Tracht

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Anthering (2018)

Bis zum Hochmittelalter war die Kleidung kaum differenziert und kannte nur wenige Grundschnitte. Aus diesen frühen Epochen ist in Salzburg Kleidung der Dürrnberger Salzbergknappen aus dem 1. Jahrhundert erhalten. Römische Grabsteine zeigen alpenländische Einflüsse. Belege für männliche und weibliche Hemdgewänder bringen Salzburger Kalendarien des 9. und 11. Jahrhunderts. Auch der Salzburger Bauer aus der „Quaternionen-Darstellung“ (symbolische Aufzählung der Reichsstände) des Rathauses in Überlingen von 1494 zeigt eine einfache, undifferenzierte Kleidung im frühmittelalterlichen Typus. Männer und Frauen, Arm und Reich unterschieden sich zu jener Zeit nur durch die Qualität der Stoffe und die Art der Fußbekleidung.

Seit dem Hochmittelalter differenzierten sich die Stände in den Städten, es kam zur Ausbildung von Standes-Tracht und Gender-Tracht. Seit dem Mittelalter (erste Reichskleiderordnung unter Maximilian I.) reglementierten Kleiderordnungen die Bekleidung der Stände nach Rang und Stand. Standestrachten waren Abbild der sozialen und seit dem 16. Jahrhundert auch der regionalen Zugehörigkeit. Diese Bedeutung der Tracht wurde bei allen revolutionären Veränderungen sichtbar: ihnen folgte jeweils eine Veränderung der Bekleidung. Viele Kleidungsstücke erlebten mehrfache Paradigmenwechsel. So durchlief etwa der Lamberghut den Weg vom Standeskennzeichen des kaiserlichen Jagdpersonals zum Hut der Liberalen, dann zum Trachtenvereinshut und schließlich zum Salzburger Trachtenstück ersten Ranges.

Ab 1815 erfolgte eine zweite Differenzierung, die Saisonmode veränderte mehr und mehr auch das Kleidungsverhalten der Landbevölkerung. Die Relikte ständischer Kleidung in den stadtfernen Tälern wurden im 19. Jahrhundert durch Alpinisten, Reiseschriftsteller und Touristen als „Nationalcostume“ entdeckt und seit der Wende zum 20. Jahrhundert als das stilisiert und entwickelt, was wir heute Tracht nennen. Im Zuge der romantischen Sehnsüchte und nationalen Strömungen des 19. Jahrhunderts wurden diese konservativen Kleidungsformen spielerisch nachgeahmt. Die romantische Begeisterung Erzherzog Johanns von Österreich ebenso wie sein Reformwille, am Vorbild der Volkstracht gesunde und hygienische Reformkleider und Uniformen zu entwickeln, förderten die Trachtenbegeisterung des Adels und des Bildungsbürgertums. Die Trachten erlebten als Jäger-, Alpinisten- und Sommerfrischenmode ein zweites Dasein.

Trachtenerneuerung: Die Salzburger Landeskommission zur „Erhaltung der Salzburger Trachten, Sitten und Gebräuche“ veranlasste ab 1911 eine Aufzeichnung und Förderung der Tracht, woraus die erste Erneuerungsbewegung entstand. Der Gastwirt Leopold Brandauer und der Kostümbildner Carl Mayr, im Zusammenwirken mit Karl Adrian, sind hier zu nennen. Die Salzburger Festspiele der 1920er-Jahre förderten diese Entwicklung international. Das Zusammenspiel von Künstlern, Schneidern, Hutmachern und Salzburger Flair brachte im Gefolge der Ideen von Eduard Wimmer-Wisgrill an der Wiener Kunstgewerbeschule das international begehrte „Leinen aus Salzburg“ ins öffentliche Blickfeld. 1937 wurden Kreationen von Wimmer-Wisgrill bei der Pariser Weltausstellung präsentiert, nachdem die Salzburger Firmen Lanz und Zapf 1934 in London und Stockholm Erfolge gefeiert hatten. Salzburger Tracht wurde zum Inbegriff von Freizeit, Idylle und Kulturbewusstsein. Daran anschließend suchten die Arbeiter und Angestellten in den Städten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in den Trachten ihre Ideale und schlossen sich zu Gebirgstrachten-Erhaltungsvereinen zusammen. Für sie bedeuteten die „Volkstrachten“ soziale Verankerung und Definition als Stand. Ab 1909 förderte in Salzburg auch die Heimatschutzbewegung (1912 als österreichischer Heimatschutzverband begründet, Heimatschutz) die Aufzeichnung, „Pflege“ und „Wiederbelebung“ der Tracht. Gewerbeförderung und Kulturpolitik zählten dazu.

