Zivilgesellschaftliches Engagement
Zivilgesellschaftliches (oder bürgergesellschaftliches, bürgerschaftliches) Engagement im Sinne politischer Partizipation steht für alle Tätigkeiten, die Bürgerinnen und Bürger freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen. Neben der konventionellen politischen Partizipation, die sich in der Teilnahme an vom Staat strukturierten Prozessen (Wahlen, Behördenverfahren etc.) manifestiert, stellen unkonventionelle Formen der Beteiligung einen besonders relevanten Aspekt der Politischen Kultur dar. Ab 1900 erlebte Salzburg verschiedene Formen zivilgesellschaftlichen Engagements in diesem Sinne. Vor allem die Bürgerbewegung für den Erhalt der Salzburger Altstadt und die sich daraus entwickelnde Stadtbild- und Umweltschutzbewegung war im überregionalen Vergleich besonders bemerkenswert. Bis zum Ersten Weltkrieg war zivilgesellschaftliches Engagement in Salzburg in der Form der Bewegung für das allgemeine und gleiche Wahlrecht auffällig. Im Jahr 1905 demonstrierten etwa 10.000 Salzburgerinnen und Salzburger auf dem Mozartplatz für das Wahlrecht. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu „Hungerdemonstrationen“ gegen die schlechte Versorgungslage.
Der zivilgesellschaftliche Antisemitismus fand seinen Ausdruck in einem Netzwerk von Organisationen und Publikationen, deren augenscheinlichste die Zeitschrift „Der eiserne Besen“ war. Aus dem Milieu des Antisemitismus erwuchs auch die Bewegung des Nationalsozialismus, die vor allem in den Jahren des sogenannten Ständestaates in der Illegalität viele Bürgerinnen und Bürger mobilisierte, ehe sie nach ihrer Machtübernahme Kern des neuen Staatsapparates wurde. Der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurde von Kommunistinnen und Kommunisten, der Sozialdemokratie und dem (politischen) Katholizismus getragen. Die beiden Erstgenannten hatten bereits in den Jahren des Ständestaates illegale Strukturen aufgebaut. Insgesamt waren 2.000 Salzburgerinnen und Salzburger der politischen Verfolgung ausgesetzt. Viele Aktivistinnen und Aktivisten der Kommunistischen Partei wurden vom NS-Regime ermordet. Spuren dieses Widerstandes sind in Salzburg an einigen Stellen zu finden. Den Opfern wurden Denkmäler gesetzt, für die Aktivistin Rosa Hofmann (1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet) zum Beispiel beim Kindergarten Bindergasse 11 und an ihrem Wohnhaus in der Mosergasse 10. Den im Widerstand hingerichteten Eisenbahnern ist eine Gedenktafel im Hauptbahnhof gewidmet. An die Ordensschwester Anna-Berta →Königsegg erinnert eine Tafel am Haus Salzachgässchen 3. Erst spät nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Zeit der NS-Diktatur. Ein „Antifaschistisches Personenkomitee“ trat ab Ende der 1960er-Jahre auf. Wichtige Stationen waren die Debatte über die Biografie des Kandidaten Kurt Waldheim anlässlich der Präsidentschaftswahl 1986 sowie die Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht in Salzburg. Waldheims Mitgliedschaft in der SA und seine Rolle in der Wehrmacht gaben Anlass, über das Verhältnis zur NS-Zeit zu streiten. In Salzburg wurde Waldheim bei den Salzburger Festspielen von einem Holzpferd begrüßt. Das Pferd erinnerte an Waldheims Erklärung, er sei aufgrund seines Interesses am Reitsport der SA beigetreten. Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung wurde 1998 im ehemaligen Stadtkino gezeigt. Das Projekt „Stolpersteine“ versucht, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus aufrechtzuerhalten. Eine Erinnerungstafel für Theodor Herzl, der mit seinem Hauptwerk „Der Judenstaat“ als Gründer des politischen Zionismus gilt und in Salzburg tätig war, traf im Jahr 2001 auf zivilgesellschaftlichen Widerstand. Die Tafel hatte eine Aussage Herzls unvollständig wiedergegeben. „In Salzburg brachte ich einige der glücklichsten Stunden meines Lebens zu.“ Der nächste Satz seiner Autobiografie, „Ich wäre auch gerne in der schönen Stadt geblieben: Aber als Jude wäre ich nie zur Stellung eines Richters befördert worden“, wurde vom Künstler Wolfram P. Kastner ergänzt, später am Mirabellplatz eine neue Tafel angebracht.
