Tracht: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 30. November 2016, 20:27 Uhr

Tracht.

Bis zum Hochmittelalter war die Kleidung kaum differenziert und kannte nur wenige Grundschnitte. Aus diesen frühen Epochen ist in Salzburg Kleidung der Dürrnberger Salzbergknappen aus dem 1. Jh. erhalten. Römische Grabsteine zeigen alpenländische Einflüsse. Belege für männliche und weibliche Hemdgewänder bringen Salzburger Kalendarien des 9. und 11. Jh.s. Auch der Salzburger Bauer aus der »Quaternionen-Darstellung« (symbolische Aufzählung der Reichsstände) des Rathauses in Überlingen von 1494 zeigt eine einfache, undifferenzierte, im Typus frühmittelalterliche Kleidung.Männer und Frauen, Arm und Reich unterschieden sich zu jener Zeit nur durch die Qualität der Stoffe und die Art der Fußbekleidung. Seit dem Hochmittelalter differenzierten sich die Stände in den Städten, es kam zur Ausbildung von Standestrachten. Seit dem Mittelalter (erste Reichskleiderordnung unter Maximilian I.) reglementierten Kleiderordnungen die Bekleidung der Stände nach Rang und Stand. Standestrachten waren Abbild der sozialen und seit dem 16. Jh. auch der regionalen Zugehörigkeit. Diese Bedeutung der Tracht wurde bei allen revolutionären Veränderungen sichtbar: ihnen folgte jeweils eine Veränderung der Bekleidung. Viele Kleidungsstücke erlebten mehrfache Paradigmenwechsel. So durchlief etwa der →Lamberghut den Weg vom Standeskennzeichen des kaiserlichen Jagdpersonals zum Hut der Liberalen und schließlich vom Trachtenvereinshut zum Salzburger Trachtenstück ersten Ranges.

Ab 1815 erfolgte eine zweite Differenzierung, die Saisonmode veränderte mehr und mehr auch das Kleidungsverhalten der unteren Stände. Die Relikte ständischer Kleidung in den stadtfernen Tälern wurden im 19. Jh. durch Alpinisten, Reiseschriftsteller und Touristen als »Nationalcostume« entdeckt und seit der Wende zu unserem Jahrhundert als das stilisiert und entwickelt, was wir heute als »Tracht« bezeichnen. Im Zuge der romantischen Sehnsüchte und nationalen Strömungen des 19. Jhs. wurden diese konservativen Kleidungsformen spielerisch nachgeahmt. Die romantische Begeisterung Erzherzog Johanns von Österreich ebenso wie sein Reformwille, am Vorbild der Volkstrachten gesunde und hygienische Reformkleider und Uniformen zu entwickeln, förderten die Trachtenbegeisterung der Oberschichten. Die Trachten erlebten als Jäger-, Alpinisten- und Sommerfrischenmode ein zweites Dasein.

