Georg Trakl
Trakl, Georg, * Salzburg 3. 2. 1887, † Krakau 3. 11. 1914, Dichter.
Selten wird die künstlerische Bild- und Sprachwelt eines Dichters so stark von seiner Heimatstadt geformt wie bei T., der den Großteil seines kurzen Lebens in Salzburg verbrachte. Sein Vater Tobias T. (* Ödenburg 11. 6. 1837, † Salzburg 18. 6. 1910) war etwa 1880 von Westungarn nach Salzburg übersiedelt. T.s Mutter Maria Catharina, geb. Halik (*Wiener Neustadt 17. 5. 1852, † Salzburg 8. 10. 1925) hatte Tobias T. 1878 in Ödenburg als zweite Frau geheiratet, Georg T. war das vierte von sechs Kindern. Er wurde im sogenannten »Schaffnerhaus« (Waagplatz Nr. 2, heute Waagplatz 1a) geboren und am8. 2. 1887 in der heutigen evang. →Christuskirche getauft; er war evangelisch, Augsburger Konfession. T. gehörte zum Großbürgertum der Stadt. Sein Vater hatte es als Eisenhändler bald zu Wohlstand und Anerkennung gebracht und 1893 das Haus Waagplatz 3a (heute Café Glockenspiel) gekauft, um dort eine Eisenhandlung zu eröffnen, die bis 1913 bestand. Dort verbrachte T. seine Kindheit. Die Stadt Salzburg, ihr Bild, ihre Umgebung und ihre Gesellschaft bestimmten seine Kindheits- und Jugendjahre von 1887 bis 1908. Er besuchte die vierklassige kath. Übungsschule (1892-97), die der Lehrerbildungsanstalt angeschlossen war und als Eliteschule galt. An zwei Nachmittagen pro Woche hatte er evang. Religionsunterricht. Für Bildung und Einflüsse in der ersten Kindheit ist die kath. Gouvernante Maria Bornig wichtig, die seit ca. 1890 die Kinder Französisch lehrte und sie mit frz. Jugendliteratur bekannt machte. T.s Mutter schloss sich tagelang in ihren Räumen ein und pflegte ihre Antiquitätensammlung; ihr unmittelbarer Einfluss auf die Kinder war gering. 1897 trat T. in das ebenfalls elitäre k. k. Staatsgymnasium am Salzburger Universitätsplatz ein. Er war ein mäßiger Schüler; mehrmals hatte er ungenügende Leistungen, vor allem in Griechisch, Latein und Mathematik. Als er in der 7. Klasse nicht »versetzt« wurde, gab er die Schule auf und begann am 18. 9. 1905 eine dreijährige Apothekerlehre in Carl Hinterhubers Apotheke »Zum weißen Engel« in der Linzer Gasse. Das Studium der Pharmazie war damals die einzige Möglichkeit, einen Magistergrad zu erwerben, wenn man, wie T., keine Matura hatte und nur die mittlere Reife besaß. Als 15jähriger soll T. die ersten Gedichte geschrieben haben; etwa gleichzeitig erste Erfahrungen mit Drogen (Zigaretten in Opium getaucht). 1905 lernte T. den Dramatiker G. →Streicher kennen, der ihn zu dramatischen Versuchen anregte. Am 13. 3. 1906 wurde T.s Einakter »Der Totentag«, am 15. 9. 1906 sein Einakter »Fata Morgana« im Salzburger Stadttheater uraufgeführt. Nach dem Misserfolg des zweiten Stücks vernichtete der enttäuschte Dichter die Manuskripte. Allerdings wurde die heimische Presse auf ihn aufmerksam: Im»Salzburger Volksblatt« (12. 5. 1906) erschien das Prosastück »Traumland. Eine Episode«; seine erste Gedichtveröffentlichung war »Das Morgenlied« in der »Salzburger Volkszeitung« (26. 2. 1908). T. gehörte damals einer Dichterrunde (»Apollo«, später →»Minerva«) an. Seine Spannung zur erzkath.- konservativen Gesellschaft in Salzburg äußerte sich in seinem bewusst unbürgerlichen Verhalten (Rauchen, Trinken, Drogen, Bordellbesuche). Trotzdem legte er seine Tirocinalprüfung vorzeitig am26. 2. 1908 ab und erhielt damit die Einjährigen-Präsenzdienst-Begünstigung. Mit dem offiziellen Abschluss seiner Praktikantenzeit im Oktober 1908 gingen seine Salzburger Jahre zu Ende. T. gilt als einer der tiefsten Salzburg-Kritiker. Trotzdem beschwor er in seinen Gedichten immer wieder die Stadt und ihre Umgebung: »Die schöne Stadt«, »Musik in Mirabell«, »Am Mönchsberg «, »St. Peters-Friedhof«, »Anif«, »In Hellbrunn« u. a. Von Wien aus schrieb er Ende Oktober 1908 an seine Schwester Maria Geipel: »Eine jede Zeile, jedes Blatt, das von Salzburg kommt, ist eine meinem Herzen teure Erinnerung an eine Stadt, die ich über alles liebe, eine Erinnerung an die wenigen, denen meine Liebe gehört … die Wiener gefallen mir gar nicht.