Im Kontext der Studenten-/Studentinnenbewegung sind die Protestbewegungen von 1968 zu sehen, die in Salzburg allerdings nur langsam in Gang kamen. In dieser Zeit erfolgte eine Vielzahl linksradikaler Parteibildungen, ehe Engagement wieder in losere Bündnisse überging, wie zum Beispiel in das Salzburger Sozial-Forum. Nach einer der führenden Persönlichkeiten dieser Bewegung, Ulrike Gschwandtner, ist eine Straße in Salzburg-Nonntal benannt. Gschwandtner verhandelte im Jahr 2001 mit der Polizei, als es bei einer Demonstration gegen das Weltwirtschaftsforum in Salzburg zu einer Einkesselung von Demonstrantinnen und Demonstranten kam. 2012 gingen viele gegen neue Urheberrechtsregeln im Internet. auf der Straße An einer Demonstration gegen die ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement)-Regeln nahmen in Salzburg 1.000 Personen teil. Die Bewegung gegen die herrschende Wirtschaftsweise findet ihren Ausdruck in länger stabil arbeitenden Organisationen wie ATTAC, oder im Protest gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, der 2016 in Salzburg 2.000 Personen auf die Straße brachte. Beim Volksbegehren gegen den Vertrag unterschrieben im Land Salzburg 10,8 Prozent der Wahlberechtigten, österreichweit waren es 8,9 Prozent. Zu Protesten für studentische Interessen im engeren Sinn -- mit teilweise großen Demonstrationen in der Stadt Salzburg -- sowie Besetzungen von Universitätsgebäuden kam es in den Jahren 1987, 1995 (gegen Sparmaßnahmen), 2001 (gegen Studiengebühren) und 2009 (v.a. gegen die Bologna-Reform). Auch Schülerinnen und Schüler wurden immer wieder aktiv. Unter anderen gab es in den Jahren 1984, 1987, 1994 Streiks und Demonstrationen.
In den Jahren nach 1968 engagierten sich viele junge Salzburgerinnen und Salzburg in der Kulturszene, die von ihnen als (zu) konservativ empfunden wurde. Die Bewegung für das Kulturgelände Nonntal und für die „Szene der Jugend“ sind hier exemplarisch. Die → „Szene der Jugend“ ging 1971 unter der maßgeblichen Beilegung von Alfred Winter und Michael Stolhofer aus dem „Club 2000“ hervor. Die → ARGE Kultur geht auf die → ARGE Rainberg zurück - eine ehemalige Brauerei am Rainberg hätte ein autonomes Kulturzentrum werden sollen, was in einer durchwegs bürgerlichen Wohngegend allerdings erbitterten Widerstand der Anrainer hervorrief. Die ARGE baute dann ehemalige HTL-Baracken im Nonntal um und eröffnete dort 1987. Neben diesen überwiegend politisch progressiv orientieren Projekten, die sich in den Jahren danach etablierten, kam es zu Beginn der 1990er-Jahre auch zu einer Besetzung des Petersbrunnhofes durch Jugendliche, die politisch überwiegend rechten Subkulturen zuzuordnen waren. Bemerkenswerterweise war der Petersbrunnhof 1976 bereits einmal von Jungen besetzt gewesen, damals im Zuge des Kampfes für ein Jugendkulturzentrum. Dieses Projekt erwies sich genauso wie die versuchte Etablierung eines „Punkerhauses“ in Salzburg als nicht nachhaltig. Neuen kulturellen Bewegungen standen jedoch stets konservative zivilgesellschaftliche Gruppen gegenüber. 1965 wurden etwa die Beatles in Salzburg auch mit Transparenten „Beatles go Home“ und „Verstärkung für den Alpenzoo“ empfangen.
