Queeres Salzburg

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Definition und Bedeutungswandel

Für den Begriff queer gibt es keine einheitliche Definition, die Unbestimmtheit gehört zu den Charakteristika. Zwar ist queer in den und in Bezug auf die Lesbian- and Gay-Communities der USA entstanden, jedoch meint queer mehr als Homosexualität, mehr als Kritik an Heteronormativität. Queer beinhaltet nicht nur Kritik an Geschlechternormen, sondern auch an Machtverhältnissen und an einer weißen, hegemonialen Homosexualität. Ein queeres Leben findet jenseits von (Geschlechter-)Normen statt.

Der Begriff queer fand ursprünglich pejorative Anwendung für Menschen, die „anders, fremd, eigenartig erschienen und dadurch verdächtig“ waren. In erster Linie traf dies auf jene zu, die nicht eindeutig als männlich oder weiblich identifiziert werden konnten oder die unter Verdacht standen, homosexuell zu sein. Vor allem US-amerikanische Lesbian- and Gay-Communities haben das Schimpfwort queer zur Selbstbeschreibung übernommen. Die Aufnahme in akademische Diskurse, die Formierung der Queer Studies brachte Bedeutungsveränderungen mit sich. In Nordamerika und Großbritannien hat queer vor Jahrzehnten Eingang in politische und akademische Debatten gefunden. In die deutschsprachige Diskurslandschaft wurde der Begriff durch die Soziologin Sabine Hark Anfang der 1990er-Jahre eingeführt. Seit einigen Jahren ist er in Salzburg nicht mehr nur im akademischen Bereich gebräuchlich, sondern auch in politisch-aktivistischen Zusammenhängen sowie in der Alltagssprache der Menschen, die sich als queer bezeichnen, der LGBTIQA* (Lesbian-Gay-Bi-Trans-Intersex-Queer-Asexual*) Community. Der Asterisk am Ende der Buchstabenfolge soll alle (Geschlechts-)Identitäten inkludieren. In Salzburg gibt es Initiativen und Einrichtungen, die queere Räume öffnen, sei es um sich zu vernetzen, um zu forschen und zu lehren, um Kultur zu schaffen oder um politisch aktiv zu sein: mit dem Ziel, queeres Leben öffentlich zu machen, vor Diskriminierung zu schützen und in eine Normalität zu bringen, wobei letzteres dem Ansatz von queer eigentlich entgegensteht.

Politische Bewegungen/Beratung

Der Verein Homosexuelle Initiative Salzburg (HOSI Salzburg), gegründet 1980, ist eine Initiative für lesbische, schwule, bisexuelle, transidente und intersexuelle Menschen in Stadt und Land Salzburg, die sich für Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung einsetzt. 1988 bekam die HOSI ihren ersten öffentlich zugänglichen Raum in der Müllner Hauptstraße. Eines der ersten Angebote war das Rosa Telefon, ein telefonischer Beratungsdienst (2001 durch persönliche Beratungsgespräche erweitert), der von geschulten Mitarbeiter*innen betreut wird. In den 1990er-Jahren wurde eine Bibliothek/Videothek eingerichtet. 1995 gründete sich mit der Jungen HOSI eine schwul-lesbische Jugendgruppe, 2002 ein Transgender-Treff und monatlich findet ein Lesbenabend statt. Im Herbst 2000 kam es aufgrund von Medienberichten über die prekäre Situation des Vereins und der beständigen Diskriminierung zur Verabschiedung der Salzburger Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung. Dadurch gelang es, eine Gruppe für „Regenbogenfamilien“, in denen mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder intergeschlechtlich ist, einzurichten, weiters Beratung für Queer Refugees und Inter*Personen. Das Projekt Schule der Vielfalt tritt für ein Bildungssystem ein, in dem Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern unterschiedlicher Herkunft, Muttersprache, Religion oder sexueller Orientierung akzeptiert werden. Darüber hinaus besteht die Reihe Queer Topics, in der in Kooperation mit Salzburger Einrichtungen LGBTIQA*-Themen der Öffentlichkeit nähergebracht werden. Die Zeitschrift Coming in bietet Information für interessierte Salzburger*innen. HOSI unterstützte den Walk4IDAHOT (International Day Against Homophobia and Transphobia) gegen Homo- und Transphobie.

