzt Bilder aus verschiedenen Tagesstunden und Jahreszeiten und verwandelt damit diese Wanderung zu einem statischen »Sein in Frieden«. In Betrachtung eines Holzstoßes, der alltäglich und mythisch ist, gelingt dem Erzähler ein Augenblick der Ewigkeit, in dem er plötzlich den Zusammenhang mit allem in der Welt erlebt. Solche Epiphanie- Erlebnisse kehren in H.s Werken seit der »Stunde der wahren Empfindung« (1975) an zentraler Stelle wieder. »Die Kindergeschichte « (1981) schrieb H. im Frühjahr und Sommer 1980 in Salzburg. Es sollte nicht die konkrete Geschichte der Beziehung zwischen dem Vater P. H. und seiner Tochter A. sein, sondern die abstrahierte Geschichte zwischen dem »Erwachsenen« und dem »Kind«, aber eben deshalb individuell konkretisierbar für jeden Leser. H.s dramatisches Gedicht »Über die Dörfer« wurde bei den Salzburger →Festspielen uraufgeführt (Felsenreitschule 10. 8. 1982. Regie: Wim Wenders). Vorbild dafür war das klassische Drama der griechischen Antike mit seinen langen epischen Wechselreden. Autobiographisches ist ins Familienmodell verarbeitet. H. hat sich auch als Übersetzer mit der griechischen Tragödie befasst. Seine Übertragung von Aischylos’ »Prometheus gefesselt« wurde 1986 bei den Festspielen uraufgeführt (Regie: Klaus Michael Grüber. Titelrolle: Bruno Ganz). H. gelang dabei eine zeitgemäße, in hohem Maße sprechbare und verständliche Fassung des etwa zweitausend Jahre alten Textes. Eine andere Übersetzung wurde für H. als Arbeit in Salzburg besonders wichtig: Marguerite Duras’ »La Maladie du Mort« (dt.: »Die Krankheit Tod«). 1985 drehte H. den Film »Das Mal des Todes« nach seiner Übersetzung teilweise im Schloß Freisaal. H. führte Regie und spielte selbst als Sprecher mit; die Hauptrolle der jungen Frau spielte Marie Colbin, die seit Jahren in Salzburg ihren Wohnsitz hat. Zwei weitere Werke sind augenfällig mit Salzburger Erfahrungen H.s verbunden: »Der Chinese des Schmerzes« (1983), und »Nachmittag eines Schriftstellers« (1987). Die Geschichte des Lehrers Andreas Loser spielt in und um Salzburg, und H. verwendet die konkreten Ortsnamen: »Erst mit dem Chinesen des Schmerzes, zum erstenmal in meinem Leben, konnte ich Salzburg, Almkanal, Untersberg sagen« (Gamper, S. 141). Die Namen sind aber »eigentlich nur so leicht hingetupft« (Gamper, S. 143). Die Landschaft erschöpft sich funktionell nicht in Namensnennung und Beschreibung, H. verwandelt die Salzburger Schauplätze, die Anspielungen auf Topographie, Atmosphäre und Personen zu Themen. Der Hohe Staufen wird dem Erzähler etwa zum Menhir, zum Datumsstein, zum Maßstab der Jahreszeiten. Vor allem die südliche Ebene der Leopoldskroner Moorlandschaft mit dem Almkanal hat es ihm angetan. Als Schreibvorbild wählt er Vergils »Georgica«; daß Loser Lehrer für klassische Sprachen ist, setzt den literarischen Bezug bis zum »klassischen« Epilog. H.s »Nachmittag eines Schriftstellers« darf man nicht als Salzburg-Buch missverstehen. Die vertraute Topographie von Berg, Stadtmitte, Fluss, Brücke, Stadtrand und Umgebung ist nicht touristisch als Sehenswürdigkeit einzulösen. Sie ist auch von Eindrücken aus anderen Städten überlagert. Sie bildet den Ort für die vom Schriftsteller täglich erlebte, aber thematisch grundsätzliche Begegnung von Künstler und Gesellschaft, Künstler und Welt, Künstler und Natur. Es ist ein Buch, dem das Autobiographische als Zeit und Ort nur Färbung und Tönung gibt für die prinzipielle Problematik künstlerischen Schreibens. So steht seine Existenz als Schriftsteller/ Künstler täglich zwischen Scheitern und Gelingen. Am 15. 4. 1986 erhielt H. den Salzburger →Literaturpreis. In seiner Dankesrede spricht er, nach Francis Ponge, von »der anderen Welt, der sprachlosen, erst zu entziffernden; der stummen Welt, seinem einzigen Vaterland«: »Und so sind mir Salzburg und seine Umgebung mit den Jahren auch an das Herz gewachsen: mittels der stummen Dinge und Orte, der alle die Launen und Zwischenfälle des Tages überdauernden friedlichen Menschensachen.« In seinem Roman »In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus« (1997) spielt auch der Schauplatz Taxham mit sowie eine Figur eines Apothekers von Taxham. Seine fiktive Reise beginnt und endet in seinem Haus in Salzburg. Mehrere Prosastücke des Bandes »Noch einmal für Thukydides« (1996) beziehen Salzburgs Landschaft mit ein. Im Band »Am Felsfenster morgens« (1998) veröffentlicht H. seine Notizen und Reflexionen durch fünf Salzburger Jahre (1982-1987). Manuskripte H.s befinden sich im Salzburger →Literaturarchiv.
 