Eine autonome Frauenbewegung entwickelte sich in Salzburg ab Mitte der 1970er-Jahre. „Wenn auch von vielen verspottet und diskreditiert, lenkte sie die öffentliche Wahrnehmung auf die Lebensrealität der Frauen in einem allumfassenden Sinn.“ 1974 entstand in Salzburgs Studierendenszene die Frauengruppe „Courage“. Der Frauennotruf, die „Initiative Frauenhaus“, und andere Einrichtungen gingen darauf zurück. Schließlich gelang die Etablierung von Frauenbüros bzw. Frauenbeauftragten in den Verwaltungen von Stadt und Land.
Die Friedensbewegung hatte ihren ersten Höhepunkt in Salzburg 1972. Im Mai dieses Jahres sorgten Salzburgerinnen und Salzburger bei einer Zwischenlandung des US-Präsidenten Richard Nixon für internationales Aufsehen. Eine Gruppe Demonstrierender versuchte die Rollbahn des Salzburger Flughafens zu blockieren und wurde mit Polizeigewalt abgedrängt. Unter ihnen befanden sich der spätere Ehrenbürger →Robert Jungk. Immer wieder kam es in Salzburg zu großen Mobilisierungen gegen Kriege, eine der größten Demonstrationen war ein Marsch im Jahr 1991 gegen den ersten Irakkrieg. Damals zogen 8.000 SchülerInnen und StudentInnen durch die Stadt. Die Friedensbewegung schuf sich ein institutionelles Rückgrat mit dem „Salzburger Friedensbüro“, das heute noch wichtige pädagogische Aufgaben übernimmt.
In Fragen der Stadtentwicklung hatte es bürgerschaftliches Engagement nach 1945 vor allem rund um den Salzburger Flughafen (Errichtung, Erweiterungen) gegeben. Herausragend war das zivilgesellschaftliche Engagement für den Erhalt der Altstadt und der Grünflächen des Umlands. Konfrontiert mit Abrissen und Neubauten in und um die Salzburger Altstadt, meldete sich der Kunsthistoriker Hans →Sedlmayr 1965 publizistisch zu Wort. 1967 wurde das Altstadterhaltungsgesetz beschlossen, das erste dieser Art in Österreich. Der Umbau des AVA-Hofes in der Salzburger Innenstadt mobilisierte Bürgerinnen und Bürger um den Galeristen Friedrich →Welz, sich für eine andre Fassadengestaltung und geringere Kubatur einzusetzen, was schlussendlich zu Umplanungen führte. 1970 wurde bei der Diskussion über die weitere Stadtentwicklung die Umwidmung von Grünflächen im städtischen Umland diskutiert. Hans Sedlmayr kritisierte deren vermehrte Nutzung für Ansiedlungen in seinem Text „Stadt ohne Landschaft“. Gemeinsam mit dem Architekten Wilhelm →Holzbauer stritt er gegen die Verbauung des Umlandes, das auch als „anti-städtisches Unwesen“ und „Verschwendung von Bauland“ beschrieben wurde. Allerdings wohnten sowohl Sedlmayr als auch Holzbauer selbst in Eigenheimen mit Gärten in Leopoldskron bzw. an der Hellbrunner Allee. 1972 wurde die Bürgerinitiative „Schützt Salzburgs Landschaft“ gegründet, im Juni wurde das erste Flugblatt verteilt. Konkret sollten Grünflächen zwischen Morzg und der Alpenstraße sowie Nonntal und Hellbrunn unverbaut bleiben. Dem standen Pläne für Straßenbauten, Siedlungen, ein Landessportzentrum und Universitätsbauten gegenüber. Es formten sich Bürgerinitiativen die unter Anleitung von Aktivisten wie Richard Hörl und Herbert Fux erfolgreich waren. 