Zivilgesellschaftliches Engagement

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Zivilgesellschaftliches (oder bürgergesellschaftliches, bürgerschaftliches) Engagement im Sinne politischer Partizipation steht für alle Tätigkeiten, die Bürger*innen freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen. Neben der konventionellen politischen Partizipation an staatlich strukturierten Prozessen (Wahlen, Behördenverfahren etc.) stellt auch unkonventionelle Beteiligung einen Aspekt politischer Kultur dar. Ab 1900 erlebte Salzburg Formen zivilgesellschaftlichen Engagements in diesem Sinne. Bis zum Ersten Weltkrieg war zivilgesellschaftliches Engagement in Salzburg in der Form der Bewegung für das allgemeine und gleiche Wahlrecht bemerkbar. Im Jahr 1905 demonstrierten etwa 10.000 Salzburger*innen auf dem Mozartplatz für das Wahlrecht. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu „Hungerdemonstrationen“ gegen die schlechte Versorgungslage und zu Plünderungen von Geschäften oder des Grand Hôtel de l’Europe.

Gedenkstein für Rosa Hofmann in Maxglan

Der zivilgesellschaftliche Antisemitismus fand seinen Ausdruck in einem Netzwerk von Organisationen und Publikationen, deren augenscheinlichste die Zeitschrift Der eiserne Besen war. Aus diesem Milieu erwuchs die Bewegung des Nationalsozialismus, der v.a. in den Jahren 1933–38 in der Illegalität viele Bürger*innen mobilisierte, ehe er nach seiner Machtübernahme Kern des neuen Staatsapparates wurde. Der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurde von Kommunisten, der Sozialdemokratie (beide mit illegalen Strukturen im „Ständestaat“) und dem (politischen) Katholizismus getragen. Insgesamt waren 2.000 Salzburger*innen der politischen Verfolgung ausgesetzt. Den Opfern wurden zum Teil Mahnmale gesetzt, für die Aktivistin Rosa Hofmann (1943 hingerichtet) beim Kindergarten Bindergasse 11 und an ihrem Wohnhaus, Mosergasse 10. Den im Widerstand hingerichteten Eisenbahnern ist eine Gedenktafel im Hauptbahnhof gewidmet. An die Ordensschwester Anna-Berta Königsegg erinnert eine Tafel am Haus Salzachgässchen 3; an die unter den NS-Machthabern ermordeten Priester Johann Baptist Schroffner, Heinrich Summereder, Felix Gredler und Sebastian Haselsberger eine Gedenktafel am Priesterseminar der Erzdiözese, Dreifaltigkeitsgasse 14. Erst spät kam es zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Zeit der NS-Diktatur. Ein „Antifaschistisches Personenkomitee“ trat ab Ende der 1960er-Jahre auf. Wichtige Stationen waren die Debatte über die Biografie des Bundespräsidentschafts-Kandidaten Kurt Waldheim 1986 sowie die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944, gezeigt 1998 im ehemaligen Stadtkino. Das Projekt Stolpersteine hält die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus aufrecht. Eine Erinnerungstafel für Theodor Herzl, der mit seinem Hauptwerk Der Judenstaat als Gründer des politischen Zionismus gilt und in Salzburg tätig war, traf aufgrund einer Zitatverkürzung im Jahr 2001 auf zivilgesellschaftliche Kritik, sodass die Tafel zuerst von Wolfram P. Kastner künstlerisch ergänzt und später am Mozartplatz eine neue Tafel angebracht werden musste.

Im Kontext der Student*innenbewegung sind die Protestbewegungen von 1968 zu sehen, die in Salzburg nur langsam in Gang kamen. In dieser Zeit erfolgte eine Vielzahl linksradikaler Parteibildungen, ehe Engagement wieder in losere Bündnisse überging, wie das Salzburger Sozial-Forum. Nach einer der führenden Persönlichkeiten dieser Bewegung, Ulrike Gschwandtner, ist eine Straße in Salzburg-Nonntal benannt. Die Bewegung gegen die herrschende Wirtschaftsweise findet ihren Ausdruck in Organisationen wie ATTAC oder im Protest gegen das Freihandelsabkommen TTIP, der 2016 in Salzburg 2.000 Personen auf die Straße brachte. Zu Protesten für studentische Interessen im engeren Sinn mit Demonstrationen sowie Besetzungen von Universitätsgebäuden kam es in den Jahren 1987, 1995, 2001 und 2009. Auch Schüler*innen wurden immer wieder aktiv. In den Jahren nach 1968 engagierten sich junge Salzburger*innen in der Kulturszene, die von ihnen als (zu) konservativ empfunden wurde. Die Bewegung für das Kulturgelände Nonntal und für die Szene der Jugend sind exemplarisch. Die Szene der Jugend ging 1971 aus dem Club 2000 hervor. Die ARGE Kultur geht auf die ARGE Rainberg zurück – eine ehemalige Brauerei am Rainberg hätte ein autonomes Kulturzentrum werden sollen. Zu Beginn der 1990er-Jahre kam es zur Besetzung des Petersbrunnhofes durch Jugendliche, die politisch eher rechten Subkulturen zuzuordnen waren. Der Petersbrunnhof war 1976 bereits einmal von jungen Menschen besetzt gewesen, damals im vergeblichen Kampf für ein Jugendkulturzentrum. Progressiven Kulturbewegungen standen stets konservative Gruppen gegenüber. 1965 wurden die Beatles in Salzburg auch mit Transparenten wie „Beatles go Home“ und „Verstärkung für den Alpenzoo“ empfangen.

