Brauchtumspflege: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Brauchtumspflege''' wurde in den 1930er Jahren zum Begriff für den in der Heimatschutzbewegung (K. →Adrian) entwickelten Gedanken, neben der Denkmalpflege auch nichtmaterielle kulturelle Erscheinungen aus ihrem natürlichen Wandel herauszuheben, sie zu erhalten und zu pflegen und damit Interessen der Gewerbeförderung, Volksbildung und des Fremdenverkehrs zu verbinden.
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'''Brauchtumspflege''' wurde in den 1930er-Jahren zum Begriff für den in der [[Heimatschutz]]-Bewegung ([[Karl Adrian]]) entwickelten Gedanken, neben der Denkmalpflege auch nichtmaterielle kulturelle Erscheinungen aus ihrem natürlichen Wandel herauszuheben, zu erhalten und mit Interessen der Gewerbeförderung, Volksbildung und des Fremdenverkehrs zu verbinden.
  
Der Begriff wurde im Umkreis der Erhaltungs- und →Brauchtumsvereine zu einem Schlagwort, mit dem sich der Erhalt einer für besser erachteten regionalen (im Nationalsozialismus dann rassischen), weitgehend ländlichen Kultur verband (K. →Brandauer). Erste Ansätze einer organisierten Brauchtumspflege bewirkte in Salzburg die 1910/11 begründete »Landeskommission betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen«, die 1910-18 und 1922- 38 existierte. Ihre Gründung geht auf Bestrebungen des Vereines für Heimatschutz in Salzburg (1908 begr.), besonders auf den Leiter der Fachabteilung IV, K.→Adrian, der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, der Volkstrachten, Erhaltungs-Vereine (besonders der Gastwirt und Vereinsgründer Leopold Brandauer, 1865-1947), der →Alpinia (der Lederhosenerzeuger August Neubauer), des Edelweißclub u. a. zurück. Bereits in den ersten Jahren bewirkte sie die Erfassung von noch vorhandenen Trachten, Sitten und Bräuchen sowie Ansätze zu deren Dokumentation. Die Arbeiten dieser Kommission sind verschollen, Ergebnisse sind in Einzelaufsätzen und den Landtagsprotokollen erhalten. Damit begannen die »Modegestaltung der Volkstrachten« (1912) und »Schutz und Pflege von Sitte, Tracht, Gebräuchen, Sprache und Volkslied« (1913). Die Darstellungen jener Zeit zeigen, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits viele Bräuche vergessen und einige bereits an bayerischen Vereinsvorbildern »wiedererneuert« worden waren. Ab 1922 war mit der Brauchtumspflege der Vereine vielfach auch ein Rassen- und Klassenkampf im Sinne des Nationalsozialismus verbunden. Im NS wurde B. in Verbindung mit »Volkstumspflege« zum Mittel der Indoktrination.
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Der Begriff wurde im Umkreis der [[Brauchtumsvereine]] zu einem Schlagwort, mit dem sich der Erhalt einer für besser erachteten regionalen (im Nationalsozialismus: rassischen), weitgehend ländlichen Kultur verband ([[Kuno Brandauer]]). Erste Ansätze einer organisierten Brauchtumspflege bewirkte in Salzburg die 1910/11 begründete ''Landeskommission betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen'', die 1910–18 und 1922–38 existierte. Ihre Gründung geht auf Bestrebungen des Vereins für Heimatschutz in Salzburg (1909), besonders auf den Leiter der Fachabteilung IV, Karl Adrian, die Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, die Volkstrachten-Erhaltungs-Vereine (v.a. Gastwirt Leopold Brandauer, 1865–1947), die [[Alpinia]] (der Lederhosenerzeuger August Neubauer), den Edelweißclub u.a. zurück.
  
