Brauchtumsvereine: Unterschied zwischen den Versionen
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'''Brauchtumsvereine''' entstanden seit der Mitte des 19. Jh.s am Beispiel großbürgerlicher Gesellschafts- und Kulturvereine, die sich im Zuge des Historismus auch der exotisch und pittoresk erscheinenden »Nationalkultur« und »Nationalcostume« stadtferner heimischer Regionen spielerisch annahmen. Sie nahmen um die Jahrhundertwende Ideen der Nationalökonomie und des Heimatschutzes auf und frönten der Laienethnographie. Für Salzburg sind die 1870 gegründete, mäßig deutschnationale Sektion Salzburg des »Alpenvereins« und der 1882 gegr., gemäßigt liberale »Touristen Club« mit seinen Kostümbällen und Festzügen zu nennen. | '''Brauchtumsvereine''' entstanden seit der Mitte des 19. Jh.s am Beispiel großbürgerlicher Gesellschafts- und Kulturvereine, die sich im Zuge des Historismus auch der exotisch und pittoresk erscheinenden »Nationalkultur« und »Nationalcostume« stadtferner heimischer Regionen spielerisch annahmen. Sie nahmen um die Jahrhundertwende Ideen der Nationalökonomie und des Heimatschutzes auf und frönten der Laienethnographie. Für Salzburg sind die 1870 gegründete, mäßig deutschnationale Sektion Salzburg des »Alpenvereins« und der 1882 gegr., gemäßigt liberale »Touristen Club« mit seinen Kostümbällen und Festzügen zu nennen. | ||
− | 1881 entstand der mittelbürgerliche »Geselligkeitsclub | + | 1881 entstand der mittelbürgerliche »Geselligkeitsclub Edelweiß«, der als erster eine Vereinstracht mit Lederhose, Lodenrock und Federhut hatte. Die 1891 gegr. großbürgerliche →»Alpinia« arbeitete eng mit der Landeskommission (K. →Adrian) zusammen und trug zur Rekonstruktion von Salzburger Tracht und Bräuchen erheblich bei. Ihre Trachtenfestzüge und Bauernhochzeiten trugen zur Ausbildung des exklusiven Salzburger Flairs der ersten Festspieljahre bei. Prägende Persönlichkeiten waren der Vorstand und Gerbermeister August Neubauer, Schulrat K. →Adrian, der Kammersänger R. →Mayr, dessen Bruder, der Bühnenkostümbildner Carl Mayr, der Bankier Richard Spängler u. v. a. Daneben bildeten sich am bayerischen Vorbild zwischen 1880 und 1913 viele kleinbürgerliche Trachtenerhaltungsvereine mit geselligen und gesellschaftspolitischen Interessen aus. Sie ermöglichten vielen Abwanderern vom Lande soziale Einbindung und ein neues, standesähnliches Selbstbewusstsein. |
− | Die Heimatschutzbewegung und schließlich der Ständestaat förderten solche Vereinsbildungen indirekt, da sie darin eine Rekonstruktion der ständischen Gesellschaft sahen. 1908 schlossen sich diese Vereine zum »1. Österreichischen Reichsverband der | + | Die Heimatschutzbewegung und schließlich der Ständestaat förderten solche Vereinsbildungen indirekt, da sie darin eine Rekonstruktion der ständischen Gesellschaft sahen. 1908 schlossen sich diese Vereine zum »1. Österreichischen Reichsverband der Volks- und Gebirgs-Trachten-Erhaltungsvereine« mit Sitz in Salzburg (1939 Auflösung; 1939-45 NS-Gauverband, 1948 Wiederbegründung als Landestrachtenverband; K. →Brandauer) zusammen, der ab 1912 eine gleichnamige Monatsschrift herausgab und für Österreich meinungsbildend wurde. 1926 gründeten 25 Mitgliedsvereine den Salzburger Landes- Trachtenverband. Bereits in den 1920er Jahren wurde die »Trachtensache« im Reichs- wie im Landesverband zum Fanal eines biologistischen und politischen Kulturkampfes, der im Ausschluss der sozialistischen »Arbeitertrachtler« und der Forderung nach einem Verbot des Trachtentragens für Juden (das 1938 für Salzburg tatsächlich erlassen wurde) gipfelte. Zu den tragenden Persönlichkeiten des Reichsverbandes in Salzburg zählten Hans Tiator, K. Brandauer, Cassio Castelpietra (→Amselsingen), Franz Obereder und Toni Blum. |