Eine autonome Frauenbewegung entwickelte sich in Salzburg ab Mitte der 1970er-Jahre. 1974 entstand in Salzburgs Studierendenszene die Frauengruppe Courage. Der Frauennotruf, die Initiative Frauenhaus und andere Einrichtungen gingen darauf zurück. Schließlich gelang die Etablierung von Frauenbüros bzw. Frauenbeauftragten in den Verwaltungen von Stadt und Land.

Die Friedensbewegung hatte ihren ersten Höhepunkt in Salzburg 1972. Im Mai sorgten Salzburger*innen bei einer Zwischenlandung des US-Präsidenten Richard Nixon für internationales Aufsehen. Eine Gruppe, darunter der spätere Ehrenbürger Robert Jungk, versuchte die Rollbahn des Flughafens zu blockieren. Immer wieder kam es zu Mobilisierungen gegen Kriege, eine der größten Demonstrationen fand im Jahr 1991 gegen den ersten Irakkrieg statt. Die Friedensbewegung schuf sich ein institutionelles Rückgrat mit dem Salzburger Friedensbüro.

In Fragen der Stadtentwicklung hatte es bürgerschaftliches Engagement nach 1945 rund um den Ausbau des Salzburger Flughafens gegeben. Herausragend war das Engagement für den Erhalt der Altstadt und der Grünflächen des Umlands. Konfrontiert mit Abrissen und Neubauten in der Altstadt meldete sich der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr 1965 zu Wort. 1967 wurde das Altstadterhaltungsgesetz beschlossen, das erste dieser Art in Österreich. Der Umbau des AVA-Hofes in der Innenstadt mobilisierte Bürger*innen um den Galeristen Friedrich Welz, was zu Umplanungen führte. 1970 wurde über die Umwidmung von Grünflächen im städtischen Umland diskutiert und Hans Sedlmayr trat gemeinsam mit dem Architekten Wilhelm Holzbauer gegen die Verbauung des Umlandes ein. 1972 wurde die Bürgerinitiative Schützt Salzburgs Landschaft gegründet, um Grünflächen zwischen Morzg und der Salzburger Alpenstraße sowie Nonntal und Hellbrunn zu schützen. Es formierten sich weitere Bürgerinitiativen unter der Leitung von Richard Hörl und Herbert Fux, und die Grünflächen um das Schloss Freisaal wurden nicht verbaut. 1975 gründete Herbert Fux mit Alfred Winter die Initiative Rettet Salzburg, die sich dem Schutz der Stadtlandschaft widmete. 1977 kandidierten sie als Vereinte Bürgerinitiativen – Rettet Salzburg für den Gemeinderat. Aus diesem Engagement entstand die Salzburger Bürgerliste. Seit Herbst 2006 sind 57 % der Stadtfläche (3.698 Hektar) durch die Grünland-Deklaration geschützt. Umwidmungen erfordern eine Dreiviertel-Mehrheit im Gemeinderat.

Immer wieder gab es in Salzburg „regional oder örtlich begrenzte Gruppen“, die sich bestimmten Projekten in den Weg stellten. Teilweise erhielten diese Aktivist*innen erhebliche Unterstützung durch die Salzburger Lokalausgabe der Kronen Zeitung. Wichtige Auseinandersetzungen waren u.a. in den späten 1980ern die Diskussionen um eine Mülldeponie in Großarl und um die Nutzung des Brennhoflehens (geplantes Industriegebiet) in Kuchl. Der Neubau eines Shopping-Centers in Wals, Nähe Flughafen, rief initiative Bürger*innen genauso auf den Plan wie der Bau eines Fußball-Stadions in unmittelbarer Nähe von Schloss Kleßheim oder zwischen 1998 und 2006 die Errichtung neuer Mobilfunk-Masten.

Wackersdorf Denkmal

Die Anti-Atomkraftbewegung besitzt in Salzburg hohen Stellenwert. Seit den Debatten über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf und der Volksabstimmung gab es Aktivitäten gegen die Nutzung der Nuklearenergie, verstärkt nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986. Besonders intensiv waren die Aktivitäten gegen die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) Wackersdorf in Deutschland. Die Plattform gegen die WAA Wackersdorf und die Landesanwaltschaft für Ökologie und Umweltschutz organisierten Proteste. Nach Demonstrationen, 420.000 Einwendungen für das Behördenverfahren in ganz Österreich sowie Beschlüssen der Stadt- und Landesregierung gegen die WAA gab Deutschland den auch dort umstrittenen Bau auf. In diesem Kontext formierte sich die Gruppe der Mütter für eine Atomfreie Zukunft. 1989 wurde aus der Plattform gegen die WAA Wackersdorf die Plattform gegen Atomgefahren (PLAGE), die 1991 den Konrad-Lorenz-Preis der Republik Österreich erhielt. Erhebliche Mobilisation von Bürger*innen ab 1996 bewirkte die Planung einer 380-kV-Stromtrasse durch das Bundesland Salzburg. Ebenfalls dem Energiebereich zuzuordnen sind Bürgerinitiativen und Protestaktionen gegen Wasserkraftwerke sowie Windenergieanlagen wie am Kolomansberg bei Thalgau.