« Um die Ambivalenz T.s zu Salzburg zu zeigen, müsste man hier böse Äußerungen über Salzburg anführen; solche gibt es aber auch über Innsbruck und Wien. 1908-10 studierte T. vier Semester Pharmazie an der Univ. Wien und schloss mit dem Magister ab. Vom Oktober 1910 bis September 1911 leistete er seinen Militärdienst in Wien ab. Auf Stellensuche kehrte er wieder nach Salzburg zurück, wo er von Oktober 1911 bis Ende März 1912 wohnte. Er nahm Kontakt zur Salzburger Literatur- und Kunstgesellschaft →»Pan« auf, wo er den früheren »Fackel«- Mitarbeiter K. →Hauer kennenlernte. Drei Monate arbeitete er als Rezeptarius in der Apotheke »Zum weißen Engel«. T. empfand sich selbst als Außenseiter der Salzburger Gesellschaft. »Die vielen Krisen seiner individuellen Sozialisationsgeschichte fixierten eine negative soziale Identität: die gestörten Beziehungen zu seiner Mutter, das Scheitern in der Schule, das Inzesterlebnis mit der Schwester, eine von Anfang gebrochene Sexualität, das Durchfallen seiner Stücke am Stadttheater, die Unfähigkeit, sich im bürgerlichen Alltagsleben zurechtzufinden, Alkohol- und Drogenprobleme, Depressionen, Selbstmordphantasien, und mit den Jahren zunehmend - die Angst vor dem Wahnsinn« (Hanisch/Fleischer, S. 190). Anfang April 1912 bis Ende November 1912 leistete T. den Probedienst am Garnisonsspital Nr. 10 in Innsbruck. Dort lernte er Ludwig v. Ficker, den Herausgeber der Zeitschrift »Brenner«, kennen. Am 1. 4. 1912 erschien T.s erstes Gedicht im »Brenner« (»Vorstadt im Föhn«). Vom Jahresende 1912 bis 15. 7. 1913 pendelte T. zwischen Salzburg, Innsbruck und Wien. Im Juli 1913 erschien der Band »Gedichte« im Leipziger Kurt Wolff Verlag. T. nahm im Juli 1913 eine Stelle an, die er im August wieder kündigte. Auf Einladung von Adolf Loos fuhr er im August 1913 mit nach Venedig, Peter Altenberg, Karl Kraus und das Ehepaar Ficker waren ebenfalls dort. In der nächsten Zeit war er in Salzburg, Wien, Innsbruck, Igls (Hohenburg) und Berlin. Am 10. 12. 1913 hielt T. seine einzige öffentliche Lesung: gemeinsam mit Robert Michel im Kleinen Stadtsaal in Innsbruck. »Der Abend war ein literarisches Ereignis für Innsbruck«, meinte der Rezensent der »Innsbrucker Illustrierten Neuesten Nachrichten«. T. war ohne Stellung; er versuchte als Militärapotheker nach Albanien zu gehen, später nach Borneo (Holländisch- Indien). Vom15. bis 25. 3. 1913 besuchte er seine schwerkranke Schwester Grete in Berlin; völlig zerrüttet kehrte er nach Innsbruck zurück. Am 24. 8. 1914 ging er als Medikamentenakzessist mit einer Innsbrucker Sanitätskolonne ins Feld nach Galizien. Nach der Schlacht bei Grodek unternahm er einen Selbstmordversuch. Zur Beobachtung seines Geisteszustandes kam er in die Psychiatrische Abteilung des Krakauer Garnisonsspitals. Dort besuchte ihn L. v. Ficker am 25. und 26. 10. Am Abend des 3. 11. 1914 starb T. an einer Überdosis Kokain (Herzlähmung). Am 6. 11. wurde er auf dem Rakoviczer Friedhof in Krakau bestattet. L. v. Ficker ließ 1925 T.s Gebeine nach Innsbruck überführen; sein Grab liegt auf dem Friedhof der Gemeinde Mühlau bei Innsbruck.
T.s Werke erschienen 1969 in einer hist.-krit. Gesamtausgabe in zwei Bänden: »Dichtungen und Briefe«, hg. von Walther Killy und Hans Szklenar (Otto Müller Verlag, Neuauflage 1987). Seit 1995 erscheint im Frankfurter Stroemfeld Verlag die neue hist.-krit. Ausgabe mit Faksimiles der handschriftlichen Texte Trakls (»Innsbrucker Ausgabe«), hg. im Auftrag des Brenner-Archivs der Univ. Innsbruck v. E. Sauermann und H. Zwerschina. Der literarische Nachlass befindet sich zu Teilen im Brenner-Archiv in Innsbruck, in der →Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte und im →SMCA in Salzburg. Die Trakl-Forschungsund Gedenkstätte der Salzburger →Kulturvereinigung wurde am 10. 4. 1973 offiziell eröffnet. Zum 100. Geburtstag T.s gründete man in Salzburg das »Intern. →Trakl-Forum« im Rahmen der Salzburger Kulturvereinigung. T. selbst wurde mehrmals zum literarischen Thema (vgl. Ritzer, S. 262); F. Fühmann, P. →Rosei und Ch. →Wallner sind hier zu nennen. T.s Dichtungen wurden oft vertont, u. a. von C. →Bresgen, Hanns Eisler, H. W. →Henze, P. →Hindemith, Heinz Holliger, A. v. →Webern und Otto J. M. Zykan. (Farbabb. S. 24)
Literatur:
- H. Weichselbaum: G. Trakl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten, Salzburg 1994.
- Hanisch/Fleischer. –W. Ritzer: Neue Trakl-Bibliographie. Salzburg 1983.
- G. Rusch, S. J. Schmidt: Das Voraussetzungssystem G. T.s. Braunschweig-Wiesbaden 1983.
- G. T. in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von O. Basil. Reinbek b. Hamburg 1965.
A.Has.