  
 
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* A. Haslinger: P. H. Jugend eines Schriftstellers. 1992.
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* Katharina Pektor (Hg.): Peter Handke. Dauerausstellung Stift Griffen. Begleitbuch. Salzburg 2017.
* P. H.: Aber ich lebe nur von den Zwischenräumen. Ein Gespräch geführt von H. Gamper, Zürich 1987.
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* Malte Herwig: Meister der Dämmerung. Peter Handke. Eine Biografie. München 2010.
* R. G. Renner: P. H. Stuttgart 1986.
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* Herwig Gottwald, Andreas Freinschlag: Peter Handke. Stuttgart 2009.
* P. H. v. R. Fellinger. Frankfurt/M. 1985 (suhrkamp taschenbuch 2004).
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* Hans Höller: Peter Handke. Reinbek bei Hamburg 2007.
* P. H. Die Arbeit am Glück. Von G. Melzer und J. Tükel. Königstein/Ts. 1985.
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* Adolf Haslinger: Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers. Salzburg 1992.
* M. Mixner: P. H. Kronberg 1977.
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A.​Has., Ma.M.
  
A.Has.
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Aktuelle Version vom 27. März 2022, 21:48 Uhr

Peter Handke

Peter Handke, * 6. Dezember 1942 in Griffen, Kärnten; Schriftsteller.

Handke verbrachte seine Kindheit und Jugend in Kärnten und begann ein Jus-Studium an der Universität Graz. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurde Handke mit Sprech- und Theaterstücken wie Publikumsbeschimpfung (1966) und Kaspar (1967), Romanen wie Die Hornissen (1966) und Der Hausierer (1967) sowie dem Lyrikband Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt (1969) zur literarischen Leitfigur der jüngeren Generation. Es folgten u.a. die Prosatexte Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970), Die Stunde der wahren Empfindung (1975) und Langsame Heimkehr (1979), dazu die autobiografische Erzählung Wunschloses Unglück (1972, ausgelöst vom Suizid der Mutter), die wie das Journal Das Gewicht der Welt (1977) im Salzburger Residenz Verlag erschien.

Nach Aufenthalten in Deutschland und Paris lebte Handke 1979–87 mit seiner Tochter Amina in Salzburg im Haus des befreundeten Ehepaars Gerheid und Hans Widrich am Mönchsberg. In dieser Zeit war er als Schriftsteller sehr produktiv, außerdem begann er in Salzburg mit der Arbeit als Übersetzer (in vier Sprachen). In seinen Prosawerken verbindet sich seit jeher die literarische Darstellung konkreter Örtlichkeit mit fiktionaler Topografie; das trifft auch auf die Stadt Salzburg und ihre Umgebung zu. Außerdem sind in seinen Texten einige Salzburger Persönlichkeiten in literarisch überformter Gestalt wiederzufinden.

Das erste in Salzburg entstandene Buch ist Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), in dessen Schlusskapitel mit dem Titel Der große Wald Handke, von einem Bild Jacob van Ruisdaels ausgehend, eine Wanderung vom Mönchsberg in den Morzger Wald schildert. Die Kindergeschichte (1981) schrieb Handke im Frühjahr und Sommer 1980 in Salzburg. Es sollte nicht die konkrete Geschichte der Beziehung zwischen dem Vater Handke und seiner Tochter sein, sondern die abstrahierte Geschichte zwischen dem „Erwachsenen“ und dem „Kind“ – und eben deshalb im Leseakt individuell konkretisierbar.

Handkes dramatisches Gedicht Über die Dörfer wurde 1982 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Vorbild war das klassische Drama der griechischen Antike mit seinen langen epischen Wechselreden; Autobiografisches (die Darstellung des Konflikts um ein Erbe) ist ins Familienmodell verarbeitet. Regie führte Wim Wenders, zu dessen Film Der Himmel über Berlin (1987) Handke das Drehbuch schrieb. Handke befasste sich auch als Übersetzer mit der griechischen Tragödie: Seine Übertragung des Stücks Prometheus, gefesselt von Aischylos wurde 1986 bei den Festspielen uraufgeführt. 1985 drehte er, nachdem er bereits 1978 den Film Die linkshändige Frau (nach einem eigenen Text, 1976) inszeniert hatte, den Film Das Mal des Todes (nach Marguerite Duras, mit seiner damaligen Lebensgefährtin Marie Colbin in der Hauptrolle), zum Teil im Schloss Freisaal.