Trachtenerneuerung: Die Salzburger Landeskommission zur »Erhaltung der Salzburger Trachten, Sitten und Gebräuche« veranlasste ab 1911 eine Aufzeichnung und Förderung der Trachten, woraus die erste Erneuerungsbewegung entstand. Der Gastwirt Leopold Brandauer und der Kostümbildner Carl Mayr, im Zusammenwirken mit K. →Adrian, sind hier zu nennen. Die Salzburger →Festspiele der 1920er Jahre förderten diese Entwicklung international. Das Zusammenspiel von Künstlern, Schneidern, Hutmachern und Salzburger Flair brachte im Gefolge der Ideen von Eduard Wimmer-Wisgrill an der Wiener Kunstgewerbeschule das international begehrte »Leinen aus Salzburg« ins öffentliche Blickfeld. 1937 wurden Kreationen von Wimmer-Wisgrill bei der Pariser Weltausstellung präsentiert, nachdem die Salzburger Firmen Lanz und Zapf 1934 in London und Stockholm Erfolge gefeiert hatten. Salzburger Tracht wurde zum Inbegriff von Freizeit, Idylle und Kulturbewusstsein. Anschließend an die oberschichtliche Bewegung entdeckten die Arbeiter und Angestellten in den Städten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jhs. in den Trachten ihre Ideale und schlossen sich zu Gebirgstrachtenerhaltungsvereinen zusammen. Für sie bedeuteten die »Volkstrachten« soziale Verankerung und Definition als Stand. Ab 1909 förderte in Salzburg auch die Heimatschutzbewegung (1912 als österr. Heimatschutzverband begründet, →Heimatschutz) die Aufzeichnung, »Pflege« und »Wiederbelebung« der Trachten. Gewerbeförderung und Kulturpolitik zählten dazu. Das Bundesministerium für Unterricht richtete ab 1909 Trachtennähkurse an Schulen ein, die Gewerbeförderungsinstitute bildeten Schneider und Handwerker aus. Erhebungen 1911-13 zeichneten auf, was am Land noch an Tracht getragen wurde. 1913 entstanden in Salzburg die ersten Trachtenblätter mit Vorschlägen für eine erneuerte Tracht der Männer. 1935 gab der Landestrachtenverband die erste Trachtenmappe heraus. Auf sie folgten die Ergänzungen der NS-Zeit 1943 sowie veränderte Trachtenmappen 1965 und 1983. Ab 1932 entstanden in den Bundesländern →Landesanzüge. Die 1935 geschaffene und gesetzlich als Lehrer- und Beamtentracht verordnete »Salzburger Landestracht für Männer« wurde zum Symbol des Ständestaates. Neben den aufwendigen Seidentrachten der Vereine entstand eine Fülle an einfacheren »Werktagstrachten « die auf alltägliche Kleidungsgewohnheiten abgestimmt wurden. Ende der 1930er Jahre wurden am Landesanzug orientierte Trachtenkostüme allgemein gebräuchlich.

Die NS-Zeit instrumentalisierte die »Vätertracht« in der »Trachtenerneuerung« für den »Volkstumskampf«. Trachtenverbot für die ausgegrenzten Gesellschaftsgruppen, Mittelstelle Deutscher Tracht, Reichsnährstand, Hitler-Jugend, NS-Frauenschaft, das Amt »Volkstum-Brauchtum« im KdF sowie →Heimatwerk wurden in den Dienst dieses politischen Zweckes gestellt. Die regionalen Trachtenverbände und Initiativen arbeiteten mit der dem Amt Rosenberg zugehörigen Mittelstelle Deutsche Tracht an der Entwicklung von »Gautrachten«. Nach 1945 widmeten sich Referat für Heimatpflege und Salzburger Heimatwerk der Trachtenerneuerung und Pflege. Die Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe und Bundesfachschule für Damenkleidermacher in Salzburg (→Annahof) führte als einzige Schule in Österreich einen Fortbildungslehrgang für Trachtenschneiderei, der derzeit als Meisterklasse installiert wird. Seine Absolventinnen sind, wegen ihrer Spezialkenntnisse, auch bei internationalen Bühnen begehrte Fachkräfte.