21.000 Unterschriften wurden in der Folge gesammelt und die Grünflächen um das Schloss Freisaal nicht verbaut. 1975 gründete Herbert Fux mit Alfred Winter die Initiative „Rettet Salzburg“, die sich dem Schutz der gesamten Stadtlandschaft widmete. 1977 kandidierten sie als "Vereinte Bürgerinitiativen rettet Salzburg" für den Gemeinderat. Zur Überraschung der etablierten Politik errangen sie auf Anhieb zwei Mandate, und entsandten den Bäcker Hörl und den Schauspieler Fux in die Stadtvertretung. Aus diesem Engagement entstand in weiterer Folge die Salzburger Bürgerliste, die sich inzwischen als Teil der Grünen versteht. Die Debatte um das Grünland wiederholte sich ab 2002 erneut, als Bürgermeister Heinz Schaden einen Vorstoß zugunsten der Verbauung einzelner Grünflächen machte. Es formierte sich die „Aktion Grünland Salzburg“, eine Bürgerinitiative, die sich als Dachorganisation von „Rettet Salzburg“, Naturschutzbund und anderen Initiativen verstand. Im Frühjahr 2006 wurden 10.000 Unterschrift für ein Bürgerbegehren gesammelt. Schließlich kam es im Herbst 2006 zu einem Kompromiss, wonach 57 Prozent der Stadtfläche (3.698 Hektar) durch die Grünland-Deklaration geschützt wurden. Umwidmungen erfordern eine Dreiviertel-Mehrheit im Gemeinderat und öffentliches Interesse in besonderem Maß.
Immer wieder gab es in Salzburg regional oder örtlich begrenzte Gruppen, die sich bestimmten Projekten in den Weg stellten. Teilweise erhielten diese AktivistInnen erhebliche Unterstützung durch die Salzburger Lokalausgabe der Kronen-Zeitung, die sich die Parteilichkeit zu deren Gunsten auf die Fahne schrieb. Wichtige Auseinandersetzungen waren u.a. die Diskussionen um eine Deponie in Großarl und um die Nutzung des Brennhoflehens in Kuchl. Im Großarl entstand bis in die späten 1980er-Jahre bei den Eigentümern eines ausgebeuteten Steinbruchs im Ortsteil Schied der Plan, diesen als Mülldeponie zu nutzen. Im Ort bildete sich massiver Widerstand, der sich auch in Demonstrationen vor dem Amt der Landesregierung in der Stadt sowie Besetzungen vor Ort niederschlug und das ursprüngliche Projekt zu Fall brachte. In den 1980er und frühen 1990er Jahren wollten Gegner die Entstehung eines neuen Industriegebietes am Brennhoflehen in Kuchl verhindern. Auch der Neubau eines Shopping-Centers in Wals, in der Nähe des Flughafens, rief initiative BürgerInnen auf dem Plan. Unter zahlreichen anderen Bürgerinitiativen sei noch jene gegen den Bau eines Fußball-Stadions in unmittelbarer Nähe von Schloss Kleßheim erwähnt. Auch die geplante Errichtung von Mobilfunk-Masten gab in Salzburg immer wieder Anlass zu zivilgesellschaftlichem Engagement. Diskussionen um die Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, die im Einstrahlungsbereich der Masten lebten, waren die Grundlage für die Etablierung von Gruppen im ganzen Land. Ihren Höhepunkt hatten diese in den Jahren zwischen 1998 und 2006, bevor sich die Mobiltelefonie in ganz Österreich komplett etablieren konnte.