Während verschiedener Flüchtlingsbewegungen, sei es aus den damals kommunistisch regierten Ländern Ungarn (1956) und Tschechoslowakei (1968), aus den Staaten des früheren Jugoslawien in den 1990er-Jahren oder im Zuge der letzten „Flüchtlingskrise“ (v.a. ab 2015 aus Syrien und Staaten des „Mittleren Ostens“), hat die Zivilgesellschaft helfend eingegriffen. Die größte Welle des Engagements gegen Xenophobie gab es beim Volksbegehren Österreich zuerst, aufgelegt 1993: 15.000 beteiligten sich im Jänner dieses Jahres an einem Lichtermeer in der Stadt Salzburg. Zu Widerstand gegen einen restriktiven Vollzug der Asylgesetze kam und kommt es immer wieder; dieser reicht(e) von Einzelpersonen oder lokalen Gruppen bis hin zu regionalen Aktionen.

Öfters entwickelten sich in Salzburg lokale Initiativen zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens bzw. zu dessen Verlangsamung. In einer Volksbefragung im Juni 1990 wurden neue Tempolimits jedoch mehrheitlich abgelehnt. Die Belastung Salzburgs durch den Transitverkehr führte in den 1990er-Jahren zur Gründung etlicher Bürgerinitiativen. Zu einer Protestbewegung führte ein wegen zahlreicher tödlicher Verkehrsunfälle erlassenes Motorrad-Fahrverbot auf der Wiestal-Landesstraße 2001. Die größte Salzburger Kampagne via die damals neuen Sozialen Netzwerke richtete sich unter dem Titel Stau in Salzburg ab 2011 auf Facebook gegen eine Verkehrspolitik des Vorrangs für den öffentlichen Verkehr.

An der Schnittstelle zwischen alternativen Beteiligungsformen und konventioneller Partizipation über Parteien und Wahlen wurden in Salzburg besondere Erfahrungen gesammelt und dadurch z.B. das Salzburger Volksabstimmungs- und Volksbegehrensgesetz in der Folge mehrfach verändert. Die größte Änderung der Salzburger Landesverfassung war die Abschaffung des Proporzes, die in einer Volksabstimmung beschlossen werden musste. Vor allem in der Stadt Salzburg entstehen immer wieder Bemühungen, direkte Demokratie zu stärken. Zuletzt scheiterten Initiativen dazu an der Frage, inwieweit über diese Instrumente auch auf Unternehmen mit städtischer Beteiligung Einfluss ausgeübt werden kann. Für das Ausmaß des zivilgesellschaftlichen Engagements gibt es wenige gesicherte quantitative Indikatoren. Die formale Beteiligung an Wahlen in Salzburg sinkt kontinuierlich. Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen – letztere sowohl auf Bundesebene als auch nach Salzburger Landesrecht – weisen unterschiedliche Beteiligungen auf, genauso wie Befragungen und Abstimmungen auf Gemeindeebene.

Weblinks:

Lit.:

  • C. Thalmayr: Interessenkonflikte um die Errichtung einer 380KV-Leitung in Salzburg. In: Salzburger Jahrbuch für Politik 2010, Salzburg 2010.
  • J. Straubinger: Sehnsucht Natur. Band 2. Die Ökologisierung des Denkens. Salzburg 2009.
  • D. Stranzinger: Der Aufbruch der Frauen. In: H. Dachs u.a. (Hg.): Die Ära Haslauer. Wien 2001, S. 429–258.
  • E. Hiebl: Zahme Viertelstunde oder heiße Revolution? Die Lebenswelt(en) der 68er in Salzburg. In: H. Haas, R. Hoffmann, R. Kriechbaumer: Salzburg: Städtische Lebenswelt(en) seit 1945. Wien 2000.
  • H. Embacher, A. Lichblau, G. Sandner: Umkämpfte Erinnerung. Die Wehrmachtsausstellung in Salzburg. Salzburg, Wien 1999.
  • T. Hellmuth und E. Windtner: Liberalismus und Sozialdemokratie. Ein Beitrag zur frühen Salzburger Arbeiterbewegung (1868–1874). In: Salzburg Archiv 17. Salzburg 1994, S. 243–290.
  • G. Schöfbänker und E. Erker: Wackersdorf und Salzburg. Konturen einer Politik gegen eine Plutoniumfabrik. In: Salzburger Jahrbuch für Politik 1989. Salzburg 1989.

S.W., R.Gei.