Die Handlung der Erzählung Der Chinese des Schmerzes (1983) ist in und um Salzburg herum angesiedelt; dabei verwandelt Handke die konkret genannten Schauplätze in eine komplexe literarische Zeichenwelt. In Nachmittag eines Schriftstellers (1987) bildet die vertraute Topografie von Berg, Fluss, Brücke, Stadtrand und Umgebung den Erfahrungsraum für die grundsätzliche Begegnung von Künstler und Welt. Die Reise der kleinen Personengruppe in Die Abwesenheit. Ein Märchen (1987, unter Handkes Regie verfilmt 1992) beginnt ebenfalls in Salzburg, die Protagonisten stammen von dort.

In Handkes Roman In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus (1997) spielen der Schauplatz Taxham sowie die Figur eines Apothekers von Taxham eine zentrale Rolle. Mehrere Prosastücke des Bandes Noch einmal für Thukydides (1990) beziehen Salzburgs Landschaft mit ein. Im Journal Am Felsfenster morgens (1998) veröffentlichte Handke seine Notizen und Reflexionen durch fünf Salzburger Jahre (1982–87). Die beiden letztgenannten Texte erschienen erneut im Residenz Verlag; Handkes Salzburger Publikationsgeschichte setzte sich im Verlag Jung und Jung fort: Gestern unterwegs (2005), Ein Jahr aus der Nacht gesprochen (2010), Die Geschichte des Dragoljub Milanović (2011) sowie Vor der Baumschattenwand nachts (2016).

Bei den Salzburger Festspielen folgten weitere Uraufführungen. 2009 inszenierte Jossi Wieler Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts, ein dramatisches „Echo“ (Handke) auf Samuel Becketts Das letzte Band. Eines der wichtigsten Dramen Handkes ist Immer noch Sturm, das im Rahmen der Festspiele 2011 auf der Perner Insel uraufgeführt wurde (Regie: Dimiter Gotscheff; Hauptrolle: Jens Harzer). Es handelt sich um eine weit in die Vergangenheit ausgefaltete theatralische Phantasie über die Familiengeschichte des Autors, verbunden mit einer Auseinandersetzung mit dem Partisanenkampf der Kärntner Slowenen. 2020 fand - ebenfalls als Festspiel-Produktion - im Salzburger Landestheater die Uraufführung des Stücks Zdeněk Adamec statt.

Weitere Werke: Prosa: Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein Märchen aus den neuen Zeiten (1994), Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos (2002), Die Morawische Nacht (2008), Die Obstdiebin – oder – Einfache Fahrt ins Landesinnere (2017), Das zweite Schwert – Eine Maigeschichte (2020); Dramen: Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land (1989), Die Stunde da wir nichts voneinander wußten (1992), Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg (1999), Spuren der Verirrten (2007, auch als Oper von Philip Glass, 2013).

Neben zahlreichen internationalen Auszeichnungen (u.a. Georg-Büchner-Preis 1973, Franz-Kafka-Preis 1979, Großer Österreichischer Staatspreis 1987, Bremer Literaturpreis 1988, Internationaler Ibsen-Preis 2014) erhielt Handke den Literaturpreis des Kulturfonds der Stadt Salzburg 1986 und den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg 2012, außerdem mehrere Ehrendoktorate, darunter 2003 jenes der Universität Salzburg (Einige Anmerkungen zum Da- und zum Dort-Sein, Handkes Dankesrede, 2004). 2019 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Die Verleihung löste neben zustimmenden Reaktionen auch eine heftige internationale Diskussion über Handkes Stellungnahmen zu Serbien und den Kriegen im einstigen Jugoslawien aus.

Das Literaturarchiv Salzburg bewahrt einen umfangreichen Teilvorlass Handkes: neben zahlreichen Einzelmanuskripten (darunter der Essay Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien, mit dem 1996 Handkes umstrittene Kritik an der einseitigen Parteinahme der westlichen Medien gegen das Verhalten Serbiens im Jugoslawien-Krieg begann) aus dem Bestand der Adolf Haslinger Literaturstiftung auch die Dokumentation der gesamten Werkgenese von Immer noch Sturm.


Literatur:

  • Katharina Pektor (Hg.): Peter Handke. Dauerausstellung Stift Griffen. Begleitbuch. Salzburg 2017.
  • Malte Herwig: Meister der Dämmerung. Peter Handke. Eine Biografie. München 2010.
  • Herwig Gottwald, Andreas Freinschlag: Peter Handke. Stuttgart 2009.
  • Hans Höller: Peter Handke. Reinbek bei Hamburg 2007.
  • Adolf Haslinger: Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers. Salzburg 1992.

A.​Has., Ma.M.