Die Anti-Atomkraftbewegung besitzt in Salzburg einen besonderen Stellenwert. Seit den Debatten über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf in Niederösterreich und der entsprechenden Volksabstimmung gab es kontinuierliche Aktivitäten gegen die Nutzung der Nuklearenergie. Schon bei der Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf stimmten in Salzburg knapp 56,7% der Befragten dagegen - deutlich mehr als im österreichischen Durchschnitt (50,5%). Verstärkt durch die Erfahrungen mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl traten Salzburgerinnen und Salzburger immer wieder aktiv gegen grenznahe Atomkraft-Projekte auf. Besonders intensiv waren die Aktivitäten gegen die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) Wackersdorf. Die „Plattform gegen die WAA Wackersdorf“ und die Landesanwaltschaft für Ökologie und Umweltschutz unter der Leitung von Prof. Eberhard Stüber organisierten Proteste. Am 1. Juni 1986 reisten 2.000 Salzburgerinnen und Salzburger nach Schwandorf zu einer Demonstration gegen die Anlage. Als in der Folge Österreicherinnen und Österreichern die Einreise nach Deutschland verweigert wurde, wenn sie vorhatten an Demonstrationen teilzunehmen, kam es am Grenzübergang zu einer eigenen Demonstration, angeführt von Frauen und Kindern. 420.000 Einwendungen für das Behördenverfahren wurden in ganz Österreich gesammelt, Stadt- und Landesregierung fällten ebenfalls Beschlüsse gegen die Anlage. Die WAA wurde schlussendlich nicht gebaut, die Betreibergesellschaft zog sich von dem Projekt zurück. In diesem Kontext formierte sich auch die Gruppe der „Mütter für eine Atomfreie Zukunft“, die unter anderem nach dem Atomunfall von Tschernobyl lokal die Versorgung mit unverstrahlter Milch sicherstellte. 1989 wurde aus der Plattform gegen die WAA Wackersdorf die „Plattform gegen Atomgefahren“ (PLAGE). Breites Engagement gab es in der Folge gegen Pläne zur Errichtung grenznaher Nuklearanlagen in Tschechien. Es wurden Einwendungen gegen den Bau organisiert, dazu Demonstrationen und Grenzblockaden. 1991 erhielt die PLAGE den Konrad-Lorenz-Preis der Republik Österreich. Nach dem Reaktorunfall in Fukushima zogen im Jahr 2011 3.000 Salzburgerinnen und Salzburger für einen weltweiten Ausstieg aus der Atomenergie durch die Stadt. Erhebliche Mobilisation von Bürgerinnen und Bürgern bewirkte die Planung einer 380-KV-Stromtrasse durch das Bundesland Salzburg. Ab 1996 kam es zu Protesten entlang der geplanten Strecke. Auf politischer Ebene sowie im Behördenverfahren wurde versucht, eine Teilverkabelung durchzusetzen. Ebenfalls dem Energiebereich zuzuordnen sind Bürgerinitiativen und Protestaktionen gegen Wasserkraftwerke sowie Windenergieanlagen wie am Kolomansberg bei Thalgau.
Das zivilgesellschaftliche Engagement während verschiedener Migrations- und Flüchtlingswellen wurde von besonders vielen Menschen getragen. Sei es bei den Fluchtbewegungen aus den kommunistischen Ländern Ungarn (1956) und Tschechoslowakei (1968), aus den Staaten des früheren Jugoslawiens in den 1990er-Jahren oder im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ (v.a. ab 2015). Immer wieder hat die Zivilgesellschaft abseits und an Stelle des Staates eingegriffen und geholfen. Einen Höhepunkt erreichten diese Aktivitäten 2015, als eine große Anzahl von Flüchtlingen vor allem über Ungarn nach Österreich einreiste. Erstversorgung für Geflüchtete wurde vorerst unter anderem am Salzburger Hauptbahnhof und an der Saalachbrücke beim Grenzübergang Freilassing geleistet, danach in vielen lokalen Gruppen. Die Anzahl freiwillig Helfender dürfte in die Tausende gegangen sein. Die größte Welle des Engagements gegen Xenophobie gab es rund um das Volksbegehren „Österreich zuerst“, das 1993 aufgelegt worden war: 15.000 beteiligten sich im Jänner dieses Jahres an einem Lichtermeer in der Stadt Salzburg, an einer späteren Demonstration nahmen Tausende teil. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit ausländerfeindlichen Gewalttätern. Zu Widerstand gegen einen restriktiven Vollzug der Asyl- und Ausländergesetze kam und kommt es immer wieder; dieser reicht(e) von lokalen Gruppen, die sich für einzelne Familien stark mach(t)en, bis hin zu allgemeinen Protesten und Aktionen an den Grenzen.
