Salzburger Adventsingen

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Salzburger Adventsingen, vorweihnachtliches Singen, Musizieren und Spielen im Großen Festspielhaus.

1946 von Tobias Reiser als neue Form im kleinen Rahmen begründet und seit 1960 als international bekannte Großveranstaltung im Großen Festspielhaus (über 2.000 Sitzplätze) jährlich 17 bis 18 mal aufgeführt. Zusammenarbeit mit Salzburger Heimatwerk und Referat Salzburger Heimatpflege bzw. Volkskultur und vielen Gesangs-, Musik- und Theatergruppen des Landes. 1950 kamen das Turmblasen (Sepp Dorfner; Fritz Krammer bis 1976) sowie diverse Brauch- und Spielszenen dazu, u.a. Klöckler, Tresterer der Alpinia, Sternsinger; Wilde Jagd ab 1977. Auch das Turmblasen hat historische Wurzeln, es zählte an Werk- und Festtagen zu den Aufgaben der Türmer; das Weihnachtsblasen galt als Begrüßung des neugeborenen Erlösers.

Karl Adrian hat das Weihnachtsblasen am Heiligen Abend in der Stadt Salzburg 1913 wieder eingeführt, das 1772 abgeschafft worden war. Das Tobi-Reiser-Quintett (gegr. 1953), und der Pongauer Viergesang (ab 1949) gelten als wichtige Musikformation des Adventsingens. 1950 erste öffentliche Veranstaltung im Kaisersaal der Residenz unter dem Ehrenschutz des Landeshauptmanns. Als Lesungen zuerst Texte von Anette Thoma; ab 1952 Aufführungen in der Aula der Universität mit Lesungen von Karl Heinrich Waggerl (bis 1973). In dieser Zeit wurden Herbergssuche und Hirtenspiel fixe Bestandteile, die „Hirtenkinder“ erlangten besondere Beliebtheit. Ein historisches Hirtenlied wird häufig aufgeführt, Lippei sollst gschwind aufstehen, das 1750 vom Pustertal ausgehend durch Wanderhändler verbreitet, 1787 im Salzkammergut und 1819 im Pinzgau zum Repertoire der Kirchensänger gehörte, die im Advent auch als Anglöckler von Haus zu Haus gingen. Das von K. Adrian um 1900 aufgezeichnete Oberndorfer Hirtenspiel, ein Heischespiel der Schiffer, das zwischen Dreikönig und Mariä Lichtmess von Haus zu Haus aufgeführt wurde, ist als historisches Beispiel für das Genre zu nennen. Gemeinsam mit den Texten Waggerls enstand eine neue Ausformung des Adventsingens, das als vorbildhaft alpenländisch bewertetes Genre weithin Nachahmung fand. Wechselnde Mitwirkung verschiedener Volksliedchöre (seit 1950 mit dem Salzburger Volksliedchor, unter Sepp Dengg, seit 1968 unter dessen Neffen Harald Dengg, bzw. seit 2001 unter Leitung von dessen Tochter Burgi Vötterl).

Adventsingen im Großen Festspielhaus 2011

Nach dem Tod Tobias Reisers übernahm dessen Sohn Tobias (Tobi) Reiser junior (1946–99) die künstlerische Gesamtleitung und den Text bis 1999 und führte neben der alten Form auch Neuerungen ein. 2000 übernahm Hans Köhl die Gesamtleitung und setzte Schwerpunkte für neue Zielgruppen. Seit 1978 zieht sich ein Hirtenspiel (Beteiligung von Mädchen seit 1990) als Leitmotiv durchs Programm. Seit 1979 gestaltet Siegwulf Turek das ab 1980 neue Bühnenbild, Tänzer und Schauspieler kamen dazu. Seit 1980 entwickelte sich das Adventsingen mit Kompositionen von Tobias Reiser, Wilhelm Keller (zwischen 1964 und 1996, Kantaten im Stil des Carl Orff), Klemens Vereno (zw. 1988 und 1993) u.a. zum Szenischen Oratorium.

Diese Versuche, das Adventsingen in stärkerer Verschränkung von Volksmusik, Neukompositionen und Schauspiel zu gestalten, sind als Anpassung an die gegenwärtigen Bedürfnisse der Vermittlung des Weihnachtsgeschehens zu sehen und nehmen gleichzeitig den didaktischen Charakter historischer Nikolaus- und Adventspiele, wie sie zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert im Alpenraum gebräuchlich waren, in neuer Form auf. Sie begannen 1986 mit A Liacht is aufkemman, 1989 folgte Als bliebe es ein Traum. Beispielhaft ist Es ward der Engel Gabriel … (1996) zu nennen, bei dem, neben den tragenden Gruppen wie dem Salzburger Volksliedchor (seit 1950 mitwirkend) oder dem Salzburger Dreigesang, u.a. auch Mitglieder der Theatergruppen m2-Kulturexpress Neukirchen (Charly Rabanser; vereinzelt ab 1987) und Die Karawane Salzburg sowie das Collegium Musicum Salzburg (Albert Angelberger) und Studierende des Mozarteums mitwirkten.

Das Adventsingen fand Zustrom von Besuchern aus aller Welt, 1997 besuchten 40.000 Besucher 17 Aufführungen. Die Veranstaltungen werden als Compact Disc veröffentlicht. Die szenischen Oratorien blieben bei vielen nicht ohne Kritik, denn das Adventsingen war bereits seit den 1960er Jahren, obwohl ohne historische Tradition, zum Vorbild für alpenländisches Adventsingen weit über das Land hinaus geworden. 1984 wurde der Verein der Freunde des Salzburger Adventsingens begründet, der seit 1987 zu den größten privaten Förderern der Volkskultur im Land Salzburg zählt. Von 1992–2013 Vergabe des Tobi-Reiser-Preises für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Volkskultur (1. Preisträger: 1992 Wastl Fanderl postum). 2013 Aussetzung des Preises im Zuge der kritischen Aufarbeitung der NS-Geschichte von Tobias Reiser d.Ä.; 2016 Einstellung des Preises. Seit 1991 verleiht der Verein ein Ehrenzeichen für die Volkskultur, den Stern von Bethlehem, und veranstaltet seit 1992 für seine Mitglieder eine Matinee als Rahmen für die Begegnung von Künstlern und Publikum. Zu Pfingsten 2001 wurde das von Tobias Reiser jun. verfasste Festprogramm zum 55-jährigen Bestand des Adventsingens aufgeführt: Salzburg im Jahr des Herrn; der Bühnenbildner Dietmar Solt und der Dirigent Herbert Böck kamen neu ins Team.

Maria und Josef des Salzburger Adventsingens

2003 Begründung des humoristisch-kritischen Avantgarde Adventsingen im republic, u.a. mit der Mnozil Brass. 2006 u.a. Jubiläums-Gala zugunsten der Äthiopienhilfe Menschen helfen Menschen. 2006 kam es zur Gründung eines zweiten, des Tobi-Reiser-Adventsingens, auf Betreiben der Mitglieder des Tobi-Reiser-Ensembles (sowie C. Rabanser und Uli Brée), in der Aula der Paris-Lodron-Universität Salzburg, das sich aus dem Adventsingen herauslöste. Nach der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Tobi Reisers durch den Historiker Oliver Rathkolb wurde es 2017 umbenannt in Salzburger Hirtenadvent.

Bei anderen Chören und in der Bevölkerung sind viele historische Lieder erhalten, denn im Vergleich zu anderen Gattungen des Volksliedes liegt für das Marien-, Hirten- und Weihnachtslied in Salzburg eine reichhaltige Überlieferung vor (Maria Vinzenz Süß), die hervorragend erschlossen wurde und durch zahlreiche gedruckte Liedersammlungen auch ausgezeichnet dokumentiert ist. Einen Überblick und eine ausführliche Literatursammlung hat Thomas Hochradner 2002 vorgelegt. Die Lieder folgen der jeweiligen Verehrungsform der Epochen. Das älteste aus Salzburg überlieferte Weihnachtslied Joseph, lieber Nefe mein bzw. Josef, lieber Josef mein ist im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt geworden. Erstmalig wird darin eine paraliturgische Szene, das im Mittelalter beliebte Kindlwiegen (1499 am Nonnberg dokumentiert) dargestellt bzw. besungen. Den Quellen zufolge stammt das Lied unter Rückgriff auf eine ältere Melodie vom Mönch von Salzburg, der als Dichter und Komponist in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts am erzbischöflichen Hof wirkte.

Lit.:

  • O. Rathkolb: Tobi Reiser und der Nationalsozialismus. Salzburg Museum, Verein Freunde des Salzburger Adventsingens, Salzburger Heimatwerk (Hg.). Salzburg 2016.
  • F. V. Spechtler: Josef, lieber Josef mein. Ein Weihnachtslied aus dem Mittelalter. In: L. Luidold, U. Kammerhofer-Aggermann (Hg.): Bräuche im Salzburger Land. CD-ROM 1, (= SBzVK 13) Salzburg 2002, 10 Sn.
  • K. Schamberger: Das Salzburger Adventsingen. In: L. Luidold, U. Kammerhofer-Aggermann (Hg.): Bräuche im Salzburger Land. CD-ROM 1, (= SBzVK 13) Salzburg 2002, 22 Sn.
  • T. Hochradner: Lieder für den Advent und den Weihnachtsfestkreis. In: L. Luidold, U. Kammerhofer-Aggermann (Hg.): Bräuche im Salzburger Land. CD-ROM 1, (= SBzVK 13) Salzburg 2002, 9 Sn.
  • T. Reiser, K. Vössing (Hg.): Das Salzburger Adventsingen. Salzburg 1984.

U.K.