Volksmusik
Volksmusik.
V. ist überall auf der Welt ein Pendant zur musikalischen Hochkunst und umfasst von elementaren Ausdrucksformen (Spiellieder der Kinder, Arbeitsrufe, Lärmgeräte, primitive Musikinstrumente) bis zu hochstilisierten Liedern und Tänzen eine Vielzahl an Gattungen und Typen. Diese erfahren durch meist improvisatorische Überlieferung und starke Einbindung ins Gemeinschaftsleben ihre jeweils typische Ausprägung. Auch in den Alpen als Lebens- und Wirtschaftsraum hat sich eine typische, von Bergbauernkultur, Alm- und Hirtenwesen geprägte Musik entwickelt, in der Herdengeläute, archaische Jodelformen (besonders Pongau, Salzkammergut, z.B. der Flachauer #Küahsuacher#, als #Almschrei# Vorstufe des Jodlers) und Tierlockrufe eine große Rolle gespielt haben. Diese „produktive Naturhaftigkeit“ wurde „geschichtlich erworben und verloren“ und erlebte eine typische „alpenländische Einengung und Weiterbildung“ (Walter Wiora). Vom späten Mittelalter an färbte das Vorbild der großen Residenzstädte auf die Musikalität und die Standestänze der Handwerker ab (→Volkstanz). Im ausgehenden 18. Jh. hat die Ausstrahlung der #Wiener Klassik# ein starkes musikalisches Zentrum am Alpenostrand geschaffen, das u.a. speziell über die Instrumentierung der Schrammelmusik das Salzkammergut prägte.
Johann Gottfried Herder gilt weithin als der romantische Entdecker des #Volksliedes#. So wurde auf ihn zurückgegehend unter V. lange nur das Lied verstanden. Deshalb teilte L. →Hübner 1796 auch die salzburgischen Volkslieder in #Schnodahüpfl#, Gasselreime, geistliche Gesänge und Lieder mit den Inhalten: Erotik, Wildschießen, Alpenleben und Soldatenleben ein. Unterstützt durch die Kulturpolitik der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und am Vorbild der Napoleonischen Volksmusikumfrage entstand in den österr. Kronländern ab 1819 eine amtliche Volksmusiksammlung, die ihrerseits anregend auf die Überlieferung zurückwirkte. Joseph von Sonnleitner leitete 1819 im Rahmen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien eine große Umfrage bei Lehrern und Geistlichen aller Kronländer ein, die wegen der Karlsbader Beschlüsse gegen nationale und liberale Bestrebungen in Budapest erscheinen musste (Franz Ziska, Max Schottky, Hg.: Österreichische Volkslieder und ihre Singweisen. Budapest 1819.) Der Salzburger Teil der Sonnleitner-Sammlung zeigt im Vergleich zur Sammlung #Salzburgische Volkslieder mit ihren Singweisen# von V. M. →Süß, 1865, einen raschen Wandel des Liedgutes auf. Süß zeichnete unzensuriert und ungeschönt die Texte der Lieder und Gstanzeln noch vor Einführung des Musikunterrichtes in den Schulen auf. Dieser, eingeführt mit dem Reichsvolksschulgesetz von 1869, drängte mündliche Überlieferung neben Kirche und Orgel in den Hintergrund. Die Schule (Geige und Repertoireerweiterung) wurde zum wesentlichen Musikvermittler. Die systematische Volksmusikforschung und -pflege, ausgehend von Josef Pommer 1884, führte in wechselhafter Entwicklung zum heutigen Repertoire und der Institution →Volksliedwerk.
Für Salzburg sind besonders O. →Eberhard als Aufzeichner des Volksliedwerkes und die Familien Windhofer (der Vereins- und Musikgruppengründer G. →Windhofer) und Dengg (der Aufzeichner O. →Dengg) als Pfleger und Ausführende zu nennen. S. →Dengg, Lehrer, Chorleiter, Volksliedkomponist, begründete 1950 den Salzburger Volksliedchor, der seit 1968 von seinem Neffen Harald Dengg geleitet wird, weiters den #Taxhamer Frauensingkreis# neben anderen Volksliedchören sowie mit seinen Brüdern Adolf, Erich und O. Dengg den bekannten #Pongauer Viergesang#. Diese Ensembles zählen auch zu den Säulen des Salzburger →Adventsingens, dem sie lange eine typische Note gaben. Eine besondere Prägung erlebte die Salzburger V. durch T. →Reiser, der durch seine auf der Tradition fußenden, aber seiner Zeit angepassten Kompositionen sowie durch die wirksame Verbreitung im Rahmen der Kulturpolitik des NS-Regimes die weitere Entwicklung nachhaltig beeinflusste (Chor von Landa Clauss-Ruprecht). Weiters begründete Reiser die konzertant bzw. im Wohnraum aufgeführte alpenländische Instrumentalmusik mit der #Saitenmusik# bzw. #Stubenmusik# (Ensemble mit Hackbrett – ab 1954 chromatisch gestimmt als Melodieführer, Zither, Gitarre und Kontrabass), die auch für andere Länder vorbildlich wurde. In diesen Entwicklungen spiegeln sich Identitätsbildungsprozesse, die einmal stattgefunden haben und für lange Zeit prägend wurden. Durch viele dieser Entwicklung entstammende Musikgruppen und Chorleiter entwickelte sich so seit den 40er Jahren ein typischer Stil der Salzburger V., der bis heute andauert und auf die benachbarten Bundesländer, auch über Wettbewerbe (u.a. →Amselsingen), ausstrahlt. Mit den ärmeren Bevölkerungsschichten Salzburgs (Oberndorfer Schiffer und Schöffleute, Dürrnberger Bergleute u.a.) haben sich über die Heischegänge (→Anglöckeln und Herbergssuchen) und die starke Verbreitung der Weihnachtskrippen im Lande auch viele Weihnachts- und Hirtenlieder erhalten. Mit der Schaffung des Adventsingens fanden diese als eine neue Art der Adventfeier weite Verbreitung.