Das FLIT*Z (FrauenLesbenInterTrans*Zent-rum) Salzburg ist ein Kollektiv (gegründet 2015), das für alle, die sich als Frauen, Lesben, Inter*personen oder Trans*menschen identifizieren, auf Basis des DIY (do it yourself)-Prinzips Raum öffnen möchte. DIY versteht FLIT*Z als Selbstermächtigung, -organisation, Eigeninitiative und Improvisation, verknüpft mit der Ablehnung von Autoritäten, passivem Konsumverhalten und Vorgaben der klassischen Medien. Das FLIT*Z organisiert öffentliche Kundgebungen, Demonstrationen, Konzerte, Lesungen und Vorträge mit gesellschaftskritischem Impetus und ruft zu Boykotten auf. Seit Oktober 2017 bietet FLIT*Z monatlich das FLIT* Beisl in Salzburg Stadt an, das offen für alle Frauen*, Lesben*, Inter, Trans und Non-binary Personen ist.

Der Infoladen Salzburg bietet als Verein Raum für Bewegungen gegen ein herrschendes Wirtschaftssystem. Interessierte können Informationen über Feminismus, Gender, Antifaschismus, Repression, Globalisierung, Migration, (Sub-)Kulturen, Kampf gegen Antisemitismus etc. diskutieren. Die „Aneignung des öffentlichen Raumes von unten“ auch für LGBTIQA* Personen ist ein erklärtes Ziel. Eine weitere Informationsquelle für queere Personen in Salzburg ist der Veranstaltungskalender „Molly“. COURAGE ist eine seit 2001 vom Bund anerkannte Beratungsstelle für gleichgeschlechtliche und trans*gender Lebensweisen und bietet kostenlos Beratung für LGBTIQA* und heterosexuell orientierte Personen an. Die Einrichtung versteht sich als Partner*innen-, Familien- und Sexualberatungsstelle. Seit 2016 gibt es COURAGE in Salzburg. Aktuell werden multimediale Beratungsangebote sowie Gruppen (Young*Trans Salzburg, Trans*Partner*innen Salzburg, Queer*Family Salzburg) angeboten. 2018 wird zum ersten Mal in Österreich ein Freizeitcamp für Trans* und Inter* Kinder ab 10 Jahren und für Jugendliche bis 22 Jahren organisiert.

Bildung

Das gendup – Zentrum für Gender Studies der Universität Salzburg, das seit 2001 besteht, bündelt frauen- und geschlechterspezifische Aktivitäten. Darunter fallen die Koordination des interdisziplinären Studienschwerpunkts „Gender Studies“ sowie Projekte zur Stärkung der Position von Frauen in der Wissenschaft. 1982 wurden durch die Einrichtung eines Sonderkontingents durch Ministerin Herta Firnberg frauenspezifische Lehrveranstaltungen an der Universität Salzburg möglich. Mit der Institutionalisierung des Zentrums wurde der Schwerpunkt auf Gender Studies gelegt, die einen differenzierten Blick auf Geschlechter- und Machtverhältnisse werfen. Die Lehrveranstaltungen, darunter Theorien der Queer Studies, die als Studienergänzung der Universität Salzburg angeboten werden, können Studierende mit einem eigenen Zertifikat abschließen.

Das gendup beherbergt eine Zeitschriften- und Literatursammlung mit über 1.000 Büchern, ergänzt durch queer-/feministische Zeitschriften und Abschlussarbeiten. Weiters lagern dort Archivbestände von queer-/feministischen Zeitungsmacher*innen, begleitet von Protokollen und Notizen sowie Originalausgaben der ersten Stunde. Sie bieten eine Quelle für Forschungs- und Rechercheprojekte und gewähren Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Feminismus, der Gender und Queer Studies. Das queer-/feministische Zines-Archiv umfasst mehr als 2.000 Zines (Publikationen in kleiner Auflage, die von Amateuren hergestellt werden) und ist eines der größten im deutschsprachigen Raum. Der Bestand wird im Rahmen von Forschung und Lehre sowie im außeruniversitären Kontext genutzt.

