Tassilo-Liutpirc-Kelch

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Tassilo-Liutpirc-Kelch

Der Kelch befindet sich vermutlich bereits seit der Absetzung Tassilos durch Karl den Großen (788) im Stift Kremsmünster. Lange Zeit wurde er für ein Geschenk Tassilos an das Kloster Kremsmünster gehalten. Eine gründliche Untersuchung des Kelchs im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz (2016) ergab zahlreiche neue Erkenntnisse über seine Anfertigung und sein Bildprogramm. Das außerordentlich große Fassungsvermögen der Cuppa (1,75 Liter), das hohe Gewicht (2,5 kg) und das nicht entschlüsselte Bildprogramm sprachen gegen eine Verwendung als Messkelch. Darauf hatte schon Franz Bock 1857 hingewiesen. Erst 1965 reagierte man in Kremsmünster darauf, indem der Kelch seither als Messkelch am Gründonnerstag und Stiftertag (11. Dezember Todestag Herzog Tassilos) verwendet wird. Tassilo und seine Frau Liutpirc sind die Stifter des Kelchs, ihre Namen sind in einem Hexameter am Kelchfuß verewigt (+ Tassilo dux fortis + Liutpirc virga regalis).

Der Tassilo-Liutpirc-Kelch besteht aus bergfrischem Kupfer, Cuppa und Fuß sind getrieben, der Perlring gegossen. Die neun Medaillons bestehen aus zahlreichen Silberplatten, die durch ca. 70 originale Nieten an der Oberfläche befestigt sind. Wie jene Teile, die keine Nieten aufweisen (z.B. Matthäus-Medaillon), halten, ist nicht bekannt. Weitere 70 Nieten stammen aus der Barockzeit, als der Kelch vom örtlichen Kupferschmied Paulus Huber anlässlich einer Verwendung am Stiftertag restauriert wurde. Die Rechnung von 1759 ist erhalten: an 18 Stellen wurden neue Silberteile angebracht. Auch ein Einsatz wurde angefertigt und vergoldet. Er dient dazu, aus dem Kelch zu trinken, ohne dass Flüssigkeit in das Relief gerät. Ursprünglich trank man wohl mit Hilfe einer Fistula, einem Saugröhrchen. So musste der schwere Kelch nicht gehoben werden.

Die Herstellung des Kelchs in Salzburg um 777 wurde oft behauptet aber nie bewiesen. Auch herrschte über zwei Personen am Fuß (PT, TM) große Ratlosigkeit. Diese offenen Fragen können nun mit Hilfe von Informationen, die am Kelch ablesbar sind, beantwortet werden. Ordnet man die 36 Buchstaben des Schriftbandes neu, ergibt sich folgender Subtext (Anagramm): Virgilius salutaris calix fit S. Rodpergto – der Kelch des Heils gemacht für den Hl. Rupert. Calix salutaris ist ein Zitat aus Psalm 115. Die vorerst irritierende Schreibweise des Salzburger Bischofs Rupert findet sich leicht abgewandelt in einem Gedicht Alkuins über die Salzburger Kirchen (Rodpergtus). Aus dem Subtext geht hervor, dass der Kelch ursprünglich für den Salzburger Dom gemacht wurde, den Bischof Virgil zu Ehren des hl. Petrus und Ruperts errichten ließ und im Jahr 774 einweihte. Die Summe aller durch Buchstaben dargestellten Zahlen ergibt das Entstehungsjahr des Kelchs (781). Die vollständige Auslöschung der Erinnerung an Tassilo durch seinen Cousin Karl lässt an eine Evakuierung des Kelchs in das vier Jahre zuvor gegründete Kloster Kremsmünster (777) im Osten Bayerns denken. Die Auflösung der fünf Buchstabenpaare setzt voraus, dass Nomina sacra griechisch, aber mit lateinischen Buchstaben geschrieben werden. Die Personen der Schauseite am Fuß, Meter Theu (MT, Mutter Gottes) und Iohannes Baptista (IB), bilden zusammen mit dem Pantokrator (IS, Iesus) auf der Cuppa die Deesis (Fürbitte bei Gott), die Personen auf der Rückseite sind Petrus (PT) und Thomas (TM). Eine Abbildung des Patrons von Kloster und Dom überrascht nicht, mehr hingegen die Bedeutung des Apostels Thomas. Seine Rolle erklärt sich aus der engen Beziehung der beiden Zonen. Jedem der vier Evangelien (s. Vier Wesen der Cuppa) entspricht eine Person am Fuß: Matthäus + Mutter Gottes, Markus + Johannes der Täufer, Lukas + Petrus, Johannes + Thomas, der schließlich Jesus als Gott bekennt.

Grundlage für die theologische Neuinterpretation des Kelches ist die vierte Homilie Gregors des Großen über das Buch Ezechiel. Die gesamte Zahlensymbolik lässt sich mühelos auf den Kelch anwenden. Die biblischen Voraussetzungen bilden der Hebräerbrief (Christus als neuer Melchisedek) und das vierte Kapitel der Offenbarung (Thronvision).

Lit.:

  • Der Tassilo-Liutpirc-Kelch, Schriften des Archäologischen Museums Frankfurt 32, Regensburg 2019.
  • www.stift-kremsmuenster.at/wissenschaft/tassilokelch
  • Bierbrauer, Volker: Liturgische Gerätschaften aus Baiern und seinen Nachbarregionen in Spätantike und frühem Mittelalter, Ausstellungskatalog Die Bajuwaren, Rosenheim und Mattsee 1988. S. 328-333.

A.P.