Das Bundesministerium für Unterricht richtete ab 1909 Trachtennähkurse an Schulen ein, die Gewerbeförderungsinstitute bildeten Schneider und andere Handwerke aus. Erhebungen 1911–13 zeichneten auf, was am Land noch an Tracht getragen wurde. 1913 entstanden in Salzburg die ersten Trachtenblätter mit Vorschlägen für eine erneuerte Tracht der Männer (Alpinia) und bald darauf der Frauen (Henndorfer Dirndl). 1935 gab der Landestrachtenverband die erste Trachtenmappe heraus. Auf sie folgten die Trachtenblätter der NS-Zeit 1940/41, die den Habitus der Volksgemeinschaft transportierten (Kuno Brandauer). Auf diesen basieren die Trachtenmappen von 1965 und 1983. Ab 1932 entstanden in den Bundesländern Landesanzüge. Die 1935 geschaffene und gesetzlich als Lehrer- und Beamtentracht verordnete „Salzburger Landestracht für Männer“ wurde zum Symbol des Ständestaates. Neben den aufwendigen Seidentrachten der Vereine entstand eine Fülle an einfacheren „Werktagstrachten“, die auf alltägliche Kleidungsgewohnheiten abgestimmt wurden. Ende der 1930er-Jahre wurden am Landesanzug orientierte Trachtenkostüme für berufstätige Frauen allgemein gebräuchlich.

Die NS-Zeit instrumentalisierte die „Vätertracht“ in der „Trachtenerneuerung“ für den „Volkstumskampf“. „Trachtenverbot für Juden“ (1938ff.) und andere ausgegrenzte Gesellschaftsgruppen. „Reichsnährstand“, „Hitler-Jugend“, „NS-Frauenschaft“, das Amt „Volkstum–Brauchtum“ in der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) sowie Heimatwerk wurden in den Dienst dieses politischen Zweckes gestellt. Lederhose und Berchtesgadener Jackerl galten als Versatzstücke für die Tracht der Hitler-Jugend. Die regionalen Trachtenverbände und Initiativen arbeiteten mit der „Mittelstelle Deutsche Tracht“ an der Entwicklung von „Gautrachten“. Nach 1945 widmeten sich Referat für Heimatpflege und Salzburger Heimatwerk der Trachtenerneuerung und Pflege. Die Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe und Bundesfachschule für Damenkleidermacher in Salzburg (Annahof) führte als einzige Schule in Österreich einen Fortbildungslehrgang für Trachtenschneiderei, der zeitweilig als Meisterklasse installiert war. Seine Absolvent*innen sind wegen ihrer Spezialkenntnisse bei internationalen Bühnen begehrte Fachkräfte.

Historische Trachtenformen: Bildquellen liefern Zeitschnitte des in Salzburg Getragenen. Die Bilddokumente vom Einzug der Salzburger Emigranten in Augsburg 1731/32 und die gleichzeitig geschaffenen Schraubtaler mit ihren Miniaturdarstellungen zeigen die Kleidungsformen des 17. Jahrhunderts. Die Einflüsse der spanischen Mode leben darin nach. Lange, weite Untergewänder, reich gezogene Spitzen- bzw. Leinenkrägen, Miederleibe, reich gefaltete, kniekurze Röcke und Schürzen sowie kurze, knappe „Überröckel“ oder Wämser mit gebauschten Oberärmeln kennzeichnen die Frauentracht. Die Männer trugen weite Kniehosen und über den mit der Frauentracht identischen Hemden Leibflecke als Vorstufe der Westen, v-förmige Hosenträger und lange, weite Oberröcke. Frauen wie Männer trugen Strümpfe und Beinlinge, bei denen die Farben Blau, Rot und Weiß vorherrschten. Braun, Grau, Blau und Rot sowie ein helles Lindgrün bestimmten die Farbpalette der Frauen- und Männerkleidung.

