Volkstanz: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Generell gilt für den | + | Neben dem geselligen Tanz, der im steten Austausch mit den Tänzen anderer Gesellschaftsgruppen stand ([[Volksmusik]]), wurden Tänze und Tanzbräuche älterer Entwicklungsstufen, die sich am Lande erhalten hatten, seit dem 19. Jahrhundert durch Pflegebestrebungen zum als „Nationalkultur“ konnotierten Genre '''Volkstanz''' erhoben. Generell gilt für den sogenannten Volkstanz, dass er dem kulturellen Austausch zwischen den Gesellschaftsschichten unterlag, im Laufe des 18. Jahrhunderts am Lande im Rückgang war und schließlich Neubewertung und Wiederaufnahme erfuhr im Rahmen der historistischen Begeisterung der Stadtbürger für das Landleben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das mehrfach umbenannte, sogenannte „Österreichische Volksliedunternehmen“ (gegründet 1904; ab 1946 Österreichisches Volksliedwerk), darin besonders Raimund Zoder (1882–1963) ebenso wie die Gebirgstrachtenvereine und schließlich die Volkstanzbewegung, entwickelten eine Volkskultur samt dazugehöriger Tanzmusik im Schnittpunkt von Pflege, Forschung und kulturpolitischen Interessen. |
− | + | Daraus entstand ein stilisierter Kanon von Paartänzen (für Salzburg werden sechzig Tänze angeboten) zu denen auch Reigen, Bandel- und Reiftänze gehören, die seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar sind; die Ländler bilden eine Gruppe, die Ketten- und Paartanz in typischen Figuren abwechseln, ebenso wie Figurentänze. Doch auch der Wiener Walzer zählt zur populären Tanzkultur Österreichs (2016 von der UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe Österreichs erhoben). Neben den Faschingsbällen ist der Kathreintanz (25. November) ein wichtiges Volkstanzfest, ebenso wie der Tanz in den Mai beim Maibaumaufstellen ([[Maibaum]]) und andere Festlichkeiten. | |
− | Neben den Paartänzen haben sich auch Männertänze erhalten, für die zwei historische Ebenen feststellbar sind: die adeligen Männertänze des Spätmittelalters wie Kettentänze und Moresken, die als Zunft- und Standestänze an vielen Festtagen seit dem 14. Jahrhundert in den Handelsstädten Europas und den Bergbauregionen feststellbar sind. Tänzer waren die Gesellen in festlicher Standestracht, die diese Tänze an Festtagen der Zunft und im Fasching öffentlich aufführten. Verbindendes Element bei diesem Männerreigen sind teils Werkzeuge, Stäbe oder mit Reisig umwundene Halbkreisbögen, die | + | Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Österreichischer Volkstanz“ (BAG ÖVT) wurde 1956 in einem nationalen Umfeld begründet, 1960 als Verein eingetragen (u.a. [[Richard Wolfram]], der Jahrzehnte hindurch als Mentor galt). Sie widmet sich heute der kritischen Forschung und Dokumentation (siehe Froihofer 2012) sowie einer qualitätvollen Tanz-, Musizier- und Gesangsausbildung, Tanzentwicklung und Fortbildung u.a. durch Arbeitsseminare und internationale wie „Alpenländische“ Volkstanz-Treffen und dem zwanglosen Tanzen. In ihrem Vorstand sind alle Bundesländer Österreichs und Südtirol vertreten. Die BAG ÖVT wurde 2011 von der UNESCO ins Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen. Die BAG ÖVT (Tanzarchive) und das Österreichische Volksliedwerk (ab 1994 eingegliedert in die ÖNB als Datenbank INFOLK) begründeten Archive sowie die Internetdatenbank ''Dancilla''. In losem Kontakt dazu stehen Bundesländervereine, etwa die „Salzburger Landesarbeitsgemeinschaft für Volkstanz“, die auch Teil der „Salzburger Heimatvereinigungen“ ist. Diese vergibt „Volkztanzabzeichen“ in Bronze, Silber und Gold. Ethnotrends, Minderheiten- und Integrationsinitiativen sowie pädagogische Projekte in der Kinder- und Jugendförderung verstärkten in den letzten Jahrzehnten das Interesse am österreichischen Volkstanz und anderen „Nationaltänzen“. |
− | Der ist archivalisch in Bild und Schrift besonders gut belegbar. | + | |
− | Der Salzburger Binder- oder Küfertanz, ebenfalls ein Zunfttanz, der an den Dünzeltagen, den Jahrtagen, aufgeführt worden war, stellt eine Neubearbeitung (1924 durch | + | [[Datei:Volkstanz, GS, St.Gilgen, Hochzeit (1936) 7613 1937.jpg|miniatur|upright|St.Gilgen (1936)]] |