− | Der 1939 errichtete »Gauverband der Heimat- und Trachtenvereine im Reichsgau Salzburg« wurde weitgehend im Sinne des Nationalsozialismus instrumentalisiert. Ab 1948 nahmen sich die Vereine im »Landstrachtenverband Salzburg« der Erhaltung und Pflege von Brauchtum, Tracht und Volksmusik an und fungierten als Träger lokaler kultureller Bestrebungen. Der Verein »Jung | + | Der 1939 errichtete »Gauverband der Heimat- und Trachtenvereine im Reichsgau Salzburg« wurde weitgehend im Sinne des Nationalsozialismus instrumentalisiert. Ab 1948 nahmen sich die Vereine im »Landstrachtenverband Salzburg« der Erhaltung und Pflege von Brauchtum, Tracht und Volksmusik an und fungierten als Träger lokaler kultureller Bestrebungen. Der Verein »Jung Alpenland« in Salzburg etwa führt im Umkreis der →»Alpinia« entstandene Erneuerungen weiter. 1968 Umbenennung in »Landesverband der Salzburger Heimatvereinigungen«. Sein Veranstaltungs- und Probenzentrum ist der Lainerhof. Bis 1997 war der jeweilige Leiter des Referates Salzburger Heimatpflege (seit 1989 →Volkskultur benannt) auch Landesobmann des Verbandes. 1945 erfolgten die Gründung des Landesverbandes der Blasmusikkapellen und der Zusammenschluss der historischen Schützenkompanien. Die B. umfassten 1998 über 315 Heimatvereinigungen mit 10.500 Mitgliedern, 99 Schützenkorporationen mit 5307 Mitgliedern, 145 Musikkapellen mit 6274 Mitgliedern und 215 Volkslied- bzw. -musikgruppen und -chöre mit 1800 Mitgliedern. |
− | Enger Kontakt besteht zu den über 60 Salzburger →Heimatmuseen und den Museumsvereinen, die im Arbeitskreis »Salzburger Heimatsammlungen« zusammengeschlossen sind. 1997 wurden 2400 Feste von diesen Vereinen mitgetragen. Von 797 Kulturvereinigungen in Salzburg (1998) sind 347 Kultur- und Religionsvereine nicht im Landesverband der Heimatvereinigungen in Salzburg. Auch ihr Ziel ist die Fortführung von Traditionen, die Ausgestaltung von Festen, die Ausbildung von historischem Wir- | + | Enger Kontakt besteht zu den über 60 Salzburger →Heimatmuseen und den Museumsvereinen, die im Arbeitskreis »Salzburger Heimatsammlungen« zusammengeschlossen sind. 1997 wurden 2400 Feste von diesen Vereinen mitgetragen. Von 797 Kulturvereinigungen in Salzburg (1998) sind 347 Kultur- und Religionsvereine nicht im Landesverband der Heimatvereinigungen in Salzburg. Auch ihr Ziel ist die Fortführung von Traditionen, die Ausgestaltung von Festen, die Ausbildung von historischem Wir-Bewusstsein. Dazu gehören etwa die von E. →Markl begründete Salzburger Bürgergarde in der Stadt Salzburg, die als Ehrengarde bei Festlichkeiten fungiert oder (u. a.) den 1982 eingerichteten Georgikirtag auf der Festung Hohensalzburg feiert. In den letzten Jahren entstanden aus gewerblicher und touristischer Initiative vielerlei Vereine (speziell Perchtenpassen), die Bedürfnisse der touristischen und Freizeitgesellschaft nach konsumierbarer »Authentizität« bedienen. Dagegen entstanden in den Kulturvereinen am Land viele Initiativen der Auseinandersetzung mit den Inhalten der Brauchtumsvereine und der gegenwartsbezogenen Veränderung von Lebensbedürfnissen, Ausdrucksformen und Bräuchen. |
− | + | Literatur: | |
* U. Kammerhofer-Aggermann: Die Anfänge der Salzburger Heimatwerks- und Heimatpflegeidee. In: Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg, hg. v. W. Haas (=SBzVK 8), Salzburg 1996, S. 81-120. | * U. Kammerhofer-Aggermann: Die Anfänge der Salzburger Heimatwerks- und Heimatpflegeidee. In: Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg, hg. v. W. Haas (=SBzVK 8), Salzburg 1996, S. 81-120. | ||
