Queeres Salzburg: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 17. Mai 2018, 11:33 Uhr

„Definition“ und Bedeutungswandel

Für den Begriff „queer“ gibt es keine einheitliche Definition, die Unbestimmtheit gehört zu den Charakteristika. Zwar ist „queer“ in den und in Bezug auf die „Lesbian- and Gay-Communities“ der USA entstanden, jedoch meint „queer“ mehr als Homosexualität, mehr als Kritik an Heteronormativität. „Queer“ beinhaltet nicht nur Kritik an Geschlechternormen, sondern an Machtverhältnissen, an einer weißen, hegemonialen Homosexualität. Ein „queeres“ Leben findet jenseits von (Geschlechter)-Normen statt. Es braucht Räume, in denen man normunangepasst leben kann, die zeitlich und örtlich variabel und in weiten Teilen im (unsichtbaren) Privatleben verortet sind. Der Begriff „queer“ fand ursprünglich pejorative Anwendung für Menschen, die anders, fremd, eigenartig erschienen und dadurch verdächtig waren. In erster Linie traf dies auf jene zu, die nicht eindeutig als männlich oder weiblich identifiziert werden konnten, oder die unter Verdacht standen, homosexuell zu sein. V.a. US-amerikanische „Lesbian- and Gay Communities“ haben das Schimpfwort „queer“ zur Selbstbeschreibung übernommen. Die Aufnahme in akademische Diskurse, die Formierung der „Queer Studies“ brachte Bedeutungsveränderungen mit sich. In Nordamerika und Großbritannien hat „queer“ vor Jahrzehnten Eingang in politische und akademische Debatten gefunden. In die deutschsprachige Diskurslandschaft wurde er durch die Soziologin Sabine Hark Anfang der 1990er Jahre eingeführt. Seit einigen Jahren ist er in Salzburg nicht mehr nur im akademischen Bereich gebräuchlich, sondern auch in politisch-aktivistischen Zusammenhängen sowie in der Alltagsprache der Menschen, die sich als „queer“ bezeichnen, der LGBTIQ* (Lesbian-Gay-Bi-Trans-Intersex-Queer*) Community. Der Asterisk am Ende der Buchstabenfolge soll alle (Geschlechts-)Identitäten inkludieren. In Salzburg gibt es Initiativen und Einrichtungen, die queere Räume öffnen, sei es um sich zu vernetzen, um zu forschen und zu lehren, um Kultur und Medien zu schaffen oder um politisch aktiv zu sein: mit dem Ziel, queeres Leben öffentlich zu machen, vor Diskriminierung zu schützen und in eine „Normalität“ zu bringen, wobei letzteres dem Ansatz von „queer“ eigentlich entgegensteht.