Nach dem 2. Weltkrieg wurde B. zum Inhalt der Heimatpflegeorganisationen der Vereine wie Länder (→Volkskultur), sie diente der Reorganisation des Österreich-Bewußtseins und erhielt Raum in Schulbüchern, Erwachsenenbildung und öffentlicher Selbstdarstellung der Länder und Gemeinden. Zwischen 1960 und den 1980er Jahren nahm B. häufig kritische Positionen gegenüber dem Einsatz von Bräuchen zu touristischen Zwecken ein. Seit den 1980er Jahren ist der Begriff aufgrund seiner mehrfachen zeitgeschichtlichen Belastung weitgehend im Verschwinden begriffen, denn →Brauchtumsvereine und »Salzburger →Volkskultur« verstehen sich heute als weiterführende Gestalter einer auf Traditionen beruhenden regionalen Kultur und nicht als Träger absolut gesetzter historischer Formen. So entwickelten sich die gegenwärtig üblichen Begriffe Volkskultur und Regionalkultur für eine in der Tradition fußende, wandelbare Fest- und Alltagskultur breiter Bevölkerungsschichten, die tätige Mitgestaltung ermöglicht und in kleinen Gruppierungen zu einem Konsens im Bezug auf den Sinn des Lebens führt.
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Bereits in den ersten Jahren bewirkte sie die Erfassung von noch vorhandenen Trachten, Sitten und Bräuchen sowie Ansätze zu deren Dokumentation. Die Arbeiten dieser Kommission sind verschollen, Ergebnisse sind in Einzelaufsätzen und den Landtagsprotokollen erhalten. Damit begannen die ''Modegestaltung der Volkstrachten'' (1912) und ''Schutz und Pflege von Sitte, Tracht, Gebräuchen, Sprache und Volkslied'' (1913). Die Darstellungen jener Zeit zeigen, dass in den zwei Jahrzehnten davor bereits viele Bräuche vergessen und einige bereits an bayerischen Vereinsvorbildern „wiedererneuert“ worden waren. Ab 1922 war mit der Brauchtumspflege der Vereine vielfach auch ein Rassen- und Klassenkampf im Sinne des Nationalsozialismus verbunden. Im NS wurde Brauchtumspflege in Verbindung mit „Volkstumspflege“ zum Mittel der Indoktrination.
  
Literatur:
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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Brauchtumspflege zum Inhalt der Heimatpflegeorganisationen der Vereine wie Länder ([[Volkskultur]]); sie diente der Reorganisation des Österreich-Bewusstseins und erhielt Raum in Schulbüchern, Erwachsenenbildung und öffentlicher Selbstdarstellung der Länder und Gemeinden. Zwischen 1960 und den 1980er-Jahren nahm Brauchtumspflege häufig kritische Positionen gegenüber dem Einsatz von Bräuchen zu touristischen Zwecken ein. Seit den 1980er Jahren ist der Begriff aufgrund seiner mehrfachen zeitgeschichtlichen Belastung weitgehend im Verschwinden begriffen.
  
* Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg (=SBzVK 8), hg. v. W. Haas, Salzburg 1996.
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Brauchtumsvereine und Salzburger Volkskultur verstehen sich heute als weiterführende Gestalter einer auf Traditionen beruhenden regionalen Kultur und nicht als Träger absolut gesetzter historischer Formen. So entwickelten sich die gegenwärtig üblichen Begriffe „Volkskultur“ und „Regionalkultur“ für eine auf der Tradition fußende, wandelbare Fest- und Alltagskultur breiter Bevölkerungsschichten, die tätige Mitgestaltung ermöglicht und in kleinen Gruppierungen zu einem Konsens in Bezug auf den Sinn des Lebens führt.
* H. Dengg, R. Floimair (Hg.): 100 Jahre Brauchtumspflege. Salzburger Landesfest 1990 (Landespressebüro, Sonderpublikation 90), Salzburg 1990.
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* Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Hg. v. W. Haas, Salzburg 1996.
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*H. Dengg, R. Floimair (Hg.): 100 Jahre Brauchtumspflege. Salzburg 1990.
  