Das Institut für Gleichstellung und Gender Studies an der Universität Mozarteum, das vom Rektorat 2015 eingerichtet wurde, widmet sich der Durchführung genderspezifischer Veranstaltungen im Feld der Erschließung und Entwicklung der Künste sowie der Geschlechterforschung. Es bündelt alle Maßnahmen zu Gleichstellung, Diversitätsmanagement, Gender Mainstreaming und Geschlechterforschung. Ein spezielles Angebot für die (auch interuniversitäre) Lehre stellt die Studienergänzung Künste I Geschlechter I Forschung dar. Zielsetzung ist die Aneignung fundierter theoretischer und methodischer Kenntnisse der Geschlechterforschung aus inter- und transdisziplinärer Perspektive unter Berücksichtigung der Künste. Im Zentrum der Wissens- und Kunstvermittlung steht die Erarbeitung gendergerechter Problemlösungen sowie die Gestaltung gesellschaftlicher Organisationsformen, Ausübung von Gleichstellungs-Agenden sowie die Kenntnis von Phänomenen im Spannungsverhältnis zwischen gendersensibler Kunstproduktion, -rezeption und -vermittlung.

Das an der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig verortete, 2017 gegründete Bundeszentrum für Geschlechterpädagogik und -forschung (BZGPF) ist die jüngste Bildungseinrichtung im Bereich Gender Studies in Salzburg. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Geschlecht in pädagogischen Berufen und in Lehr- und Lernprozessen stellt das BZGPF ein Kompetenz-, Koordinations- und Informationszentrum in der Pädagog*innenbildung im Bereich Genderkompetenz und Geschlechterpädagogik dar. Es betreibt Forschung und ist bestrebt, die Erkenntnisse bundesweit in Fort-, Weiterbildungs- und Vernetzungsformaten zur Verfügung zu stellen. Die Österreichische Hochschüler*innenschaft (ÖH) hat ihre Aufgabengebiete in verschiedene Referate gegliedert. Eine queere Interessengruppe vertritt das Referat für Frauen, LGBTQIA* und Genderpolitik, das in Salzburg seit 2017 besteht. Die Student*innen sind partei- und fraktionsunabhängig und engagieren sich in gesellschaftspolitischen Bereichen für Feminismus und queer-feministische Diskurse zu den Themen Frauenförderung, Gewalt und sexuelle Gewalt gegen Frauen, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Ein weiterer Schwerpunkt besteht in der Förderung der universitären LGBTIQA* Gemeinschaft. Das LGBTIQA* Referat bietet einen „safe space“ an, in dem vertraulich gesprochen werden kann.

Kultur- und Medienproduktion

Die Radiofabrik Salzburg, betrieben vom Verein Freier Rundfunk Salzburg ist ein nicht-kommerzielles Freies Radio, das Programmbereiche für Feminismus und Queerness öffnet. Aktuell wird monatlich die Sendung Skrupellose Fische übertragen, in der Gender, Rollenbilder und Geschlechter hinterfragt werden. Seit 2002 wurde wöchentlich eine Sendung von Frauen für Frauen in Salzburg, Frauenzimmer, gestaltet, die weitere spin-offs anstieß. Die ARGEkultur öffnet immer wieder den Raum für (geschlechter-)kritische und queere Veranstaltungen.

Etliche Kulturbetriebe aus Stadt und Land Salzburg bringen immer wieder Produktionen, die sich mit LGBTIQA* Themen auseinandersetzen, egal ob als queer oder mainstream interpretiert. Schwer sind queere Räume in Salzburg zu definieren. Queeres Leben lässt sich dort finden, wo es frei von Diskriminierungen sein kann. Dies sind häufig alternative, gesellschaftskritische Bereiche. Dennoch sind diese nicht vor Diskriminierungen gefeit. Im Gegenzug können queere Elemente in traditionellen Umgebungen, kulturellen Einrichtungen, auch in Glaubensstätten sichtbar werden. Was queer oder doch mainstream ist, hängt von der Eigendefinition und vom Blick von außen ab.

Weblinks:

Lit.:

  • D. Eribon: Rückkehr nach Reims. Berlin 2017.
  • M. Barker: Queer. A Graphic History. London 2016.
  • H. Voß,. S. Wolter: Queer und (Anti-)Kapitalismus. Stuttgart 2013.
  • P. Baumgartinger: queer. kwir(r). In: Referat für Homobitrans-Angelegenheiten der ÖH der Universität Wien: queeropedia. Wien 2009, S. 94–98.
  • A. Jagose: Queer Theory. Eine Einführung. Berlin 2005.

C.B.