Historische Trachtenformen: Bildquellen liefern Zeitschnitte des in Salzburg Getragenen. Die Bilddokumente vom Einzug der Salzburger Emigranten in Augsburg 1731/ 32 und die gleichzeitig geschaffenen Schraubtaler mit ihren Miniaturdarstellungen zeigen die Kleidungsformen des 17. Jhs. auf. Die Einflüsse der spanischen Mode leben darin nach. Lange, weite Untergewänder, reich gezogene Spitzen- bzw. Leinenkrägen, Miederleibe, reich gefaltete, kniekurze Röcke und Schürzen sowie kurze, knappe Überröckel oder Wämser mit gebauschten Oberärmeln kennzeichnen die Frauentracht. Die Männer trugen weite Kniehosen und über den mit der Frauentracht identischen Hemden Leibflecke als Vorstufe der Westen, V-förmige Hosenträger und lange, weite Oberröcke. Frauen wie Männer trugen Strümpfe und Beinlinge, bei denen die Farben blau, rot und weiß vorherrschten. Braun, Grau, Blau und Rot sowie ein helles Lindgrün bestimmten die Farbpalette der Frauen- und Männerkleidung. Eine fast hundert Jahre jüngere und viel differenziertere Bekleidungsstufe zeigen die Bilder der →Kuenburg-Sammlung, eines Salzburger Kostümkodex der zweiten Hälfte des 18. Jhs. Der Einzug der französischen Mode wird darin in den kurzen Joppen der jüngeren Männer und in den schwarzen Halsbindeln sichtbar. Neben den langen Arbeitshosen aus gelbem Sämischleder finden sich die reichgefalteten Gsasshosen bei älteren Männern und die schmaleren, meist schwarzen Kniehosen bei jüngeren. Die Fülle der Hut- und Haubenformen zeigt verschiedene Zeitstufen und verweist auf den Dialog zwischen Mode und Volkstracht. Zum Frauenhut wurde nach städtischem Vorbild auch die Ohrenspitzenhaube (Gipürenhaube) getragen, bzw. in Stadtnähe das goldverzierte Böndl zur schwarzen Berghaube aus reicher Spitzenfülle. Dazu findet sich in den Gewändern ein reicherer Umgang mit Knöpfen, Spitzen, Borten und Stickereien. Daneben ist aber auch noch der hohe, spitze »Nebelstecher« als Frauenhut älterer, ländlicherer Form zu sehen. Als Männerhut ist der große Scheibenhut vorherrschend, daneben aber auch der kleine »Guldenhut« (Flachgau), der in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s seinen Einzug hält und im 19. Jh. vielfach im städtischen Volkstheater als Symbol des Bauerntölpels verwendet wird. Die Bilder des 19. Jh.s zeigen eine Übernahme wesentlicher Modeleitbilder des Biedermeiers auch in die bäuerlichen Trachten. Um 1850 wurden die Zylinderhüte für Frauen und Männer üblich, daneben der Scheiben- Bänderhut der Frauen. Die Frauenkleider werden länger und schmaler, Spenzer und Jacken werden, dem Modeideal des Empirekleides folgend, seltener abgebildet. Die Rüschen- und Steppspenzer - Garnierspenzer - folgen diesem bürgerlichen Vorbild ebenso wie die kleinen Bretthüte, die bayerische Riegelhaube mit der breiten Schleife und reicher Gold- und Silberstickerei (besonders Flachgau und Stadt) sowie die Otterfellhaube (Tennen- und Flachgau) ziehen vor 1800 bereits in die Tracht ein. Städtische Kleiderformen ersetzen allmählich die Miedergewänder. In der Männermode wird die Kniehose von Pantalons abgelöst, die Rockschnitte kennen den biedermeierlichen Gehrock, die kurzen französischen Joppen und den englischen Jackenschnitt. Besonders im Flachgau und im Salzkammergut machte sich der Einfluss der Sommerfrischler zu Ende des Jahrhunderts bemerkbar. →Koch-Sternfeld weist bereits 1810 darauf hin, daß sich nur noch die Bauern in Stoffe aus dem Lande kleiden, während sich die Städter mit österreichischer und böhmischer Leinwand und böhmischen und mährischen Tüchern versehen. Seidenwaren aus Italien, Frankreich und Österreich, feine Baumwollwaren aus Sachsen und England, Hüte aus Salzburg, Leder aus Frankfurt, München und Augsburg, Galanteriewaren aus Wien, München und Augsburg waren damals in Salzburg auf dem Markt.