Eine fast hundert Jahre jüngere und viel differenziertere Bekleidungsstufe zeigen die Bilder der Kuenburg-Sammlung, eines Salzburger Kostümkodex der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Einzug der französischen Mode wird darin in den kurzen Joppen der jüngeren Männer und in den schwarzen Halsbinden sichtbar. Neben den langen Arbeitshosen aus gelbem Sämischleder finden sich die reichgefalteten „Gsasshosen“ bei älteren Männern und die schmaleren, meist schwarzen Kniehosen bei jüngeren. Die Fülle der Hut- und Haubenformen zeigt verschiedene Zeitstufen und verweist auf den Dialog zwischen Mode und Volks-Tracht. Unter dem Frauenhut wurde nach städtischem Vorbild die Ohrenspitzenhaube (Gipürenhaube) getragen bzw. in Stadtnähe das goldverzierte Böndl zur schwarzen Berghaube aus reicher Spitzenfülle. In der Stadt findet sich in den Gewändern ein reicherer Umgang mit Knöpfen, Stickereien, Spitzen und Borten. Daneben ist auch noch der hohe, spitze „Nebelstecher“ als Frauenhut älterer, ländlicherer Form zu sehen. Als Männerhut ist der große Scheibenhut vorherrschend, daneben aber auch der kleine „Guldenhut“ (Flachgau), der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Einzug hält; dieser wird im 19. Jahrhundert im städtischen Volkstheater (Theater) zum Symbol des Bauerntölpels. Die Bilder des 19. Jahrhunderts zeigen eine Übernahme wesentlicher Modeleitbilder des Biedermeiers auch in die bäuerliche Tracht. Um 1850 wurden die Zylinderhüte für Frauen und Männer üblich, daneben der Scheiben-Bänderhut der Frauen. Die Frauenkleider werden länger und schmaler, Spenzer und Jacken werden, dem Modeideal des Empirekleides folgend, seltener abgebildet. Die Rüschen-, Steppspenzer und Garnierspenzer folgen diesem bürgerlichen Vorbild ebenso wie die kleinen Bretthüte. Die bayerische Riegelhaube mit der breiten Schleife und reicher Gold- und Silberstickerei (u.a. Flachgau und Stadt) sowie die Otterfellhaube (Tennen- und Flachgau) ziehen vor 1800 in die Tracht ein. Städtische Kleiderformen ersetzen allmählich die Miedergewänder. In der Männermode wird die Kniehose von Pantalons abgelöst, die Rockschnitte folgen dem biedermeierlichen Gehrock, den kurzen französischen Joppen bzw. dem englischen Jackenschnitt. Vor allem im Flachgau und im Salzkammergut machte sich der Einfluss der Sommerfrischler zu Ende des Jahrhunderts bemerkbar. Joseph Ernst Ritter von Koch-Sternfeld weist bereits 1810 darauf hin, dass sich nur noch die Bauern in Stoffe aus dem Lande kleiden, während sich die Städter mit österreichischer und böhmischer Leinwand und böhmischen und mährischen Tüchern versehen. Seidenwaren aus Italien, Frankreich und Österreich, feine Baumwollwaren aus Sachsen und England, Hüte aus Salzburg, Leder aus Frankfurt, München und Augsburg, Galanteriewaren aus Wien, München und Augsburg waren damals in Salzburg auf dem Markt.

Böndl: kleines Goldbortenhäubchen (barocke Haubenschrumpfform), das in Salzburg, Ostbayern und im Innviertel zur bürgerlichen Frauentracht getragen wurde. In Altbayern und dem angrenzenden Österreich (Rupertiwinkel, Flachgau, Innviertel und westliches Oberösterreich bis zur Traun) nach dem Zentralort seiner Verbreitung auch „Tittmoninger Häubchen“ genannt. Der kleine, querovale Gupf aus farbig broschiertem Goldbrokat wird von einer drahtversteiften Goldspitzenkrempe umrahmt. Zwei buntgewirkte Rückenbänder können beigefügt sein. Das Böndl wurde um 1922 von der Landeskommission (Karl Adrian) nach einem Museumsstück erneuert und von der Landes-Landwirtschaftsschule Oberalm mit dem erneuerten „Salzburger Bauerngwandl“ als Internatstracht verwendet. Die städtische Linzer Goldhaube, dem napoleonischen „Casque Anglais“ nachempfunden, sowie die ältere schwarze Drahtspitzenhaube verbreiteten sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch. Sie sind heute wesentlicher Bestandteil der um 1900 erneuerten Bürgertracht. Hauben und Hüte wurden mit dem Haarpfeil befestigt, der bei schütterem Haar auch durch die Kopfhaut gestochen wurde und deshalb „Schwartennadel“ hieß. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lösten sich die Standestrachten mehr und mehr auf. Im Flach- und Tennengau hielt das zweimal zwei Meter große schwarze Seidenkopftuch Einzug, das vielfach bis in die 1930er- und 1940er-Jahre getragen wurde.

