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Version vom 13. November 2016, 03:32 Uhr
Perchten.
Hinter dem Namen P(B)ercht verbergen sich drei unterschiedliche Gestalten und Bräuche, denn nachweislich seit dem 17. Jh. wurde das Wort »Berchte« als Synonym für Maske verwendet. Seit dem frühen Mittelalter ist »Frau Berchte« (meist mit B geschrieben) archivarisch nachweisbar; sie tritt am Vorabend des Dreikönigstages (5. 1., kirchl. Hochfest Epiphanie, Erscheinung des Herrn, bis zum 4. Jh. einer der Termine für das Weihnachtsfest, in der Ostkirche bis heute) dem P/Berchtenabend auf. Darstellungen als vermummte Frau mit der langen Nase in mittelalterlichen Codices, häufig unter den Arbeiten der Mönche, in Sebastian Francks Weltbuch und als Beispiel der »Frau Sünde« in Schriften der Gegenreformation. Im Volk haben sich verschiedene Formen dieser Berchten erhalten: ihnen wird die Kontrolle über Haus und Hof zugewiesen, und sie gelten als die Führerinnen ungetauft verstorbener Kinder. D. R. Moser versteht die Bezeichnung »Bercht« (ebenso wie verwandte europäische Gestalten und Namen, z. B. ital. »Befana«) als Verballhornungen von Epiphanie und sieht darin frühe katechetische Gestalten. Verwandtschaft mit den Luzelfrauen und Berchten in ganz Zentral- sowie SO-Europa. Berchten erscheinen im Lungau paarweise, eine schwarz, eine weiß, in alte Fetzen gekleidet, das Gesicht vermummt. Sie kehren die Stuben und tragen eine Schere bei sich, um unsauberen Frauen den gefundenen Kehricht in den Bauch zu stopfen. Eine schwarzweiße Fellperchte befindet sich in der →Kuenburg-Sammlung. Die Rauriser Schnabelperchten, in bunte Altkleider gewandet, mit Buckelkorb, Schere und Besen, tragen schnabelartige Gesichtsmasken aus Holz und Tuch, die an mittelalterliche Teufelsfratzen und Pestmasken erinnern. Auch die drohenden und bettelnden Brotperchten (Pinzgau) sind hier zu nennen. Im Rauriser Tal bestanden 1909 noch Perchtenkreuze, unter ihnen sollen menschliche Perchtenläufer, die einer tatsächlichen Percht begegnet sein sollen, begraben sein. Verbote zwischen dem 17. und 19. Jh. zeigen aber, daß alle Maskenläufe auch Elemente der sozialen Kontrolle aufwiesen und daher vielfach von der Obrigkeit verboten worden waren. Es kam zu Raufhändeln, zu Kritik an der Obrigkeit, zu Unmoral und Suff, Aufstände wurden befürchtet. Über die Berchte existieren viele Sagen.
