Architektur der Sommerfrische

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Architektur der Sommerfrische Die touristische Kulturform der S. lässt sich in Salzburg zeitlich auf die Zeit der 1860er Jahre bis zum Ersten Weltkrieg eingrenzen. Die neue Zweite Gesellschaft, das Großbürgertum der Gründerzeit - welche in Salzburg unterrepräsentiert war - (Gelehrte, Künstler, Unternehmer, Industrielle, Kaufleute, Ärzte etc.) war in dieser Zeit finanzkräftig genug für das Statussymbol des mehrmonatigen Aufenthaltes (in der Regel drei Sommermonate) im Müßiggang. Es stammte vornehmlich aus Wien und Prag, war zu einem größeren Teil jüdisch und fand in den geschlossenen, familiären Milieus die in den Städten verwehrte Integration. Voraussetzung für diese Entwicklung waren eine gute Erreichbarkeit der Orte (Ausbau des Eisenbahnnetzes →Bauten des Verkehrs) , aber auch günstige klimatische Bedingungen und landschaftliche Schönheit (Antithese zwischen Tal und Berg, idealerweise mit See). Der Aufenthalt diente – im Gegensatz zum Ausflugs- oder alpinen Tourismus - rein der Erholung ohne Anstrengungen in der Natur. Die gesamte Familie (die Männer großteils nur am Wochenende) übersiedelte mit Dienstboten und Hausrat an den Urlaubsort. In sozialer Intimität blieb man in der Familie. Je nach Vermögensverhältnissen wohnte man in Zimmer oder Wohnung sowie Bauernhaus oder Villa in Miete, Hotel oder Gasthof oder der eigenen, das restliche Jahr über leer stehenden Villa. Die Folgen für Architektur und Ortsbild waren ein Ausbau der allgemeinen wie touristischen Infrastruktur, u.a. durch Verschönerungsvereine finanziell unterstützt von den Gästen, die sich in Kleidung und Architektur den Bräuchen anpassten. Anfangs baute man im verallgemeinerten alpinen Schweizerhaus- oder Heimatstil. Erst mit der Heimatschutzbewegung (Heimatschutzstil), die auch durch den Jugendstil rezipiert wurde, setzte sich eine lokalere Form der Architektur der S. durch, die sich in Dachformen, Farbe und Material an Vorbildern vor Ort orientierte. Die Architektur täuschte unter Verwendung lokaler Baumaterialien, bäuerlicher Motive und der Kombination verschiedener Dachformen, Grund- und Aufrissen gewachsene Strukturen vor. In Flächigkeit und Dekorationslosigkeit der Wände dem Vorbild anonymer Architektur folgend, zeigen die oft gigantische Größe der Villenanlagen mit diversen Nebengebäuden sowie die Einrichtung (englische Halle, Einbaumöbel) deutlich das Repräsentationsbedürfnis ihrer Bauherren. Der enge Bewegungskreis als Binnenkosmos der S. und ihre Ausrichtung auf den Blick spiegelte sich nun noch verstärkter in Bauelementen (Balkone, Ruhebänken, Pavillons) aber auch mittels einer durchdringenden Verbindung zwischen Wohn- und nach der englischen Landhauskonzeption gestaltetem wie natürlichem Freiraum durch großzügige Öffnungen bzw. Aufenthaltsbereiche (Loggien, Erkern oder Terrassen).