So wie die Trachten der Stände im 19. Jahrhundert aus unterschiedlichen Beweggründen getragen wurden, so wie für Heimatschutz, Ständestaat und illegale Nazis die Kleider oft sehr ähnlich, die damit vorangetragenen Symbole aber andere waren, so wurde „die Tracht“ auch nach 1945 wieder vom „Ahnenkleid“ der Deutschen zum Heimatsymbol Österreichs. In der Wiederaufbauzeit war Tracht eine Möglichkeit, mit knappen Mitteln umzugehen. In den 1960er-Jahren entstand bereits eine an der Kulturpolitik der Länder und den Bedürfnissen des Tourismus orientierte breite Bewegung der „Trachtenpflege und -Erneuerung“. Die Heimatwerke entwickelten eine Fülle von Regionaltrachten, gleichzeitig eroberte die Salzburger Tracht als „Austrian Look“ erneut die internationale Modeszene. Handarbeitskurse, Laienkreativität, die wiederentdeckte Freude am Selbstgemachten, am „Alten“ und „Wertvollen“ taten das Ihrige dazu, Tracht in allen Facetten ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Trachtenrock, „Pfoadl“ und „Westerl“ stiegen zu allgemein üblichen Alltagstrachten auf. Die unbewältigte Trachtenvergangenheit in Verbindung mit Geschichtsaufarbeitung und neuen politischen Diskussionen einerseits und billigster Austrian-Look-Konfektion andererseits zerstörten in den 1980er-Jahren den guten Ruf der österreichischen Trachtenmode sowohl im In- wie im Ausland. Darauf antwortete das Salzburger Heimatwerk Ende der 1980er-Jahre mit einem neuen Programm qualitätvoller Trachtenmode. In den 1990ern wurden ein Salzburger Leinen- und Lodenlook und danach die sogenannte Landhausmode bedeutsam für die internationale Trachtenmode.

Lit.:

  • U. Kammerhofer-Aggermann: „eine reiche Auswahl der herrlichsten Volkskostüme [...]“. Etappen der Entstehung unseres gegenwärtigen Begriffs von Tracht. In: H. Justnik (Hg.): Gestellt. Fotografie als Werkzeug in der Habsburgermonarchie. Wien 2014, S. 57–70.
  • U. Kammerhofer-Aggermann: „Stoff der Träume“ und Alpträume. Neue Akten zum Salzburger Trachtenverbot 1938–1940. In: H. Eberhart u.a. (Hg.): Volkskunde aus der Mitte. Wien 2013, S. 117–138.
  • G. Tostmann: Das Dirndl. Tradition und junge Mode. Wien 1998.
  • Trachten nicht für jedermann? U. Kammerhofer-Aggermann, A. Scope, W. Haas (Hg.): Heimatideologie und Festspieltourismus dargestellt am Kleidungsverhalten in Salzburg zwischen 1920 und 1938. Salzburg 1993.
  • C. Swoboda, S. Baumgartner: Vom Böndl zur Goldhaube. Salzburg 1990.
  • H. Huemer: Die Goldhaubenstraße … entlang der Donau. In: Volkskunst heute 7/2, 1988. S. 8–9.
  • F.C. Lipp, E. Längle, G. Tostmann, F. Hubmann (Hg.): Tracht in Österreich. Geschichte und Gegenwart. Wien 1984.
  • M. Schindler: Unter der Bedeckung eines Hutes. Hauben und Hüte in der Volkstracht. Wien, 1984. S. 57, 96, 124.
  • F. Prodinger, R.R. Heinisch: Gewand und Stand. Kostüm- und Trachtenbilder der Kuenburg- Sammlung, Salzburg 1983.

U.K.