Architektur der Sommerfrische

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Architektur der Sommerfrische (Titel bitte ändern) Der Begriff S. kommt aus Südtirol, wo Bozener Bürger im Sommer aus der Hitze des Tales zur „Frische“ auf ihre Sommervillen flüchteten. Die touristische Kulturform der S. lässt sich in Salzburg zeitlich genau eingrenzen: Als 1849 Kaiser Franz Joseph in Bad Ischl seine Sommer verbrachte, folgten ihm nicht nur Adelige zur politischen Einflusssicherung nach, sondern auch seit den 1860er Jahren das wirtschaftlich und sozial aufgestiegene, auch jüdische Wiener und Prager Großbürgertum der Gründerzeit (in der Stadt Salzburg fehlte ein solches Wirtschaftsbürgertum). Im Gegensatz zur alteuropäischen Aristokratie widmeten sich diese allerdings keiner in der Herrschaft begründeten hausväterlichen Repräsentation der landwirtschaftlichen Güter, sondern allein dem Müßiggang. Die neue Zweite Gesellschaft (Gelehrte, Künstler, Unternehmer, Industrielle, Kaufleute, Ärzte etc.) war finanzkräftig genug für das Statussymbol des mehrmonatigen Aufenthaltes (in der Regel drei Sommermonate Juni bis September). Die klassische Sommerfrische hatte jedoch kaum zwei Generationen Bestand. Der Erste Weltkrieg zerstörte sukzessive die wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen ihrer Existenz. Im Krieg nur mehr Zufluchtsort von Hunger und Krankheit der Großstadt, belebte sich die S. zwar in den zwanziger und dreißiger Jahren nochmals, allerdings mit gemischtem Publikum und nur an wenigen Orten. Voraussetzung für diese Entwicklung waren eine gute Erreichbarkeit der Orte, die durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes (→Bauten des Verkehrs) natürlich wesentlich verbessert wurde, aber auch günstige klimatische Bedingungen, landschaftliche Schönheit, bevorzugt als Antithese zwischen Tal und Berg, idealerweise zusätzlich mit See. Der Aufenthalt diente rein der Erholung. Promenaden sollten den Genuss der entfremdeten, lieblichen Natur ohne Anstrengungen ermöglichen. Im Gegensatz dazu belebte der alpine Tourist die abgestumpften Sinne mit den Herausforderungen des Wanderns, Ausflügler hingegen mit Sehenswürdigkeiten in deutlich kürzerem Aufenthalt. Die gesamte Familie übersiedelte in der S. mit Dienstboten und Hausrat an den Urlaubsort. Die teils arbeitenden Männer teils pendelten am Wochenende. In sozialer Intimität blieb man in der Familie und erweiterte den Kreis nur für bestimmte Anlässe für Gleichgestellte oder ebenfalls hier weilender Verwandter. Das Spektrum der Behausung reichte je nach Vermögensverhältnissen vom Zimmer oder Wohnung sowie Bauernhaus oder Villa in Miete, über Hotel oder Gasthof bis zur eigenen, das restliche Jahr über leerstehenden Villa. Zu den Vergnügungen gehörten z.B. Spaziergänge, Lektüre, Bootsfahren, Musikabende etc. Erst die nächste Generation entdeckte Sportarten wie Rudern, Segeln, Tennis oder das Baden. An diesen Orten der Ausgewogenheit herrschte auch eine künstliche Welt sozialer Harmonie mit gelockerten Umgangsformen, in der die Juden die in den Städten verwehrte Integration fanden. Das lag auch an der sozialen Binnenorientierung, die dazu führte dass geschlossene Milieus mit Wiener jüdischer Familien von Freunden und Vertrauten entstanden. Die Folgen für Architektur und Ortsbild waren ein Ausbau der allgemeinen wie