Öfters entwickelten sich in Salzburg lokale Initiativen zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens bzw. zu dessen Verlangsamung. Auch überregional erfreuten sich Initiativen gegen die Einschränkung des Verkehrs teils massiver Unterstützung. Am 12. März 1990 beschloss die Salzburger Landesregierung einstimmig die Einführung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h auf Freilandstraßen und 100 km/h auf Autobahnen. Für Juni 1990 wurde dazu eine Volksbefragung angesetzt. Bei einer Wahlbeteiligung von 29,5 Prozent votierten 62 Prozent gegen das Tempolimit. Lediglich fünf Gemeinden, darunter vier Anrainergemeinden der Tauernautobahn, stimmten mehrheitlich für Geschwindigkeitsbeschränkungen. Gegen das Tempolimit hatte eine Bürgerinitiative mobil gemacht. Der Zusammenhang zwischen ökonomischen Interessen und Einflussnahme auf die Öffentlichkeit durch angeblich ziviles Engagement wurde in diesem Fall durch eine Dokumentation der Public-Relations-Firma „The Rowland Company“ augenscheinlich. In einem Ergebnisbericht dieser Public Relations-Firma heißt es: „Um die Glaubwürdigkeit der Aufklärungsarbeit zu gewährleisten, war es auch notwendig, eine Gruppe für die Autoindustrie sprechen zu lassen. Diese Gruppe war eine Bürgerinitiative, die von Herrn Alexander Kurz eingeleitet wurde.“ Die Belastung Salzburgs durch den Transitverkehr führte vor allem in den 1990er-Jahren zur Gründung etlicher Bürgerinitiativen. 1991 wurde sogar aus Protest die Tauernautobahn für 30 Minuten blockiert. Zu einer breiten Protestbewegung führte ein wegen zahlreicher tödlicher Verkehrsunfälle erlassenes Motorrad-Fahrverbot auf der Wiestal-Landesstraße im Jahr 2001. Motorradbegeisterte sammelten 3.000 Unterschriften gegen die Maßnahme, an einer Demonstration beteiligten sich mehr als 2.000 MotorradfahrerInnen. Die größte Salzburger Kampagne in den ersten Jahren, in den bürgerschaftliches Engagement in den sozialen Netzen Fuß fasste, richtete sich unter dem Titel „Stau in Salzburg“ ab 2011 auf Facebook insbesondere gegen eine Verkehrspolitik in Stadt und Land, die Vorrang für den öffentlichen Verkehr, verbunden mit Verkehrsbeschränkungen für den motorisierten Individualverkehr und Tempolimits auf der Autobahn umsetzen wollte.
An der Schnittstelle zwischen alternativen Beteiligungsformen und konventioneller Partizipation über Parteien und Wahlen wurden in Salzburg besondere Erfahrungen gesammelt. Das Aufgehen der städtischen Bürgerinitiativen der 1970er-Jahre in der Bürgerliste (BL) brachte eine Partei hervor, die sowohl mit den Forderungen der Zivilgesellschaft, als auch den Möglichkeiten und Restriktionen der formalen Politik klarkommen musste. Dem nachmaligen grünen EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber wurden als erstem grünen Stadtrat Österreichs 1982 die Ressorts Umweltschutz, Baubehörde, Raumplanung sowie Verkehrs- und Straßenamt zugeteilt. Das Salzburger Volksabstimmungs- und Volksbegehrensgesetz wird in der Folge mehrfach verändert. Die größte Änderung der Salzburger Landesverfassung war die „Abschaffung des Proporzes", die in einer Volksabstimmung beschlossen werden musste. Bei einer Beteiligung von nur 10,19 Prozent stimmten 95,28 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für die Änderung. Vor allem in der Stadt Salzburg entstehen immer wieder Bemühungen, direkte Demokratie zu stärken. Zuletzt scheiterten Initiativen dazu an der Frage, inwieweit über diese Instrumente auch auf Unternehmen mit wirtschaftlicher städtischer Beteiligung (wie z.B. Flughafen oder Parkgaragengesellschaft) Einfluss ausgeübt werden kann.