Böndl: kleines Goldbortenhäubchen (kein Hut sondern barocke Haubenschrumpfform), das in Salzburg, Ostbayern und im Innviertel zur bürgerlichen Frauentracht getragen wurde. In Altbayern und dem angrenzenden Österreich (Rupertiwinkel, Flachgau, Innviertel und westliches OÖ. bis zur Traun) auch nach dem Zentralort seiner Verbreitung »Tittmoninger Häubchen« genannt. Der kleine, querovale Gupf aus farbig broschiertem Goldbrokat wird von einer drahtversteiften Goldspitzenkrempe umrahmt. Zwei buntgewirkte Rückenbänder können beigefügt sein. Das Böndl wurde um 1922 von der Landeskommission (K. Adrian) nach einem Museumsstück erneuert und von der Landes-Landwirtschaftschule Oberalm mit dem ebenfalls erneuerten »Salzburger Bauerngwandl« als Internatstracht verwendet. Auch die Linzer Goldhaube, dem napoleonischen »Casque Anglais« nachempfunden, sowie die ältere schwarze Drahtspitzenhaube verbreiteten sich in der ersten Hälfte des 19. Jh.s rasch. Sie sind heute wesenlicher Bestandteil der um 1900 erneuerten Bürgerinnentrachten. Hauben und Hütewurdenmit dem Haarpfeil befestigt, der bei schütterem Haar auch durch die Kopfhaut gestochen wurde und deshalb »Schwartennadel« hieß. In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s lösten sich die Standestrachten mehr und mehr auf. Im Flach- und Tennengau hielt das zweimal zwei m große schwarze Seidenkopftuch Einzug, das vielfach bis in die 1930er und 1940er Jahre getragen wurde.

So wie Trachten von Oberschicht und Unterschicht im 19. Jh. aus unterschiedlichen Beweggründen getragen wurden, so wie für Heimatschutz, Ständestaat und illegale Nazis die Kleider oft sogar dieselben, die damit vorangetragenen Symbole aber andere waren, so wurde »die Tracht« auch nach 1945 wieder vom »Ahnenkleid« der Deutschen zum Heimatsymbol der Österreicher. In der Wiederaufbauzeit war Tracht eine Möglichkeit, mit knappen Mitteln umzugehen. In den 1960er Jahren entstand bereits eine an der Kulturpolitik der Länder und den Bedürfnissen des Tourismus orientierte breite Bewegung der »Trachtenpflege und -erneuerung«. Die Heimatwerke entwickelten eine Fülle an Regionaltrachten. Gleichzeitig eroberte die Salzburger Tracht als »Austrian Look« erneut die internationale Modeszene. Handarbeitskurse, Laienkreativität, die wiederentdeckte Freude am Selbstgemachten, am »Alten« und »Wertvollen« taten das Ihrige dazu, Tracht in allen Facetten ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Trachtenrock, Pfoadl und Westerl stiegen von der Trachtenmode zu allgemein üblichen Alltagstrachten auf. Die unbewältigte Trachtenvergangenheit in Verbindung mit Geschichtsaufarbeitung und neuen politischen Diskussionen einerseits und billigster Austrian-Look-Konfektion andererseits zerstörten in den 1980er Jahren den guten Ruf der österreichischen Trachtenmode sowohl im Land wie auch im Ausland. Darauf antwortete das Salzburger Heimatwerk Ende der 1980er Jahre mit einem neuen Programm qualitätvoller Trachtenmode. In den 1990ern wurde ein Salzburger Leinen- und Lodenlook wiederum bedeutsam für die internationale Trachtenmode.

Literatur:

  • G. Tostmann: Das Dirndl. Tradition und junge Mode. Wien 21998.
  • Trachten nicht für jedermann? Heimatideologie und Festspieltourismus dargestellt am Kleidungsverhalten in Salzburg zwischen 1920 und 1938 (=SBzVK 6, hg. v. U. Kammerhofer-Aggermann, A. Scope, W. Haas), Salzburg 1993.
  • Ch. Swoboda, S. Baumgartner: Vom Böndl zur Goldhaube. Salzburg 1990.
  • H. Huemer: Die Goldhaubenstraße … entlang der Donau. In: Volkskunst heute 7/2, 1988, S. 8-9.
  • F. C. Lipp, E. Längle, G. Tostmann, F. Hubmann (Hg.): Tracht in Österreich. Geschichte und Gegenwart, Wien 1984.
  • M. Schindler: Unter der Bedeckung eines Hutes. Hauben und Hüte in der Volkstracht, Wien, Österr. Museum f. Volkskunde, 1984, S. 57, 96, 124.
  • F. Prodinger, R. R. Heinisch: Gewand und Stand. Kostüm- und Trachtenbilder der Kuenburg- Sammlung, Salzburg 1983.

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