Thomas Bernhard

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
Wechseln zu: Navigation, Suche

Bernhard, Thomas, * Heerlen bei Maastricht (Holland) 9. 2. 1931, † Gmunden 12. 2. 1989. Schriftsteller.

Seine Mutter ist die Tochter des Schriftstellers J. →Freumbichler, der Vater Alois Zuckerstätter, ein Bauernsohn aus Henndorf († 1943 in Frankfurt/ Oder). Seine Kindheit verlebte B. bei seinen Großeltern in Wien und ab 1937 in Seekirchen am Wallersee. Mit dem Großvater war er auch Gast bei C. →Zuckmayer in der »Wiesmühl« in Henndorf. 1943-44 lebte B. in einem Internat in Salzburg, 1945-46 im Johanneum in der Schrannengasse. Im ersten Band seiner Jugendautobiographie »Die Ursache. Eine Andeutung« (1975) stellte B. die Erlebnisse im nationalsozialistischen wie im kath. Schülerheim künstlerisch dar. Das Humanistische Gymnasium verließ er 1947, um bei einem Lebensmittelhändler in Lehen eine Kaufmannslehre zu beginnen (vgl. »Der Keller. Eine Entziehung«, 1976). Im feuchten Keller des Geschäfts holte er sich eine Rippenfellentzündung, 1949 eine Lungenentzündung und erhielt die »Letzte Ölung«. Zur gleichen Zeit starb sein Großvater (11. 2. 1949). Ergreifend beschreibt B. diese Grenzsituation in »Der Atem. Eine Entscheidung« (1977). Der Großvater war die formende Persönlichkeit seiner Jugend gewesen. Er hatte auf langen Spaziergängen die musische Entwicklung des Enkels gefördert und war ihm zum Künstler- Vorbild geworden. 1950 starb seine Mutter. »In der Lungenheilstätte Grafenhof (1950-51) begann ich, immer den Tod vor Augen, zu schreiben. Daran wurde ich vielleicht wieder hergestellt« (Lebenslauf 1954). Die weiteren Bände seiner Jugendautobiographie sind »Die Kälte. Eine Isolation« (1981), als Schilderung des Aufenthaltes in Grafenhof, und »Ein Kind« (1982), als Erzählung seiner frühesten Kindheit. B.s längst vergessene literarische Erstlinge sind in Salzburger Zeitungen erschienen: »Das rote Licht« im SV v. 19. 6. 1950 (Pseud.: Thomas Fabian) und »Vor eines Dichters Grab« im SV v. 12. 7. 1950 (Pseud.: Niklas van Heerlen). Ab 1952 veröffentlichte B. unter seinem bürgerlichen Namen, so z. B. mehrere Lyrikbände im Otto Müller Verlag. 1952 begann er ein Gesang- und Schauspiel-Studium am →Mozarteum, das er 1957 mit einer (verschollenen) Arbeit über Artaud und →Brecht abschloß. Neben dem Studium schrieb er Gerichtsreportagen und andere Beiträge für das sozialistische »Demokratische Volksblatt« in Salzburg. Seit 1957 lebte B. als freier Schriftsteller, seit 1965 wohnte er auf einem Bauernhof in Ohlsdorf (OÖ.). Daß vor allem »Die Ursache« sowohl Liebe für Salzburg als auch Hass gegen Salzburg enthält, hat die Kritik bald erkannt. B. empfindet vor allem die Unvereinbarkeit von höchster architektonischer Schönheit und enger Kleinbürgermentalität. Salzburg ist ihm ein »Todesmuseum «, das die Entwicklung junger Menschen behindert: »Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit.« Diese Salzburg-Beschimpfung hat zwei Seiten: die Betroffenheit der Salzburger über B.s Behauptungen und die Bewunderung dieser Bücher durch Nicht-Salzburger. Ernst Wendt trifft den Kern, wenn er meint, dass sich hinter der »grausamen, nichts verschonenden Vergangenheitsbewältigung, dem wütenden verletzten Autor womöglich unbewusst, auch eine Liebeserklärung verberge«. Und weiter: »Ich wüßte nicht, wo in der dt. Literatur das Angstklima der Bombennächte so nachdrücklich und wahrhaftig beschrieben worden wäre« wie hier (»Die Zeit« v. 29. 