− | * G. Kerschbaumer: Organisiertes | + | * G. Kerschbaumer: Organisiertes Heimatbrauchtum in Salzburg. Ebenda, S. 121-132. |
− | * Trachten nicht für jedermann? (=SBzVK 6), hg. v. U. Kammerhofer- Aggermann u. a. Salzburg 1993. | + | * U. Kammerhofer-Aggermann: Volk in Tracht ist Macht. In: M. Feingold (Hg.): Ein ewiges Dennoch, 150 Jahre Juden in Salzburg, Salzburg 1993, S. 177-190. |
+ | * Trachten nicht für jedermann? (=SBzVK 6), hg. v. U. Kammerhofer-Aggermann u. a. Salzburg 1993. | ||
* H. Haas: Zu den Anfängen der Salzburger Brauchtumspflege. Ländliches Brauchtum in der Stadt. In: 100 Jahre Brauchtumspflege (=Schriftenreihe des Landespressebüros, Sonderpublikation 90), S. 9-25. | * H. Haas: Zu den Anfängen der Salzburger Brauchtumspflege. Ländliches Brauchtum in der Stadt. In: 100 Jahre Brauchtumspflege (=Schriftenreihe des Landespressebüros, Sonderpublikation 90), S. 9-25. | ||
Version vom 15. November 2016, 05:25 Uhr
Brauchtumsvereine entstanden seit der Mitte des 19. Jh.s am Beispiel großbürgerlicher Gesellschafts- und Kulturvereine, die sich im Zuge des Historismus auch der exotisch und pittoresk erscheinenden »Nationalkultur« und »Nationalcostume« stadtferner heimischer Regionen spielerisch annahmen. Sie nahmen um die Jahrhundertwende Ideen der Nationalökonomie und des Heimatschutzes auf und frönten der Laienethnographie. Für Salzburg sind die 1870 gegründete, mäßig deutschnationale Sektion Salzburg des »Alpenvereins« und der 1882 gegr., gemäßigt liberale »Touristen Club« mit seinen Kostümbällen und Festzügen zu nennen.
1881 entstand der mittelbürgerliche »Geselligkeitsclub Edelweiß«, der als erster eine Vereinstracht mit Lederhose, Lodenrock und Federhut hatte. Die 1891 gegr. großbürgerliche →»Alpinia« arbeitete eng mit der Landeskommission (K. →Adrian) zusammen und trug zur Rekonstruktion von Salzburger Tracht und Bräuchen erheblich bei. Ihre Trachtenfestzüge und Bauernhochzeiten trugen zur Ausbildung des exklusiven Salzburger Flairs der ersten Festspieljahre bei. Prägende Persönlichkeiten waren der Vorstand und Gerbermeister August Neubauer, Schulrat K. →Adrian, der Kammersänger R. →Mayr, dessen Bruder, der Bühnenkostümbildner Carl Mayr, der Bankier Richard Spängler u. v. a. Daneben bildeten sich am bayerischen Vorbild zwischen 1880 und 1913 viele kleinbürgerliche Trachtenerhaltungsvereine mit geselligen und gesellschaftspolitischen Interessen aus. Sie ermöglichten vielen Abwanderern vom Lande soziale Einbindung und ein neues, standesähnliches Selbstbewusstsein.
Die Heimatschutzbewegung und schließlich der Ständestaat förderten solche Vereinsbildungen indirekt, da sie darin eine Rekonstruktion der ständischen Gesellschaft sahen. 1908 schlossen sich diese Vereine zum »1. Österreichischen Reichsverband der Volks- und Gebirgs-Trachten-Erhaltungsvereine« mit Sitz in Salzburg (1939 Auflösung; 1939-45 NS-Gauverband, 1948 Wiederbegründung als Landestrachtenverband; K. →Brandauer) zusammen, der ab 1912 eine gleichnamige Monatsschrift herausgab und für Österreich meinungsbildend wurde. 1926 gründeten 25 Mitgliedsvereine den Salzburger Landes- Trachtenverband. Bereits in den 1920er Jahren wurde die »Trachtensache« im Reichs- wie im Landesverband zum Fanal eines biologistischen und politischen Kulturkampfes, der im Ausschluss der sozialistischen »Arbeitertrachtler« und der Forderung nach einem Verbot des Trachtentragens für Juden (das 1938 für Salzburg tatsächlich erlassen wurde) gipfelte. Zu den tragenden Persönlichkeiten des Reichsverbandes in Salzburg zählten Hans Tiator, K. Brandauer, Cassio Castelpietra (→Amselsingen), Franz Obereder und Toni Blum.