Für das Ausmaß des zivilgesellschaftlichen Engagements gibt es wenige gesicherte quantitative Indikatoren. Die formale Beteilung an Wahlen in Salzburg sinkt kontinuierlich. Bei Landtagswahlen ging die Wahlbeteiligung von 89,5 (1945) auf 71 Prozent (2015) zurück, bei Gemeinderatswahlen in der Landeshauptstadt von 79,3 (1949) auf 49,7 Prozent (2014), bei Gemeindevertretungswahlen von 82,1 (1949) auf 64,8 Prozent (2013). Das Volksbegehren gegen die Nutzung der Gentechnik unterschrieben 1997 27,7 Prozent der Salzburgerinnen und Salzburger (österreichweit 21,3%), gegen das AKW-Temelin 13,4 Prozent (2002, österreichweit 15,5%). An der Volksbefragung zur Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht (2013) nahmen in Salzburg 52,6 Prozent der Wahlberechtigten teil, österreichweit waren es 52,4 Prozent. Die Volksabstimmung zum AKW Zwentendorf 1978 sah in Salzburg eine relativ geringe Beteiligung von 61% ( österreichweit 64,1%). Volksbefragungen nach dem Landesrecht wiesen eine Beteiligung zwischen 3,95% (1988 über Tempolimits) und 29,55% (1990 zu Tempo 80/100) sowie 30,75%(Olympiabewerbung) auf. Volksabstimmungen nach Salzburger Landesrecht erzielten eine Beteiligung von 7,5% 1993 (Angleichung von Landesgesetzen an den Europäischen Wirtschaftsraum) und 10,2% (Verfassungsänderung, Abschaffung des Proporzes). Befragungen und Abstimmungen auf Gemeindeebene wiesen ebenfalls sehr unterschiedliche Beteiligungen auf.
Weblinks:
- www.stolpersteine-salzburg.at (Stand: 05.02.2018)
Lit.:
- C. Thalmayr: Interessenkonflikte um die Errichtung einer 380KV-Leitung in Salzburg. In: Salzburger Jahrbuch für Politik 2010, Salzburg 2010.
- D. Stranzinger: Der Aufbruch der Frauen. In: H. Dachs u.a. (Hg.): Die Ära Haslauer. Wien 2001, S. 429-258.
- J. Straubinger: Sehnsucht Natur. Band 2. Die Ökologisierung des Denkens. Salzburg 2009.
- E. Hiebl: Zahme Viertelstunde oder heiße Revolution? Die Lebenswelt(en) der 68er in Salzburg. In: H. Haas, R. Hoffmann, R. Kriechbaumer: Salzburg: Städtische Lebenswelt(en) seit 1945. Wien 2000.
- H. Embacher, A. Lichblau, G. Sandner: Umkämpfte Erinnerung. Die Wehrmachtsausstellung in Salzburg. Salzburg, Wien 1999.
- T. Hellmuth und E. Windtner: Liberalismus und Sozialdemokratie. Ein Beitrag zur frühen Salzburger Arbeiterbewegung (1868–1874). In: Salzburg Archiv 17. Salzburg 1994, S. 243-290.
- G. Schöfbänker und E. Erker: Wackersdorf und Salzburg. Konturen einer Politik gegen eine Plutoniumfabrik. In: Salzburger Jahrbuch für Politik 1989. Salzburg 1989.
Stefan Wally/Reinhard Geiger