 
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Aktuelle Version vom 21. Juni 2021, 17:37 Uhr

Brauchtumspflege wurde in den 1930er-Jahren zum Begriff für den in der Heimatschutz-Bewegung (Karl Adrian) entwickelten Gedanken, neben der Denkmalpflege auch nichtmaterielle kulturelle Erscheinungen aus ihrem natürlichen Wandel herauszuheben, zu erhalten und mit Interessen der Gewerbeförderung, Volksbildung und des Fremdenverkehrs zu verbinden.

Der Begriff wurde im Umkreis der Brauchtumsvereine zu einem Schlagwort, mit dem sich der Erhalt einer für besser erachteten regionalen (im Nationalsozialismus: rassischen), weitgehend ländlichen Kultur verband (Kuno Brandauer). Erste Ansätze einer organisierten Brauchtumspflege bewirkte in Salzburg die 1910/11 begründete Landeskommission betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen, die 1910–18 und 1922–38 existierte. Ihre Gründung geht auf Bestrebungen des Vereins für Heimatschutz in Salzburg (1909), besonders auf den Leiter der Fachabteilung IV, Karl Adrian, die Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, die Volkstrachten-Erhaltungs-Vereine (v.a. Gastwirt Leopold Brandauer, 1865–1947), die Alpinia (der Lederhosenerzeuger August Neubauer), den Edelweißclub u.a. zurück.

Bereits in den ersten Jahren bewirkte sie die Erfassung von noch vorhandenen Trachten, Sitten und Bräuchen sowie Ansätze zu deren Dokumentation. Die Arbeiten dieser Kommission sind verschollen, Ergebnisse sind in Einzelaufsätzen und den Landtagsprotokollen erhalten. Damit begannen die Modegestaltung der Volkstrachten (1912) und Schutz und Pflege von Sitte, Tracht, Gebräuchen, Sprache und Volkslied (1913). Die Darstellungen jener Zeit zeigen, dass in den zwei Jahrzehnten davor bereits viele Bräuche vergessen und einige bereits an bayerischen Vereinsvorbildern „wiedererneuert“ worden waren. Ab 1922 war mit der Brauchtumspflege der Vereine vielfach auch ein Rassen- und Klassenkampf im Sinne des Nationalsozialismus verbunden. Im NS wurde Brauchtumspflege in Verbindung mit „Volkstumspflege“ zum Mittel der Indoktrination.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Brauchtumspflege zum Inhalt der Heimatpflegeorganisationen der Vereine wie Länder (Volkskultur); sie diente der Reorganisation des Österreich-Bewusstseins und erhielt Raum in Schulbüchern, Erwachsenenbildung und öffentlicher Selbstdarstellung der Länder und Gemeinden. Zwischen 1960 und den 1980er-Jahren nahm Brauchtumspflege häufig kritische Positionen gegenüber dem Einsatz von Bräuchen zu touristischen Zwecken ein. Seit den 1980er Jahren ist der Begriff aufgrund seiner mehrfachen zeitgeschichtlichen Belastung weitgehend im Verschwinden begriffen.

Brauchtumsvereine und Salzburger Volkskultur verstehen sich heute als weiterführende Gestalter einer auf Traditionen beruhenden regionalen Kultur und nicht als Träger absolut gesetzter historischer Formen. So entwickelten sich die gegenwärtig üblichen Begriffe „Volkskultur“ und „Regionalkultur“ für eine auf der Tradition fußende, wandelbare Fest- und Alltagskultur breiter Bevölkerungsschichten, die tätige Mitgestaltung ermöglicht und in kleinen Gruppierungen zu einem Konsens in Bezug auf den Sinn des Lebens führt.

Lit.:

  • Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Hg. v. W. Haas, Salzburg 1996.
  • H. Dengg, R. Floimair (Hg.): 100 Jahre Brauchtumspflege. Salzburg 1990.

U.K.