Die zweite Gruppe sind die »Schönperchten«, die heute zwischen Silvester und Aschermittwoch in geordneten Umzügen auftreten. In Gastein, Bischofshofen, Radstadt, St. Johann und Altenmarkt (Pongauer Kappenperchten, seit 1850 in dieser Form belegt, Tafelkappen heute bis zu 2 m hoch) bestehen die P. aus zwölf Tafelperchten, zwei Tierperchten, Wild-, Jagd- und Fetzenperchten, jede mit einer Gesellin bzw. Nachtänzerin (von Männern verkörpert). Nach archivalischen Berichten stellen sie Umformungen und Umdeutungen einstiger Karnevalsgruppen dar, die starke Einflüsse aus dem italienischen Theater und Karneval, dem mittelalterlichen Predigttheater, dem Lehrtheater der Renaissance, vermischt mit alpenländischen Spielen, Sagen und Vorstellungen, aufweisen. Noch im frühen 19. Jh. bestanden solche als »Berchtenlauf« bezeichneten Volksspektakel aus verschiedenen Figuren, die ebenfalls paarweise auftraten, u. a. den Schönperchten mit Larven, kleinen Flitter- und Spiegelmasken und Kränzen, den »schiachen« Perchten in Fell-, Leder- und Holzmasken, der Hexe und dem Kasperl oder Hanswurst, dem Pater mit seiner Gretl, Sennerin und Jäger, dem Bären und dem Bärentreiber u. a. Sie besuchten die Höfe, was als Segenswunsch verstanden wurde, führten scherzhafte Spiele und Hochzeiten durch, tanzten, tresterten (stampfender, rhythmischer Sprungschritt) jagten das Publikum. Zu ihren Sonderformen zählten die Sprungperchten (Abb. in der Kuenburg-Sammlung), aus denen sich um 1900 die heutigen Formen der Pinzgauer (Unken: 1750 strenge Strafen, 1911/12 Wiedereinführung; Stuhlfelden: eindrucksvolle Masken mit Hühnerfedern und Bändern, rot-weiße Brokatkostüme, Wiedereinführung in Stuhlfelden 1963, Abb. um 1870 erhalten, erste Erneuerung um 1920 durch Verein →Alpinia in Salzburg.) Tresterer und Stelzperchten (Unken) entwickelten. Genaue Schilderungen geben uns Akten der Pflegschaftsgerichte bei Ahndung von Verstößen gegen die Verbote im 18. Jh. Vergleichbare Maskengruppen finden sich im ganzen europäischen Alpen- und Voralpengebiet mit kath. Katechese zur Zeit der Gegenreformation.
Das jüngste Genre sind die »Krampusperchten«, männliche Teufelsgestalten, die zwischen dem 5. und 23. Dezember auftreten. Schafffelle, Ledergürtel mit einer Kuhglocke und große, mit Tierhörnern verzierte Holzmasken mit teuflischen oder animalischen Zügen sind ihr Kostüm. Mit Ketten und Peitschen bewaffnet rasseln die Perchten, schlagen wild um sich, sie tauchen unerwartet auf. Heute präsentiert sich dieser Brauch zwischen Traditionspflege und Kommerz, dazwischen liegen atavistische Sehnsüchte, Vergnügen der Jugendlichen, Publikumsbelustigung und touristisches Spektakel, getragen von Vereinen. Früher war das Auftreten der Krampusse an den hl. Nikolaus gebunden, die Masken überschritten kaum die natürliche Körpergröße, die Kostüme waren aus Stoff, Fell, Papier und Pappmaché. Einst waren die »Perchten« Teufel im kirchlichen Nikolausspiel, das sich auf den Dorfplatz und in die Häuser bewegte und dabei volkstümlicher wurde, besonders in der Gegenreformation. Ein schöner barocker Theaterteufel ist als »Brixentaler Teufel« (Tiroler Anteil der Diözese Salzburg) im Innsbrucker Volkskunstmuseum erhalten. Ab 1785 wurden Volksbräuche von kirchlicher und weltlicher Obrigkeit als Anlass für ungehörige Späße, Streitigkeiten und Unmoral verboten. Bereits im 17. Jh. bezeichnete der Ausdruck »B/Percht« jede Maske. Zwischen dem 17. Jh. und dem 19. Jh. langsame Übertragung des Namens und Vermischung der Formen. Zwischen nationaler Romantik und NS-Zeit Suche nach naturkultischen und germanischen Wurzeln, Umdeutungen, Veränderungen. K.→Brandauer bemühte sich um die Begründung von Perchtenpassen, Instrumentalisierung in der NS-Zeit. In Stadt und Land Salzburg existieren derzeit über 180 eingetragene Krampuspassen.
Literatur:
- U. Kammerhofer-Aggermann: Perchtenlaufen zwischen Mythos und Carneval. In: SV 1, 1998, S. 74-84.
- H. Schuhladen: Zur Geschichte der Berchtenbräuche im Berchtesgadener Land, in Tirol und Salzburg vom 16. bis zum 19. Jh. In: Bayer. Jb. f. VK, 1983/84, S. 1-29.
- D. R. Moser: Bräuche und Feste im christlichen Jahreslauf. Brauchformen der Gegenwart in kulturgeschichtlichen Zusammenhängen, Graz 1983.
U.K.