Politische Bewegungen / Beratung Der Verein "Homosexuelle Initiative Salzburg", „HOSI Salzburg“, gegründet 1980, ist eine Initiative für lesbische, schwule, bisexuelle, transidente und intersexuelle Menschen in Stadt und Land Salzburg, die sich für Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung einsetzt. 1988 bekam die HOSI ihren ersten öffentlich zugänglichen Raum in der Müllner Hauptstraße. Eines der ersten Angebote war das "Rosa Telefon", ein telefonischer Beratungsdienst (2001 durch persönliche Beratungsgespräche erweitert), der von geschulten Mitarbeiter*innen betreut wird. In den 1990er Jahren wurde eine Bibliothek/Videothek eingerichtet. 1995 gründete sich mit der "Jungen HOSI" ein schwul-lesbische Jugendgruppe, 2002 ein Transgender-Treff und monatlich findet ein Lesbenabend statt. Im Herbst 2000 kam es aufgrund von Medienberichten über die prekäre Situation des Vereins und der beständigen Diskriminierung zur Verabschiedung der „Salzburger Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung“. Dadurch gelang es, eine Gruppe für „Regenbogenfamilien“, in denen mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder intergeschlechtlich ist, einzurichten, weiters Beratung für „Queer Refugees“ und Inter*Personen. Das Projekt „Schule der Vielfalt“ tritt für ein Bildungssystem ein, in dem Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern unterschiedlicher Herkunft, Muttersprache, Religion oder sexueller Orientierung akzeptiert werden. Darüber hinaus besteht die Reihe „Queer Topics“, in der in Kooperation mit Salzburger Einrichtungen LGBTIQ*-Themen der Öffentlichkeit nähergebracht werden. Die Zeitschrift „Coming in“ bietet Information für interessierte Salzburger*innen. HOSI unterstützte den Walk4IDAHOT (International Day Against Homophobia and Transphobia) gegen Homo- und Transphobie. Das FLIT*Z (FrauenLesbenInterTrans*Zentrum) Salzburg ist ein Kollektiv (gegründet 2015), das für alle, die sich als Frauen, Lesben, Inter*personen oder Trans*menschen identifizieren auf Basis des DIY- (do it yourself) Prinzips Raum öffnen möchte. DIY versteht FLIT*Z als Selbstermächtigung, -organisation, Eigeninitiative und Improvisation, verknüpft mit der Ablehnung von Autoritäten, passivem Konsumverhalten und Vorgaben der klassischen Medien. Das FLIT*Z organisiert öffentliche Kundgebungen, Demonstrationen, Konzerte, Lesungen und Vorträge mit gesellschaftskritischem Impetus, und ruft zu Boykotten auf. Seit Oktober 2017 bietet FLIT*Z monatlich das FLIT* Beisl in Salzburg Stadt an, das offen für alle Frauen*, Lesben*, inter, trans und non-binary Personen ist. Der Infoladen Salzburg bietet als Verein Raum für Bewegungen gegen ein herrschendes Wirtschaftssystem. Interessierte können Informationen über Feminismus, Gender, Antifaschismus, Repression, Globalisierung, Migration, (Sub-)Kulturen, Kampf gegen Antisemitismus etc. diskutieren. Die „Aneignung des öffentlichen Raumes von unten“ auch für LGBTIQ* Personen ist ein erklärtes Ziel. Eine weitere Informationsquelle für queere Personen in Salzburg ist der Veranstaltungskalender „Molly“. COURAGE ist eine seit 2001 vom Bund anerkannte Beratungsstelle für gleichgeschlechtliche und trans*gender Lebensweisen und bietet kostenlos Beratung für LGBTIQ* und heterosexuell orientierte Personen an. Die Einrichtung versteht sich als PartnerInnen-, Familien- und Sexualberatungsstelle. Seit 2016 gibt es COURAGE in Salzburg. Aktuell werden multimediale Beratungsangebote sowie Gruppen („Young*Trans Salzburg“, „Trans*Partner*innen Salzburg“, „Queer*Family Salzburg“) angeboten. 2018 wird zum ersten Mal in Österreich ein Freizeitcamp für Trans* und Inter* Kinder ab 10 Jahren und für Jugendliche bis 22 Jahren organisiert.