Der in Österreich geprägte Stilbegriff der #alpenländischen V.# (Vorherrschen von Dreiklangsmelodik im Dreiertakt mit großen Tonumfängen und reicher Mehrstimmigkeit in Abgrenzung zur allgemeineuropäischen Melodik) wird nur im süddeutsch-österreichischen Raum verwendet. Er charakterisiert weitgehend die vom Berner Oberland bis Slowenien verbreitete Ländler- und Jodlerkultur. Diese wurde aufgenommen und mitgeprägt von vielerlei Gruppen und Zeitströmungen unterschiedlichster Provenienz, wie z.B. von den Nationalsängern zu Beginn des 19. Jhs., den Stubenmusiken in Salzburg, Bayern und Westösterreich u.a. (Wolfgang Suppan). Dieser Stil zeigt vielfältige Facetten von traditionsgeprägter Innovation (z.B. Salzburger Stubenmusik, Salzburger Dreigesang, Volksliedchöre) bis zur kommerziellen Verflachung des musikalischen Erbes im Massentourismus.
Auch der Volkstanz entstand in ständigem Wechselspiel zum Tanz reicherer Gesellschaftsgruppen. Während in den Oberschichten um 1700 das Menuett bevorzugt wurde, prägten Hüpf- und Drehtänze die Tanzvergnügen der Unterschichten, sie boten Freiraum für Improvisationen. Ende des 18. Jh.s beklagten die Tanzmeister das Eindringen der Volkstänze: #engl. Hopser#, Dreher, Ländler, Schleifer und Allemande. Ihre Entdeckung und Aufzeichnung hatte im 18. Jh. unter demTitel #National- und Bauerntänze der Völker# begonnen und führte zur Entwicklung von Landler, Polka, Bayrischem und schließlich Walzer, als einer Revolution des Paartanzens in den Oberschichten. Diese neuen Formen der Gesellschaftsmusik des 19. Jhs. erhielten sich auch in Salzburg, speziell in den Alpentälern, bis heute in der V.. Seit der Jahrhundertwende kam es zur Fixierung und Stilisierung der Figuren und Schritte. Bei den heute von den Volkstanzgruppen vorgeführten Paar- und Figurentänzen (etwa beim Salzburger Kathreinstanz) überwiegt bei etwa 30 Grundformen die Bayrisch-Polka-Form. Im Flachgau gilt der #Gsätzl-Walzer# als häufigste Form, Landlerformen sind in Salzburg selten. Im Zusammenhang mit den Volkstanzvereinen haben sich auch Tanznormen erhalten bzw. entwickelt, die sich vom gegenwärtigen Gesellschaftstanz unterscheiden.
V., sowohl als Begleitmusik (Lärm- und Musikinstrumente bei Perchtenumzügen, Ratschen als Klangkörper im Brauch der Kartage, Trommler und Pfeifer als Geleitformation etwa der Bergknappen) wie als Erhalt älterer Geleitmusikformen (Militär- und Gardemusik bis zum Barock) bis zur Ausbildung gegenwärtiger Marschmusik (mit den Blechmusikkappellen seit dem 19. Jh.), als Tanzausführung (→ Fackeltanz, Volkstanz) wie als Lied (wobei ehrenvolle Ansinglieder, z.B. Hochzeitslader, Gratulationslieder, und spöttische Gstanzeln, z.B. Faschingsbriefe, sowie Heischelieder etwa bei den Anglöcklern, überwiegen), ist Bestandteil vieler Bräuche und Umzüge. Über K. →Brandauer entstanden viele Veränderungen und (Er-) Neuerungen im Umkreis der →Brauchtumsvereine bzw. der Kulturpolitik. Speziell in der NS-Zeit wurde die V. geschönt und mit einem ernsten Tenor bedacht, Doppelbödigkeiten, Witz und Ironie, die so typisch für einen großen Teil der Lieder waren, wurden als #artfremd# verachtet. Damit gingen die sozialen Elemente der Rüge und Kontrolle und die Interaktion im Witz verloren.
In der traditionellen Ständegesellschaft waren die Musikstile der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen stärker differenziert als heute und dennoch in einem ständigen Austausch begriffen. So kam es zu sukzessiver Orientierung an den zeitgenössischen Entwicklungen. In den ärmeren Bevölkerungsschichten prägten Rufe (Vieh- und Almrufe über weite Entfernungen) und Lärminstrumente (Essensglocken und -klappern) sowie Arbeitslieder, die den Takt bei Gemeinschaftsarbeiten vorgaben (beim Dreschen, Mähen etc.), den Arbeitsalltag und die Klangökologie der Landschaften. Freizeit und Feierabend wurden u.a. durch Scherz- und Spottlieder (etwa die #Gstanzeln#, die beim Tanz und im Wirtshaus als gereimte Kleinform des Volkswitzes entstanden und mit Wortwitz und Situationskomik spielen) von ein- und zweideutiger Derbheit, oft voll von Sozialkritik, aber auch von Liedern zur Einübung der Normen, als Ausdruck der Gefühle, zur Schilderung des Alltags geprägt. Oft erscheinen Lieder als psychisches und soziales Ventil, sie kritisieren die Verhältnisse, sie beziehen sich auf die empfundene Diskrepanz von Recht und Gerechtigkeit bzw. Bedürfnis und Realität. In ihnen werden heute noch Auseinandersetzungen ausgetragen, erotische Sehnsüchte artikuliert, sie enthalten Grobheiten, Zynismus und Situationskomik. Sie sind ein #Spiel hinter dem Spiel#, das die Realität gleichzeitig trifft und aufhebt.
Daneben waren Instrumentalmusik (niemals als konzertante Vorführung, sondern immer nur als Begleitung einer Aktivität) und Tanz Mittel der Kommunikation. So zogen wandernde Musikanten in fixen Routen von Fest zu Fest. Für viele Musikanten war Musik auch Nebenerwerb zu Landwirtschaft, Klein- und Wandergewerbe. Das Repertoire der Musikanten wie Sänger war zeit-, anlaß- und publikumsspezifisch.
Vom 19. Jh. an entwickelten sich weite Teile der V. unter den bewertenden und auswählenden Einflüssen von Pflege- und Brauchtumsvereinen weiter und führten dennoch zu einer eigenständigen Aneignung. Andere Bereiche der Musik verschwanden seit dem 19. Jh. im Zuge der steten Veränderungen des Alltags- und Wirtschaftslebens. So ist auch im Bereich der V. seit dem 19. Jh. eine Verschiebung vom Alltag in die Fest- und Freizeit, vom gemeinschaftlichen Tun zur Aufführung zu bemerken. Vielfach ist der gesamte Lebenszusammenhang einzelner Musikstücke heute nur mehr über Feldforschungsarbeiten zu dokumentieren. Durch V.pflege und Vereine kam es einerseits zur Ausbildung konservierender und perpetuierender geschlossener Systeme und andererseits zu breitenwirksamen Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten und damit zur Hebung des technischen und musikalischen Niveaus (Fortbildungswochen und Instrumentenbaukurse des Volksliedwerkes). Musikvermittlungsinitiativen in offener Geselligkeit (z.B. Musikantenstammtisch) und die Fortentwicklung der Traditionen mit den Mitteln und Stilen gegenwärtiger Musik (u.a. Lungauer Querschläger) versuchen dieser Stagnation heute entgegenzusteuern. Neben dem Genre #traditionelle V. im Umkreis der Pflege#, neben der von dieser als #volkstümlich# bezeichneten kommerzialisierten V. zählen für die heutige Volkskunde alle Formen der gegenwärtigen gruppenspezifischen Musikstile, die von solchen Gruppen als #richtig#, #eigen# und #authentisch# empfunden werden, als Forschungsfeld.
Lit.:
- G. Haid: Von der Volksmusik zum Evergreen. In: Volkskunde in Österreich, hg. v. O. Bockhorn, H. Eberhart. Wien 2001.
- Dies.: Die Volksmusik der Alpen – ein differenziertes Bild. In: Kulturprotokoll zur Alpenkonvention. Innsbruck 2000.
- Th. Hochradner: Salzburgische Volks-Lieder mit ihren Singweisen. Gesammelt von V. M. Süß, Salzburg 1865, Nachdruck mit Kommentaren. In: Salzburg Archiv 19, Salzburg 1995.
- G. Noll (Hg.): Musikalische Volkskultur und die politische Macht (= Musikalische Volkskunde. Materalien und Analysen 11). Essen 1994.
- Th. Hochradner: Bibliographie zur Volksmusik im Lande Salzburg. Salzburg 1990.
U.K.