touristischen Infrastruktur, u.a. durch Verschönerungsvereine finanziell unterstützt von den Gästen. Aus aufgeklärter Annäherung an die einfachen ländlichen Traditionen passten diese sich – auf der Suche nach einer zweiten, identitätstiftenden Lebenswelt - in Architektur und Kleidung den Bräuchen an. Wie der Trachtenanzug oder das Dirndl bediente sich auch die Architektur einer Tradition im Stil. Anfangs war dies das verallgemeinerte alpine „Kleid“ des Schweizerhaus- oder Heimatstils, nach der Unabhängikgeit der Schweiz 1848 der weltweit praktizierte Baustil von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Diese oft symmetrische Spielart des Historismus kennzeichnen Laub-/Stichsägearbeiten an sämtlichen in Zimmermannsarbeit ausgeführten Holzbauteilen. Erst mit der Beschäftigung mit den regionalen Unterschieden durch die Heimatschutzbewegung (Heimatschutzstil), die auch durch den Jugendstil rezipiert wurde, setzte sich eine lokalere Form der Architektur der S. durch, die sich in Dachformen, Farbe und Material an Vorbildern vor Ort orientierte. Die Architekten behielten noch wenige historische Zitate bei, unter Verwendung lokaler Baumaterialien, bäuerlichen Motiven und der Kombination verschiedener Dachformen, Grund- und Aufrissen täuschten sie aber vor allem gewachsene Strukturen vor. Die weitgehende Flächigkeit und Dekorationslosigkeit der Wände folgte dem Vorbild anonymer Architektur. Durch die oft gigantische Größe der Villenanlagen mit diversen Nebengebäuden zeigen diese aber noch immer überdeutlich das Repräsentationsbedürfnis ihrer Bauherren. Der enge Bewegungskreis als Binnenkosmos der S. und ihre Ausrichtung auf den Blick spiegelte sich nun noch verstärkter in Bauelementen (Balkone, Ruhebänken, Pavillons) aber auch mittels einer durchdringenden Verbindung zwischen Wohn- und nach der englischen Landhauskonzeption gestaltetem wie natürlichem Freiraum durch großzügige Öffnungen bzw. Aufenthaltsbereiche (Loggien, Erkern oder Terrassen). Trotz aller Anpassung zeigten die Bauherren modernen Funktionalismus bei der Verwendung von Einbaumöbeln.

In die landwirtschaftlich geprägten Salzburger S.-orte des Salzkammergutes St. Gilgen und Strobl wurden die Gäste zuerst als Ausflügler von Ischl gelockt. Die erste Villa war 1864 die Villa Frauenstein des Salzburger Feigenkaffeefabrikanten und Präsidenten der Handelskammer Franz Zeller nach eigenen Entwürfen, 1886-88 von der Hofschauspielerin Katharina Schratt unter Kaiserbesuchen bewohnt. Durch die verbesserte Verkehrserschließung (ab 1873 Wolfgangseeschifffahrt, ab 1893 Salzkammergut Lokalbahn →Bauten des Verkehrs) setzte die S. dann verstärkt ein, 1882 siedelt sich die Familie des Bienenforschers Karl von Frisch und sein Schwiegervater Universitätsprofessor Franz Exner in Bestandsgebäuden in Brunnwinkel an. Ab 1883 kam der deutsche Chirurg Theodor von Billroth. Seine 1884 von Leopold Theyer errichtete Villa wird der kultureller und gesellschaftlicher Treffpunkt (u.a. J. →Brahms, Johann Strauß). Um die Jahrhundertwende beauftragen die fast durchgehend jüdischen und miteinander verwandt oder geschäftlich verbundenen Bauherren bedeutende Architekten des Prager, Wiener bzw. auch Münchner Jugend- und Heimatschutzstils wie Jan Kotěra (→QUERVERWEIS EINFÜGEN), Albert H. Pecha (→QUERVERWEIS EINFÜGEN), Otakar Novotný (→QUERVERWEIS EINFÜGEN) oder Emanuel von Seidl (→QUERVERWEIS EINFÜGEN) mit dem Neu-/Umbau von Villen. Den Beginn macht 1901 der Siebenbürgener Architekt, Maler Hermann Giesel, 1904 baut A. H. Pecha für Anna Blaschczik, die Schwester des Industriellen und Generaldirektor der Prager Eisenindustrie-Gesellschaft Wilhelm Kestranek, eine Villa um. 1905 errichtet der örtliche Baumeister Hans Brandl mit der Villa Nebrich für den Prager Großindustriellen und Direktor der Poldi-Hütte Karl Nebrich im Schweizerhausstil. 