Die erste Villa in den Salzburger S.-orte des Salzkammergutes St. Gilgen und Strobl war 1864 die Villa Frauenstein des Salzburger Feigenkaffeefabrikanten und Präsidenten der Handelskammer Franz Zeller nach eigenen Entwürfen. Durch die verbesserte Verkehrserschließung (ab 1873 Wolfgangseeschifffahrt, ab 1893 Salzkammergut Lokalbahn →Bauten des Verkehrs) setzte die S. dann verstärkt ein, 1882 siedelt sich die Familie des Bienenforschers Karl von Frisch und sein Schwiegervater Universitätsprofessor Franz Exner in Bestandsgebäuden in Brunnwinkel an. Ab 1883 kam der deutsche Chirurg Theodor von Billroth. Seine 1884 von Leopold Theyer errichtete Villa wird der kultureller und gesellschaftlicher Treffpunkt (u.a. J. →Brahms, Johann Strauß). Um die Jahrhundertwende beauftragen die fast durchgehend jüdischen und miteinander verwandt oder geschäftlich verbundenen Bauherren bedeutende Architekten des Prager, Wiener bzw. auch Münchner Jugend- und Heimatschutzstils. Den Beginn macht 1901 der Siebenbürgener Architekt und Maler Hermann Giesel, 1904 baut A. H. Pecha (→QUERVERWEIS EINFÜGEN) für Anna Blaschczik, die Schwester des Industriellen und Generaldirektor der Prager Eisenindustrie-Gesellschaft Wilhelm Kestranek, eine Villa um. 1905 errichtet der örtliche Baumeister Hans Brandl mit der Villa Nebrich für den Prager Großindustriellen und Direktor der Poldi-Hütte Karl Nebrich im Schweizerhausstil. 1906 folgt der Prager Jurist Ferdinand Tonder, der den Mitbegründer der tschechischen Moderne und Otto-Wagner-Schüler J. →Kotěra (→QUERVERWEIS EINFÜGEN) mit seiner Villa am See beauftragt. Im gleichen Jahr errichtet O. →Novotný (→QUERVERWEIS EINFÜGEN) (ein Schüler →Kotěras - offenbar von ihm empfohlen – und späteren Vertreter des Tschechischen Kubismus), für den jüdischen Prager kaiserlichen Rat und Direktor der Zuckerfabrikenversicherung Moriz Riemer eine Villa. Zugehörig ist ein Bootshaus von Heinrich Fanta (1931) mit einem Holzboot H. v. →Hofmannsthals. 1908 folgt die für Wilhelm Kestranek (ein Geschäftspartner von Nebrich) vom Münchner Architekt E. v. →Seidl (→QUERVERWEIS EINFÜGEN) geplante Jugendstil-Villenanlage. Im Nationalsozialismus enteignet und durch Hermann Göring genutzt, seit 1956 im Besitz des Vereines „Rettet das Kind“. Für den jüdischen Wiener Bankier Max Feilchenfeld folgt 1909 der Landsitz Feilchenfeld, ein riesiges Ensemble aus Wohnhaus, Bootshaus sowie weiteren Bauten von A. H. →Pecha. Seit 1949 Hotel Billroth. 1912 folgt die Neue König-Villa von Eugène und Gabriele Koenig und 1929 schließt der Promenaden-Pavillon (Abbruch 1980er) mit einem Papageno von Michael Powolný die Baureihe ab. Mit singulärer Stellung in der S. St. Gilgens: der 1911 durch Franz Schönthaler (→QUERVERWEIS EINFÜGEN) errichtete Ferienhort, welcher der Sommererholung für Wiener Schulkinder ohne finanzielle Mittel diente. Antijüdische Maßnahmen begannen in St. Gilgen früh und gingen von Sport- und Tourismusvereinen aus (z.B.1901 Verwehrung der Mitgliedschaft durch den Union-Yacht-Club), 1938 und 1939 folgten Arisierungen. In Strobl schätzten zahlreiche Bauherren die Jagdgebiete der ruhigen Gemeinde. Einige der Villen sind heute verändert oder abgebrochen. Gut erhalten sind die Villen des Wiener Fabriksdirektors George Schinteliffe-Blakey (1906, 1924 Aufstockung für den Wiener Bankdirektor Otto Deutsch vom Prager Architekten Viktor Kafka) die Villa Dr. Schaser (1912 Eduard Pölz) und Villa Wallace (1914 Hans Brandl). Im erst 1898 mit der Lokalbahn erschlossenen Pinzgau entwickelte sich nur in Thumersbach am Zeller See eine Sommerfrische: 1900 von E. v. →Seidl errichtetes Landhaus für den Wiener Landgerichtsrat Dr. von Brücke und dessen Frau Emilie →Wittgenstein (→QUERVERWEIS ANLEGEN!), nachdem bereits die ältere Schwester Clara →Wittgenstein (→QUERVERWEIS ANLEGEN!) hier ein Landhaus gebaut hatte. Unken und Lofer konnten zwar Gäste aus verschiedenen Zentren der Habsburgermonarchie anziehen, bemerkenswerte Villen fehlen allerdings. Detto im 1875 an das Bahnnetz angeschlossenen Golling. Eher Ausnahmen waren die Voralpen-Seen, denen die stilgerechte Einbettung ins Hochgebirge fehlte (Henndorfer Seehaus des gebürtigen Wiener Fabrikanten Oskar Lainer). Trotz des gebotenen Müßiggangs war Poeten, Künstlern usw. eine Tätigkeit erlaubt. So verbringt Gustav →Klimt (→QUERVERWEIS ANLEGEN!) 1899 einigen Woche zur Sommerfrische in Golling (erstes Bild im berühmten quadratischen Format mit hohem Horizont). Auch der Philosoph Ludwig →Wittgenstein (→QUERVERWEIS ANLEGEN!) arbeitete in der S. in der Villa (1874 erbaut, 1894 umgebaut, 2015 Abriss) seines Onkels, des Wiener Industriellen Paul →Wittgenstein (→QUERVERWEIS ANLEGEN!) in Oberalm, u.a. beendete er 1918 hier den "Tractatus logico-philosophicus". Saalfelden verblieb zwar vorwiegend Touristenstation, L. →Ehrenberger erb. hier aber 1904 Bau ein Atelier und 1906 auch eine Jugendstilvilla nach eigenem Entwurf. Bad Gastein war als traditioneller Kurort eigentlich nicht der Sommerfrische zuzuordnen. Sigmund Freud verbrachte hier dennoch 1916-23 jeden Sommer in der Villa Dr. Wassing (1895-97 J. →Wessicken). Auch Salzburger Vororte waren mitunter Sommerfrische. So verbrachte die Wiener jüdische Familie Sporer zehn Sommer lang in Parsch, bis sie nach dem 1. WK vertrieben wurde. Das Landhaus Pfanzelter wurde 1915 von M. →Knoll wohl nach Entwürfen des Salzburger Bürgers F. →Pfanzelter erb., das per Tramwaystrecke der „Roten Elektrischen“ (→Bauten des Verkehrs) gut an die Stadt angebunden war.