+ | Neben den Paartänzen haben sich auch Männertänze erhalten, für die zwei historische Ebenen feststellbar sind: die adeligen Männertänze des Spätmittelalters, wie Kettentänze und Moresken, die als Zunft- und Standestänze an vielen Festtagen seit dem 14. Jahrhundert in den Handelsstädten Europas und den Bergbauregionen auf dieser zweiten gesellschaftlichen Ebene feststellbar sind. Tänzer waren die Gesellen in festlicher Standestracht ([[Tracht]]), die diese Tänze an Festtagen der Zunft und im Fasching öffentlich aufführten. Verbindendes Element bei diesem Männerreigen sind teils Werkzeuge, Stäbe oder mit Reisig umwundene Halbkreisbögen, die „Reifen“. Die einzelnen Tanzfiguren werden heute als Abstraktionen der Arbeitsvorgänge gedeutet, wiewohl sie einst quer durch Europa bei allen Berufsgruppen gleich waren und alle Möglichkeiten des Reigen- und Kettentanzes ausschöpfen. Gewerbe- und Stadtakten liefern Belege für die Aufführungstermine bis um 1800, bis zur Neuregelung der Gewerbeordnungen. Einige Tänze wurden durch Wiederaufnahmen, irrtümlich als „Volkstänze“ bezeichnet, erhalten. Dazu zählen in Salzburg der Dürrnberger [[Schwerttanz]] der Bergknappen (dokumentiert seit 1545), der Böcksteiner Knappentanz und der Lungauer Russentanz, heute durch die [[Vereinigte|Vereinigten]] in Tamsweg ausgeführt. Name und Ursprungslegende des Russentanzes sind historisch nicht nachvollziehbar, denn es fehlen die Quellen. Der Dürrnberger Schwerttanz ist archivalisch in Bild und Schrift besonders gut belegbar. Der Salzburger Binder- oder Küfertanz, ebenfalls ein Zunfttanz, der an den Dünzeltagen, den Jahrtagen, aufgeführt worden war, stellt eine Neubearbeitung (1924 durch [[Karl Adrian]], nach 100-jähriger Pause, am Vorbild des ebenfalls erneuerten Münchner Schäfflertanzes) dar. Die älteste Nachricht darüber stammt aus dem 15. Jahrhundert. Heute wird der Bindertanz von der Salzburger Brauchtumsgruppe ''Jung Alpenland'' bei öffentlichen Festen (z.B. Dult) aufgeführt. Die Binder und Küfer hatten als Lieferanten von Arbeitsgeräten (Bottiche, Schäffer), Bierfässern und Salzkufen große Bedeutung (Ende des 18. Jahrhunderts belieferten sie zwölf Brauereien in der Stadt Salzburg). Ein Halleiner Küfertanz wurde im 19. Jahrhundert aufgezeichnet. | ||
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+ | * W. Dreier-Andres: #Let’s Dance# – populäre Musik- und Tanzkultur auf dem Land am Beispiel des Lammertals der 1960er und 1970er Jahre. In: Th. Hochradner u.a. (Hg.): Those were the days. (Veröff. d. Arbeitsschwerpunkt Sbg. Musikgeschichte 5) Wien 2017. | ||
* W. Froihofer (Hg.): Volkstanz zwischen den Zeiten. Zur Kulturgeschichte des Volkstanzes in Österreich und Südtirol. Weitra 2012. Kurztexte im Buch, Wiss. Langtexte auf DVD. | * W. Froihofer (Hg.): Volkstanz zwischen den Zeiten. Zur Kulturgeschichte des Volkstanzes in Österreich und Südtirol. Weitra 2012. Kurztexte im Buch, Wiss. Langtexte auf DVD. | ||
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* o.A.: Volkstanz in Salzburg. 60 Volkstanzformen. Hg. AG Salzburger Volkstanz. 2./2009. | * o.A.: Volkstanz in Salzburg. 60 Volkstanzformen. Hg. AG Salzburger Volkstanz. 2./2009. | ||
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* I. Peter: Salzburger Tänze. Salzburg 1975. | * I. Peter: Salzburger Tänze. Salzburg 1975. | ||
Aktuelle Version vom 27. Mai 2021, 19:01 Uhr
Neben dem geselligen Tanz, der im steten Austausch mit den Tänzen anderer Gesellschaftsgruppen stand (Volksmusik), wurden Tänze und Tanzbräuche älterer Entwicklungsstufen, die sich am Lande erhalten hatten, seit dem 19. Jahrhundert durch Pflegebestrebungen zum als „Nationalkultur“ konnotierten Genre Volkstanz erhoben. Generell gilt für den sogenannten Volkstanz, dass er dem kulturellen Austausch zwischen den Gesellschaftsschichten unterlag, im Laufe des 18. Jahrhunderts am Lande im Rückgang war und schließlich Neubewertung und Wiederaufnahme erfuhr im Rahmen der historistischen Begeisterung der Stadtbürger für das Landleben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das mehrfach umbenannte, sogenannte „Österreichische Volksliedunternehmen“ (gegründet 1904; ab 1946 Österreichisches Volksliedwerk), darin besonders Raimund Zoder (1882–1963) ebenso wie die Gebirgstrachtenvereine und schließlich die Volkstanzbewegung, entwickelten eine Volkskultur samt dazugehöriger Tanzmusik im Schnittpunkt von Pflege, Forschung und kulturpolitischen Interessen.