Der 1939 errichtete »Gauverband der Heimat- und Trachtenvereine im Reichsgau Salzburg« wurde weitgehend im Sinne des Nationalsozialismus instrumentalisiert. Ab 1948 nahmen sich die Vereine im »Landstrachtenverband Salzburg« der Erhaltung und Pflege von Brauchtum, Tracht und Volksmusik an und fungierten als Träger lokaler kultureller Bestrebungen. Der Verein »Jung Alpenland« in Salzburg etwa führt im Umkreis der →»Alpinia« entstandene Erneuerungen weiter. 1968 Umbenennung in »Landesverband der Salzburger Heimatvereinigungen«. Sein Veranstaltungs- und Probenzentrum ist der Lainerhof. Bis 1997 war der jeweilige Leiter des Referates Salzburger Heimatpflege (seit 1989 →Volkskultur benannt) auch Landesobmann des Verbandes. 1945 erfolgten die Gründung des Landesverbandes der Blasmusikkapellen und der Zusammenschluss der historischen Schützenkompanien. Die B. umfassten 1998 über 315 Heimatvereinigungen mit 10.500 Mitgliedern, 99 Schützenkorporationen mit 5307 Mitgliedern, 145 Musikkapellen mit 6274 Mitgliedern und 215 Volkslied- bzw. -musikgruppen und -chöre mit 1800 Mitgliedern.
Enger Kontakt besteht zu den über 60 Salzburger →Heimatmuseen und den Museumsvereinen, die im Arbeitskreis »Salzburger Heimatsammlungen« zusammengeschlossen sind. 1997 wurden 2400 Feste von diesen Vereinen mitgetragen. Von 797 Kulturvereinigungen in Salzburg (1998) sind 347 Kultur- und Religionsvereine nicht im Landesverband der Heimatvereinigungen in Salzburg. Auch ihr Ziel ist die Fortführung von Traditionen, die Ausgestaltung von Festen, die Ausbildung von historischem Wir-Bewusstsein. Dazu gehören etwa die von E. →Markl begründete Salzburger Bürgergarde in der Stadt Salzburg, die als Ehrengarde bei Festlichkeiten fungiert oder (u. a.) den 1982 eingerichteten Georgikirtag auf der Festung Hohensalzburg feiert. In den letzten Jahren entstanden aus gewerblicher und touristischer Initiative vielerlei Vereine (speziell Perchtenpassen), die Bedürfnisse der touristischen und Freizeitgesellschaft nach konsumierbarer »Authentizität« bedienen. Dagegen entstanden in den Kulturvereinen am Land viele Initiativen der Auseinandersetzung mit den Inhalten der Brauchtumsvereine und der gegenwartsbezogenen Veränderung von Lebensbedürfnissen, Ausdrucksformen und Bräuchen.
Literatur:
- U. Kammerhofer-Aggermann: Die Anfänge der Salzburger Heimatwerks- und Heimatpflegeidee. In: Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg, hg. v. W. Haas (=SBzVK 8), Salzburg 1996, S. 81-120.
- G. Kerschbaumer: Organisiertes Heimatbrauchtum in Salzburg. Ebenda, S. 121-132.
- U. Kammerhofer-Aggermann: Volk in Tracht ist Macht. In: M. Feingold (Hg.): Ein ewiges Dennoch, 150 Jahre Juden in Salzburg, Salzburg 1993, S. 177-190.
- Trachten nicht für jedermann? (=SBzVK 6), hg. v. U. Kammerhofer-Aggermann u. a. Salzburg 1993.
- H. Haas: Zu den Anfängen der Salzburger Brauchtumspflege. Ländliches Brauchtum in der Stadt. In: 100 Jahre Brauchtumspflege (=Schriftenreihe des Landespressebüros, Sonderpublikation 90), S. 9-25.
U.K.