Bildung Das gendup – Zentrum für Gender Studies der Universität Salzburg, das seit 2001 besteht, bündelt frauen- und geschlechterspezifische Aktivitäten. Darunter fallen die Koordination des interdisziplinären Studienschwerpunkts „Gender Studies“ sowie Projekte zur Stärkung der Position von Frauen in der Wissenschaft. 1982 wurden durch die Einrichtung eines Sonderkontingents für frauenspezifische Lehrveranstaltungen durch Ministerin H. Firnberg diese an der Universität Salzburg möglich. Mit der Institutionalisierung des Zentrums wurde der Schwerpunkt auf Gender Studies gelegt, die einen differenzierten Blick auf Geschlechter- und Machtverhältnisse werfen. Die Lehrveranstaltungen, darunter Theorien der „Queer Studies“, die als Studienergänzung der Universität Salzburg angeboten werden, können Studierende mit einem eigenen Zertifikat abschließen. Das gendup beherbergt ist eine Zeitschriften- und Literatursammlung mit über 1000 Büchern, ergänzt durch queer-/feministische Zeitschriften und Abschlussarbeiten. Weiters lagern dort Archivbestände von queer-/feministischen Zeitungsmacher*innen, begleitet von Protokollen und Notizen sowie Originalausgaben der ersten Stunde. Sie bieten eine Quelle für Forschungs- und Rechercheprojekte und gewähren Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Feminismus, der Gender und Queer Studies. Das queer-/feministische Zines-Archiv umfasst mehr als 2000 Zines und ist eines der größten im deutschsprachigen Raum. Der Bestand wird im Rahmen von Forschung und Lehre, sowie im außeruniversitären Kontext genutzt. Das Institut für Gleichstellung und Gender Studies an der Universität Mozarteum, das vom Rektorat 2015 eingerichtet wurde, widmet sich der Durchführung genderspezifischer Veranstaltungen im Feld der Erschließung und Entwicklung der Künste sowie der Geschlechterforschung. Es bündelt alle Maßnahmen zu Gleichstellung, Diversitätsmanagement, Gender Mainstreaming und Geschlechterforschung. Ein spezielles Angebot für die, auch interuniversitäre, Lehre stellt die Studienergänzung „Künste I Geschlechter I Forschung“ dar. Zielsetzung ist die Aneignung fundierter theoretischer und methodischer Kenntnisse der Geschlechterforschung aus inter- und transdisziplinärer Perspektive unter Berücksichtigung der Künste. Im Zentrum der Wissens- und Kunstvermittlung steht die Erarbeitung gendergerechter Problemlösungen sowie die Gestaltung gesellschaftlicher Organisationsformen, Ausübung von Gleichstellungs-Agenden sowie die Kenntnis von Phänomenen im Spannungsverhältnis zwischen gendersensibler Kunstproduktion, -rezeption und -vermittlung. Das an der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig verortete, 2017 gegründete Bundeszentrum für Geschlechterpädagogik und -forschung (BZGPF) ist die jüngste Bildungseinrichtung im Bereich Gender Studies in Salzburg. Vor dem Hintergrund der Bedeutsamkeit von Geschlecht in pädagogischen Berufen und in Lehr- und Lernprozessen stellt das BZGPF ein Kompetenz-, Koordinations- und Informationszentrum in der Pädagog*innenbildung im Bereich Genderkompetenz und Geschlechterpädagogik dar. Es betreibt Forschung und ist bestrebt, die Erkenntnisse bundesweit in Fort-, Weiterbildungs- und Vernetzungsformaten zur Verfügung zu stellen. Die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH) hat ihre Aufgabengebiete in verschiedene Referate gegliedert. Eine queere Interessensgruppe vertritt das Referat für Frauen, LGBTQIA+ und Genderpolitik, das in Salzburg seit 2017 besteht. Die Student*innen sind partei- und fraktionsunabhängig und engagieren sich in gesellschaftspolitischen Bereichen für Feminismus und queer-feministischen Diskurse, Frauenförderung, Gewalt und sexuelle Gewalt gegen Frauen, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Ein weiterer Schwerpunkt besteht in der Förderung der universitären LGBTQIA* Gemeinschaft. Das LGBTIQA* Referat bietet einen „safe space“ an, in dem vertraulich gesprochen werden kann.


Kultur- und Medienproduktion Die Radiofabrik Salzburg, betrieben vom Verein „Freier Rundfunk Salzburg“ ist ein nicht-kommerzielles „Freies Radio“, das Programmbereiche für Feminismus und „Queerness“ öffnet. Aktuell wird monatlich die Sendung „Skrupellose Fische“ übertragen, in der Gender, Rollenbilder und Geschlechter hinterfragt werden. Seit 2002 wurde wöchentlich eine Sendung von Frauen für Frauen in Salzburg, „Frauenzimmer“ gestaltet, die weitere spin-offs anstieß. Die →ARGEkultur öffnet immer wieder den Raum für (geschlechter)kritische und „queere“ Veranstaltungen. Etliche Kulturbetriebe aus Stadt und Land Salzburg bringen immer wieder Produktionen, die sich mit LGBTIQ* Themen auseinandersetzen, egal ob als „Queer“ oder „Mainstream“ interpretiert. Schwer sind „Queere Räume“ in Salzburg zu definieren. „Queeres“ Leben lässt sich dort finden, wo es frei von Diskriminierungen sein kann. Dies sind häufig alternative, gesellschaftskritische Bereiche. Dennoch sind diese nicht vor Diskriminierungen gefeit. Im Gegenzug können „queere“ Elemente in „traditionellen“ Umgebungen, kulturellen Einrichtungen, auch in Glaubensstätten sichtbar werden. Was „Queer“, oder doch "Mainstream" ist, hängt von der Eigendefinition und vom Blick von außen ab.

Weblinks:

Literatur:

  • D. Eribon: Rückkehr nach Reims. Berlin 2017.
  • M. Barker: Queer. A Graphic History. London 2016.
  • H. Voß u. S. Wolter: Queer und (Anti-)Kapitalismus. Stuttgart 2013.
  • P. Baumgartinger: queer. kwir(r). In: Referat für Homobitrans-Angelegenheiten der ÖH der Universität Wien: queeropedia. Wien 2009, S. 94-98.
  • A. Jagose: Queer Theory. Eine Einführung. Berlin 2005.

C.B.