8. 1975). Diese Bücher stellen B. in die Reihe großer Salzburg Kritiker, zu denen auch W. A. →Mozart und G. →Trakl gehören. Ab 1969 schrieb B. in dichter Folge auch Dramen. Seine Zusammenarbeit mit den Salzburger →Festspielen begann mit der einmaligen (Ur-)Aufführung des Stückes »Der Ignorant und der Wahnsinnige« (29. 7. 1972). Das nicht gelöschte Notlicht in der letzten Szene führte zum Streit zwischen Regisseur und Festspieldirektion. Es gab keine weiteren Aufführungen mehr; der ORF hatte die Inszenierung jedoch aufgezeichnet (Regie: Claus Peymann, den »Doktor« spielte Bruno Ganz). 1974, nach der Versöhnung zwischen B. und J. →Kaut, wurde die Komödie »Die Macht der Gewohnheit« im Landestheater uraufgeführt (Regie: Dieter Dorn, den »Garibaldi« spielte Bernhard Minetti). Spannungen zwischen B. und den Festspielen störten nochmals die weitere Zusammenarbeit. Auf eine missverständliche Pressenotiz reagierte B. mit einem offenen Brief in der Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit«: »Ich brauche die Festspiele nicht.« 1980 bot B. diesen Festspielen trotzdem wieder ein neues Stück an, das 1981 uraufgeführt wurde: »Am Ziel« (Regie: C. Peymann, die Hauptrolle spielte Marianne Hoppe). Inzwischen hatte sich die Beziehung zwischen B. und den Festspielen eingespielt: 1985 kam die Uraufführung des Stücks »Der Theatermacher« (Regie: C. Peymann, die Titelrolle spielte Traugott Buhre). Das Stück verarbeitete u. a. den Notlichtskandal von 1972. Schließlich folgte 1986 die Uraufführung von »Ritter, Dene, Voss«. Die Namen von drei Schauspielern aus dem Bochumer Ensemble bilden den Titel; die Anspielungen und Zitate auf Ludwig und Paul Wittgenstein verdichten das dramatische Spiel, in dem die Schauspieler einmal sich selbst, dann historische Figuren und schließlich fiktive Personen in einem spielen. Der Beitrag B.s und P. →Handkes zur Geschichte der Festspiele beweist die Wirksamkeit der dramatischen Gegenwartsliteratur in eben diesem Spielplan. Der Alleinerbe und Halbbruder Th. B.s, Dr. Peter Fabjan, gründete 1998 die Th.-B.- Privatstiftung in Wien. Dem Stiftungsrat gehören neben Peter Fabjan noch Wendelin Schmidt-Dengler und Jean-Marie Winkler an. Ein zwölfköpfiger Beirat unterstützt die Stiftung. Diese gründete wiederum die Internationale Th.-B.-Gesellschaft. Die konstituierende Versammlung fand am 11. 2. 1999 in Salzburg statt. Präsident: Adolf Haslinger, Vizepräsident: Peter Fabjan, Generalsekretär: Raimund Fellinger. Das Th.-B.-Archiv befindet sich in Gmunden.

Lit.:

  • M. Mittermayer, S. Veits-Falk (Hg.): Th. B. und Salzburg. Salzburg 2001.
  • J. Hoell: Th. B.München 2000. – M. Mittermayer: Th. B. Stuttgart 1995 (= Sammlung Metzler SM 291).
  • H. Höller: Th. B. Reinbek b. Hamburg 1993 (= rm 504).
  • R. K. Habringer: Th. B. als Journalist. Dokumentation eines Frühwerks, Magisterarbeit, Salzburg 1984.
  • J. Dittmer (Hg.): Th. B. Werkgeschichte. Frankfurt/M. 1981.

A.Has.