Daraus entstand ein stilisierter Kanon von Paartänzen (für Salzburg werden sechzig Tänze angeboten) zu denen auch Reigen, Bandel- und Reiftänze gehören, die seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar sind; die Ländler bilden eine Gruppe, die Ketten- und Paartanz in typischen Figuren abwechseln, ebenso wie Figurentänze. Doch auch der Wiener Walzer zählt zur populären Tanzkultur Österreichs (2016 von der UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe Österreichs erhoben). Neben den Faschingsbällen ist der Kathreintanz (25. November) ein wichtiges Volkstanzfest, ebenso wie der Tanz in den Mai beim Maibaumaufstellen (Maibaum) und andere Festlichkeiten.
Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Österreichischer Volkstanz“ (BAG ÖVT) wurde 1956 in einem nationalen Umfeld begründet, 1960 als Verein eingetragen (u.a. Richard Wolfram, der Jahrzehnte hindurch als Mentor galt). Sie widmet sich heute der kritischen Forschung und Dokumentation (siehe Froihofer 2012) sowie einer qualitätvollen Tanz-, Musizier- und Gesangsausbildung, Tanzentwicklung und Fortbildung u.a. durch Arbeitsseminare und internationale wie „Alpenländische“ Volkstanz-Treffen und dem zwanglosen Tanzen. In ihrem Vorstand sind alle Bundesländer Österreichs und Südtirol vertreten. Die BAG ÖVT wurde 2011 von der UNESCO ins Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen. Die BAG ÖVT (Tanzarchive) und das Österreichische Volksliedwerk (ab 1994 eingegliedert in die ÖNB als Datenbank INFOLK) begründeten Archive sowie die Internetdatenbank Dancilla. In losem Kontakt dazu stehen Bundesländervereine, etwa die „Salzburger Landesarbeitsgemeinschaft für Volkstanz“, die auch Teil der „Salzburger Heimatvereinigungen“ ist. Diese vergibt „Volkztanzabzeichen“ in Bronze, Silber und Gold. Ethnotrends, Minderheiten- und Integrationsinitiativen sowie pädagogische Projekte in der Kinder- und Jugendförderung verstärkten in den letzten Jahrzehnten das Interesse am österreichischen Volkstanz und anderen „Nationaltänzen“.
Neben den Paartänzen haben sich auch Männertänze erhalten, für die zwei historische Ebenen feststellbar sind: die adeligen Männertänze des Spätmittelalters, wie Kettentänze und Moresken, die als Zunft- und Standestänze an vielen Festtagen seit dem 14. Jahrhundert in den Handelsstädten Europas und den Bergbauregionen auf dieser zweiten gesellschaftlichen Ebene feststellbar sind. Tänzer waren die Gesellen in festlicher Standestracht (Tracht), die diese Tänze an Festtagen der Zunft und im Fasching öffentlich aufführten. Verbindendes Element bei diesem Männerreigen sind teils Werkzeuge, Stäbe oder mit Reisig umwundene Halbkreisbögen, die „Reifen“. Die einzelnen Tanzfiguren werden heute als Abstraktionen der Arbeitsvorgänge gedeutet, wiewohl sie einst quer durch Europa bei allen Berufsgruppen gleich waren und alle Möglichkeiten des Reigen- und Kettentanzes ausschöpfen. Gewerbe- und Stadtakten liefern Belege für die Aufführungstermine bis um 1800, bis zur Neuregelung der Gewerbeordnungen. Einige Tänze wurden durch Wiederaufnahmen, irrtümlich als „Volkstänze“ bezeichnet, erhalten. Dazu zählen in Salzburg der Dürrnberger Schwerttanz der Bergknappen (dokumentiert seit 1545), der Böcksteiner Knappentanz und der Lungauer Russentanz, heute durch die Vereinigten in Tamsweg ausgeführt. Name und Ursprungslegende des Russentanzes sind historisch nicht nachvollziehbar, denn es fehlen die Quellen. Der Dürrnberger Schwerttanz ist archivalisch in Bild und Schrift besonders gut belegbar. Der Salzburger Binder- oder Küfertanz, ebenfalls ein Zunfttanz, der an den Dünzeltagen, den Jahrtagen, aufgeführt worden war, stellt eine Neubearbeitung (1924 durch Karl Adrian, nach 100-jähriger Pause, am Vorbild des ebenfalls erneuerten Münchner Schäfflertanzes) dar. Die älteste Nachricht darüber stammt aus dem 15. Jahrhundert. Heute wird der Bindertanz von der Salzburger Brauchtumsgruppe Jung Alpenland bei öffentlichen Festen (z.B. Dult) aufgeführt. Die Binder und Küfer hatten als Lieferanten von Arbeitsgeräten (Bottiche, Schäffer), Bierfässern und Salzkufen große Bedeutung (Ende des 18. Jahrhunderts belieferten sie zwölf Brauereien in der Stadt Salzburg). Ein Halleiner Küfertanz wurde im 19. Jahrhundert aufgezeichnet.
Lit.:
- W. Dreier-Andres: #Let’s Dance# – populäre Musik- und Tanzkultur auf dem Land am Beispiel des Lammertals der 1960er und 1970er Jahre. In: Th. