Perchten

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Perchten

Hinter dem Namen P/Berchten verbergen sich drei unterschiedliche Gestalten und Bräuche, denn in Salzburg wird seit dem 17. Jahrhundert das Wort „P/Berchte“ als Synonym für Maske verwendet, in Nachfolge der italienischen Bezeichnungen „larva“ und „maschera“ (Nachweis der Zuwanderung in den Akten).

P/Berchten

Schnabelpercht, Rauris (1939)

Seit dem frühen Mittelalter ist „Frau Berchte“ (meist mit B geschrieben) archivarisch nachweisbar; sie tritt am Vorabend des Dreikönigstages (6. Jänner, kirchliches Hochfest Epiphanie, Erscheinung des Herrn, bis zum 4. Jahrhundert einer der Termine für das Weihnachtsfest, in der Ostkirche bis heute), dem sogenannten P/Berchtenabend auf. Darstellungen der religionsdidaktischen Figur als vermummte Frau mit der langen Nase in mittelalterlichen Codices, häufig unter den Arbeiten der Mönche; in Sebastian Francks Weltbuch (1534) wie in Schriften der Gegenreformation als Beispiel der mondänen „Frau Sünde“.

Populär haben sich verschiedene Formen der weiblichen Berchten in Brauch und Sage erhalten. Ihnen wird die Kontrolle über Haus und Hof zugewiesen, auch gelten sie als Anführerinnen ungetauft verstorbener Kinder (ein Hinweis auf die katholische Fegefeuer-Lehre). Dietz-Rüdiger Moser versteht die Bezeichnung „Bercht“ (wie verwandte europäische Gestalten und Namen, z.B. italienisch „Befana“, „Stampa“) als Verballhornungen von Epiphanie und sieht darin frühe katechetische Gestalten. Verwandtschaft mit den „Luzeln“ (St. Lucia, 13. Dezember, ein Fest als Hinweis auf das kommende Weihnachtsfest) in ganz Zentral- sowie SO-Europa.

Berchten erscheinen schweigend im Lungau (ebenso Steiermark, Kärnten, Burgenland) einzeln oder paarweise, schwarz und weiß, in alte Fetzen gekleidet, das Gesicht vermummt. Sie kehren die Stuben und tragen eine Schere bei sich, um unsauberen Frauen den gefundenen Kehricht in den Bauch zu stopfen. Eine schwarzweiße Fellperchte aus Golling befindet sich in der Kuenburg-Sammlung (18. Jahrhundert). Die Rauriser Schnabelperchten, in bunte Altkleider gewandet, mit Buckelkorb, Schere und Besen, tragen schnabelartige Gesichtsmasken aus Holz und Tuch, die an mittelalterliche Pestmasken erinnern. Im Pinzgau bettelten und stampften die (u.a. Piesendorfer) Brotperchten, die entweder einzeln zwischen Advent und Weihnachten um Gaben baten oder bis in die 1950er-Jahre zwischen Dreikönig und Aschermittwoch in Maskenumzügen auftraten. Im Rauriser Tal bestanden 1909 noch sogenannte Perchtenkreuze („Marterl“, als Erinnerung an Unglücksfälle; eines ist ausgewiesen als Kirchenstrafe), zu welchen Marie Andrée-Eysn dämonologische Sagen aufzeichnete. Landesfürstliche Verbote zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert zeigen, dass Maskenläufe auch Elemente der sozialen Kontrolle wie der Widerständigkeit aufwiesen; daher wurden sie in Kriegs- und Krisenzeiten sowie zur Wahrung von Moral und Ordnung verboten. Über die nächtlichen Umzüge der weiblichen Bercht existieren viele erzieherische Dämonen- wie Frevel-Sagen. Das 19. Jahrhundert und besonders die NS-Zeit machten Perchtenbräuche und Perchtensagen zum Thema völkischer Auslegung und Indoktrination.

Schönperchten

Stelzperchten, Unken (1939)

Die zweite Gruppe sind die Schönperchten, die heute zwischen Silvester und Aschermittwoch in geordneten Umzügen auftreten. In ihnen vereinen sich Weihnachtsbräuche mit solchen des Faschings. Ihre Figurenpaare und Masken lassen sich (als ländliche eigenständige Rezeption) vielfach mit den ritualisierten höfischen Faschingsfesten in Renaissance und Barock in Beziehung bringen (vergleiche Venedig, Augsburg, Nürnberg). In Gastein, Bischofshofen, Radstadt, St. Johann und Altenmarkt (Pongauer Tafel- oder Kappenperchten, seit 1850 in dieser Form belegt, Kappen heute bis zu 2 m hoch) bestehen die Perchten aus zwölf Tafelperchten, zwei Tierperchten, Wild-, Jagd- und Fetzenperchten, jede mit einer Gesellin bzw. Nachtänzerin (von Männern verkörpert).

Nach archivalischen Berichten stellen sie Umformungen und Umdeutungen einstiger Karnevalsgruppen dar, die starke Einflüsse aus dem italienischen Theater und Karneval, dem mittelalterlichen Predigttheater, dem Lehrtheater der Renaissance, vermischt mit alpenländischen Spielen, Sagen und Vorstellungen, aufweisen. Noch im frühen 19. Jahrhundert bestanden solche als Berchtenlauf bezeichneten Volksspektakel aus theatralischen, grotesken und als fremd empfundenen Figurenpaaren, darunter: Schönperchten mit Larven, Flitter- und Spiegelmasken, „Schiache“ und „Wilde“ in Moos-, Werch-, Zapfen-, Fell-, Leder- und Holzmasken, bettelndes „altes Weib und alter Mann“ bzw. „Pater mit seiner Gretl (ledige Magd mit Fatschenkind)“, Hexe, Bauer und Sennerin, Jäger und Wilderer, Bär und Bärentreiber, „Arzt und Kropfeter“, und immer ein Hanswurst als Spielmacher. Sie besuchen bis heute große Bauernhöfe und deren größere Nachbarschaft, was als Segenswunsch verstanden wird. Sie tanzen, präsentieren sich und führen scherzhafte Spiele und „Hochzeiten“ in Interaktion mit dem Publikum vor. Zu ihren Sonderformen zählen auch die Sprungperchten (Abbildungen in der Kuenburg-Sammlung), die Pinzgauer Tresterer (vormals Krimml; heute in Zell am See, Stuhlfelden/Uttendorf, Bruck, Saalfelden, Unken), und die Unkener Stelzentänzer.

Quellen stellen u.a. die Akten der Pflegschaften und die Verbote im 18. Jahrhundert dar. Vergleichbare Maskengruppen finden sich im ganzen europäischen Alpen- und Voralpengebiet mit katholischer Katechese zur Zeit der Gegenreformation bzw. an den alten Saumhandelsstraßen zwischen Nord und Süd.

Schiach- oder Krampusperchten

Das jüngste Genre sind die Schiach- oder Krampusperchten, männliche Teufelsgestalten, die zwischen dem 5. und 23. Dezember auftreten. Ihre Deutung und Bewertung unterliegt der Deutungshoheit der Vereine, die „Perchtengebote“ werden stets neu ausgehandelt. Schaffelle, Ledergürtel mit einer Kuhglocke und große, mit Tierhörnern verzierte Holzmasken (heute oft Zelluloid, Kautschuk etc.) mit teuflischen oder animalischen Zügen sind ihr Kostüm. Mit Ketten, Kuhschwänzen und Peitschen bewaffnet, rasseln die Perchten, schlagen wild um sich, sie tauchen unerwartet auf. Heute präsentiert sich dieser Brauch zwischen Traditionspflege und Kommerz; dazwischen liegen atavistische Sehnsüchte, Vergnügen der Jugendlichen, Publikumsbelustigung und touristisches Spektakel, getragen von Vereinen.

Früher war das Auftreten der Krampusse an den hl. Nikolaus gebunden, die Masken überschritten kaum die natürliche Körpergröße, die Kostüme waren aus Stoff, Fell, Papier und Pappmaché. Einst waren die Perchten Teufel im aus dem Predigtspiel abgeleiteten ländlichen Nikolausspiel, das als Umlaufspiel die Höfe besuchte und eine psychodramatische Sittenlehre darstellte. Ein lebensgroßer barocker Theaterteufel ist als Stummertaler Teufel (Tiroler Anteil der Diözese Salzburg) im Innsbrucker Volkskunstmuseum erhalten.

Ab 1785 wurden Volksbräuche von kirchlicher und weltlicher Obrigkeit insgesamt im Sinne der Aufklärung verboten. Durch das illegale Fortleben bzw. die städtisch intendierten Wiederaufnahmen im 19. Jahrhundert kam es zur Vermischung der Formen und Bezeichnungen. Zwischen nationaler Romantik und NS-Zeit Suche nach naturkultischen und germanischen Wurzeln, Umdeutungen, Veränderungen, Instrumentalisierung in der NS-Zeit, u.a. durch Kuno Brandauer, Richard Wolfram).

Teilweise führen die Perchten- und Krampuspassen heute einen hl. Nikolaus und ein weibliches Engerl mit. Der Engel ist ein Relikt des Erzengels Michael, der als Seelenwäger in den Nikolausspielen für die Menschen gegen den Teufel Luzifer kämpft. In Stadt und Land Salzburg nehmen seit den 1990er-Jahren die Vereine stark zu, es existieren derzeit weit über 200 eingetragene Krampus- und Schiachperchtenpassen; als Pass wird eine Figurengruppe bezeichnet.

Lit.:

  • U. Kammerhofer-Aggermann: Salzburger Karneval unter Erzbischof Markus Sittikus – ein Gesamtkunstwerk. In: MGSLK 154/155, 2015, S. 241–278.
  • U. Kammerhofer-Aggermann: Masken im Lande Salzburg – Ein Überblick über einige Schwerpunkte einer Kooperation. In: H.L. Cox u.a. (Red.): Kleidung oder Verkleidung – Brauch oder Tradition? In: Rhein. Jb. Volkskunde 36. Bonn 2006, S. 155–183.
  • U. Kammerhofer-Aggermann/G. Dohle: Maskenverbote im 17. und 18. Jahrhundert. In: Bräuche im Salzburger Land. Zeitgeist – Lebenskonzepte – Rituale – Trends – Alternativen. Hg. v. L. Luidold u. U. Kammerhofer-Aggermann, CD-ROM 1. Salzburg 2002. 20 Seiten.
  • H. Schuhladen: Zur Geschichte der Berchtenbräuche im Berchtesgadener Land, in Tirol und Salzburg vom 16. bis zum 19. Jahrhundert In: Bayer. Jb. VK, 1983/84, S. 1–29.
  • D. R. Moser: Bräuche und Feste im christlichen Jahreslauf. Brauchformen der Gegenwart in kulturgeschichtlichen Zusammenhängen, Graz 1983.

U.K.