Saumwege
Saumwege.
Wegbarmachung und Verkehrsentwicklung der Alpen sind eines der bedeutendsten Kapitel der Kulturgeschichte dieses Raumes. Die Hohen Tauern trennen durch ihre Ost-West-Richtung wie eine Mauer den süddt. Raum vom nördlichen Adriagebiet, den Quertälern kam deshalb verkehrsgeschichtlich grundlegende Bedeutung zu. Langgezogene Talfurchen führen zu hochgelegenen Passübergängen, die durch sog. S. schon sehr früh aufgeschlossen wurden, jedenfalls aber von den Römern benützt, angelegt oder weiter ausgebaut wurden. Stets war, auch bei widrigsten Weg- und Witterungsverhältnissen, die Kürze einer Strecke wichtiger als ihre leichte Begehbarkeit, war die wirtschaftlich und kulturell verbindende Wirkung eines Übergangs stärker als die trennende Barriere der Natur. Die geistlichen Salzburger Landesfürsten waren aus wirtschaftlichen Gründen sehr besorgt um den Schutz der Säumer und Reisenden und errichteten als Stützpunkte sog. „Tauernhäuser“ (Hospize, Wacht- und Raststationen), deren Aufgaben auch der Schutz der Reisenden und das Wegmachen waren. Trotz dieser Sicherungs- und Schutzmaßnahmen waren viele Todesopfer zu beklagen (s. etwa Passfriedhof in Obertauern). Wichtigste Handelsgüter waren Salz („weißes Gold“), Eisen, andere Metalle, Leder, Häute, Wolle, Leinwand, Alpenpflanzen, Halbedelsteine und Holz in den Süden, von dort kamen Gold- und Silberwaren, Samt, Seide, Gewürze, Südfrüchte, Öl, Wein. Zur Zeit des Saumhandels zogen Säumergruppen mit mehreren Knechten, vielen Pferden (Norikern) und Schlitten für die Großsäumer (Handelshäuser und Wirte) über die Tauern. Schon im 12. Jh. wurden die Waren mit Steuern belegt. Und vom 12. bis zum 17. Jh. waren Salzburger Kaufleute bedeutende Inhaber von Kammern im Handelshaus des Römischen Reiches in Venedig, dem Fondaco dei Tedesci; da sie dort zur Verwaltungseinheit „Schwaben-Tafel“ gehörten, benützten sie die Saumwege der gegenseitigen Zuständigkeit. Die Salzburger stellten zwischen 1500 und 1580 viermal den Konsul der Handelsdelegation des Reiches. Wichtige Übergänge waren der Katschberg und der Radstädter Tauern, der Felbertauern und die Oberpinzgauer Tauerntäler. Mit den Niedergang des Saumhandels im 17. Jh., begann der kleinräumige Handel der ebenfalls behördlich erfassten Wanderhändler resp. „Kraxenträger“, teils direkt als „Hausierer“ zur Kundschaft, teils als Transporteure vom hausindustriellen Erzeuger zum Verleger. In dieser Weise zogen bis ins 20. Jh. Marktleute, Handwerker, Teppichhändler, Oleatenhändler (u.a. Theriak, Pechöle) über die Tauern. Auch Viehhändler bzw. im 19. Jh. die transhumante Viehzucht vom Ahrntal nach Krimml nutzten die Tauernübergänge. Entlang der Saumwege entwickelte sich neben der Saumtierzucht eine frühe kommerzielle und ab dem 19. Jh. touristische Infrastruktur und ein reger Kulturaustausch. So erhielten viele Bräuche in diesen Alpentälern kulturelle Impulse u.a. aus Venedig, Bozen, Nürnberg und Augsburg sowie von Wanderschauspielern und Schaustellern. Saumwege dienten stets auch als Schmuggel- und Fluchtwege. Im Sommer 1947 überquerten auf dem Saumweg von Krimml ins Südtiroler Ahrntal 5000 von der israelischen Bricha geführte jüdische Displaced Persons (insgesamt überquerten 50.000 die Alpen) die Tauern am Weg nach Palästina. 1997 wurde eine Gedenktafel beim Krimmler Tauernhaus enthüllt. Seit 2007 findet jährlich der Gedenkmarsch „Alpine Peace Crossing“ statt.
Lit.:
- G. Ammerer: Der Tyroler und die Tyrolerin. Zur Stereotypisierung von frühneuzeitlichen alpinen Hausierern und Hausiererinnen. In: Tiroler Heimat 67, 2003, 203-220.
- O. Benvenuti: Säumer und Fuhrleute. Die Transporteure der Vergangenheit. Hohenems 1998, S.134-140.
- Th. Albrich(Hg.): Flucht nach Eretz Israel: die Bricha und der jüdische Exodus durch Österreich nach 1945. Innsbruck Wien 1998.
- H. Waitzbauer (Hg.): Das Krimmler Tauernhaus. Die alte Taferne in der Achen. Festschrift. Salzburg 1989.
- Vom Saumpfad zur Autobahn. 5000 Jahre Verkehrsgeschichte der Alpen, Ausstellungskat., München 1978.
- H. Klein, Der Saumhandel über die Tauern. In: MGSLK 90, 1950, S. 37–114
U.K.