1906 folgt der Prager Jurist Ferdinand Tonder, der den Mitbegründer der tschechischen Moderne und Otto-Wagner-Schüler J. →Kotěra mit seiner Villa am See beauftragt. Im gleichen Jahr errichtet O. →Novotný (ein Schüler →Kotěras - offenbar von ihm empfohlen – und späteren Vertreter des Tschechischen Kubismus), für den jüdischen Prager kaiserlichen Rat und Direktor der Zuckerfabrikenversicherung Moriz Riemer eine Villa. Zugehörig ist ein Bootshaus von Heinrich Fanta (1931) mit einem Holzboot H. v. →Hofmannsthals. 1908 folgt die für Wilhelm Kestranek (ein Geschäftspartner von Nebrich) vom Münchner Architekt E. v. →Seidl geplante, sehr große Jugendstil-Villenanlage. Im Nationalsozialismus enteignet und durch Hermann Göring genutzt, ist sie seit 1956 im Besitz des Vereines „Rettet das Kind“. Für den jüdischen Wiener Bankier Max Feilchenfeld folgt 1909 der Landsitz Feilchenfeld, ein riesiges Ensemble aus Wohnhaus, Bootshaus sowie weiteren Bauten von A. H. →Pecha. Seit 1949 ist es das Hotel Billroth. 1912 folgt die Neue König-Villa von Eugène und Gabriele Koenig und 1929 schließt der Promenaden-Pavillon (Abbruch 1980er) mit einem Papageno von Michael Powolný die Baureihe ab. Eine gänzlich singuläre Stellung in der S. St. Gilgens hat der 1911 durch Franz Schönthaler (→QUERVERWEIS EINFÜGEN) errichtete Ferienhort im Ortsteil Ried. Er diente u.a. der Sommererholung für Wiener Schulkinder ohne finanzielle Mittel. Antijüdische Maßnahmen begannen in St. Gilgen früh und gingen von Sport- und Tourismusvereinen aus: 1901 Verwehrung der Mitgliedschaft durch den Union-Yacht-Club, Anfang 1920er Arierparagraphen im Österreichische Touristenclub und Deutschen wie Österreichischen Alpenvereins. 1938 und 1939 folgten Arisierungen, danach brach ein regelrechter Kampf um die Villen zwischen nationalsozialistischen Organisationen und Funktionsträgern sowie Privatpersonen (z.B. der Salzburger Kunsthändler Friedrich Welz) aus. In Strobl beginnt die S. verstärkt durch die Salzkammergut-Lokalbahn-Verbindungen (1890 nach Ischl, 1893 nach Salzburg). Zahlreiche Bauherren vor allem aus Wien und Prag entdeckten die Jagdgebiete der ruhigen Gemeinde. Einige der Villen sind heute verändert oder abgebrochen. Gut erhalten sind die Villen des Wiener Fabriksdirektors George Schinteliffe-Blakey (1906, 1924 Aufstockung für den Wiener Bankdirektor Otto Deutsch vom Prager Architekten Viktor Kafka), die Villa Dr. Schaser (1912 Eduard Pölz) und Villa Wallace (1914 Hans Brandl). Im erst 1898 mit der Lokalbahn erschlossenen Pinzgau ist Zell am See mit seinem ruhigen, in hochalpiner Landschaft eingebetteten Gebirgsee eigentlich mustergültig für die Sommerfrische. Aber nur in Thumersbach am Zeller See bot sich die bevorzugte südwestliche Lage: 1900 von E. v. →Seidl errichtetes Landhaus für den Wiener Landgerichtsrat Dr. von Brücke und dessen Frau Emilie →Wittgenstein (→QUERVERWEIS ANLEGEN!). Auch die ältere Schwester Clara →Wittgenstein (→QUERVERWEIS ANLEGEN!) hatte hier ein Landhaus gebaut. Unken und Lofer konnten Gästen aus verschienen Zentren der Habsburgermonarchie anziehen. Eher Ausnahmen waren die Voralpen-Seen, denen die stilgerechte Einbettung ins Hochgebirge fehlte. So gab es in Mattsee wenige Professoren- und Offiziersfamilien auf S. und das Henndorfer Seehaus des Wiener Fabrikanten Oskar Lainer, freilich aus Gründen der Herkunft. Trotz des gebotenen Müßiggangs war Poeten, Künstlern usw. eine Tätigkeit erlaubt. So verbringt Gustav →Klimt (→QUERVERWEIS ANLEGEN!) 1899 einigen Woche zur Sommerfrische in Golling und malt hier sein erstes Bild im berühmten quadratischen Format mit hohem Horizont, die er in großer Zahl danach am Attersee fertigte. Im 1875 an das Bahnnetz angeschlossenen Golling mit seiner Naturattraktion der Wasserfälle blieben etliche Wiener, Linzer und Münchner Familien des gehobenen bürgerlichen Mittelstandes zur S, allerdings kaum in eigenen Villen. In der S. eines Fronturlaubes hat der Philosoph Ludwig →Wittgenstein (→QUERVERWEIS ANLEGEN!) 1918 in der Villa seines Onkels, des Wiener Industriellen Paul →Wittgenstein (→QUERVERWEIS ANLEGEN!) in Oberalm seiner Schrift "Tractatus logico-philosophicus" die endgültige Fassung verliehen (1874 vom Halleiner Baumeister Ignaz Miller, 1894 umgebaut, 2015 Abriss, eine Initiative setzte sich vergeblich für den Erhalt ein). Saalfelden verblieb zwar vorwiegend Touristenstation, L. →Ehrenberger erbaute hier aber 1904 Bau ein Atelier und 1906 auch eine Jugendstilvilla nach eigenem Entwurf. Bad Gastein war als traditioneller Kurort eigentlich nicht der Sommerfrische zuzuordnen. Sigmund Freud verbrachte hier dennoch 1916-23 jeden Sommer in der Villa Dr. Wassing (1895-97 J. →Wessicken). Auch Salzburger Vororte waren mitunter Sommerfrische. So verbrachte die Wiener jüdische Familie Sporer zehn Sommer lang in Parsch, bis sie nach dem 1. WK vertrieben wurde. Das Landhaus Pfanzelter wurde 1915 von M. →Knoll wohl nach Entwürfen des Salzburger Bürgers F. →Pfanzelter erbaut, das per Tramwaystrecke der „Roten Elektrischen“ (→Bauten des Verkehrs) gut an die Stadt an.

Lit.:

  • J. Breuste: Jugendstil in Salzburg. Salzburg 2013.
  • Verein Ferienhort (Hrsg.): 100 Jahre Ferienhort am Wolfgangsee. Wien 2011.
  • E. A. Eichinger: St. Wolfgang lässt uns nicht mehr los: jüdische Sommerfrischegäste im Spannungsfeld von Idylle, Antisemitismus und Vertreibung. Dipl.arb. Univ. München 2011.
  • H. Haas: Der Traum von Dazugehören. Juden auf Sommerfrische. In: R. Kriechbaumer (Hrsg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg. Wien / Köln / Weimar 2002. S. 41-58.
  • H. Pinezits: Sommerfrische am Wolfgangsee. Villenarchitektur in Strobl zwischen 1880 und 1936. Dipl.arb. Univ. Salzburg 1997.
  • H. Haas: Die Sommerfrische – eine verlorene touristische Kulturform. In: H. Haas / R. Hoffmann / K. Luger: Weltbühne und Naturkulisse. Zwei Jahrhunderte Salzburg-Tourismus. Salzburg 1994. S. 67-75
  • H. Haas: Die Sommerfrische – Ort der Bürgerlichkeit. In: H. Stekl: „Durch Arbeit, Besitz, Wissen und Gerechtigkeit“. Wien 1992, S. 362-377.
  • M. Oberhammer: Sommervillen im Salzkammergut. Die spezifische Sommerfrischearchitektur des Salzkammergutes in der Zeit von 1830 bis 1918. Salzburg 1983.

J.B.