Lit.:

  • J. Breuste: Jugendstil in Salzburg. Salzburg 2013.
  • Verein Ferienhort (Hrsg.): 100 Jahre Ferienhort am Wolfgangsee. Wien 2011.
  • E. A. Eichinger: St. Wolfgang lässt uns nicht mehr los: jüdische Sommerfrischegäste im Spannungsfeld von Idylle, Antisemitismus und Vertreibung. Dipl.arb. Univ. München 2011.
  • H. Haas: Der Traum von Dazugehören. Juden auf Sommerfrische. In: R. Kriechbaumer (Hrsg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg. Wien / Köln / Weimar 2002. S. 41-58.
  • H. Pinezits: Sommerfrische am Wolfgangsee. Villenarchitektur in Strobl zwischen 1880 und 1936. Dipl.arb. Univ. Salzburg 1997.
  • H. Haas: Die Sommerfrische – eine verlorene touristische Kulturform. In: H. Haas / R. Hoffmann / K. Luger: Weltbühne und Naturkulisse. Zwei Jahrhunderte Salzburg-Tourismus. Salzburg 1994. S. 67-75
  • H. Haas: Die Sommerfrische – Ort der Bürgerlichkeit. In: H. Stekl: „Durch Arbeit, Besitz, Wissen und Gerechtigkeit“. Wien 1992, S. 362-377.
  • M. Oberhammer: Sommervillen im Salzkammergut. Die spezifische Sommerfrischearchitektur des Salzkammergutes in der Zeit von 1830 bis 1918. Salzburg 1983.

J.B.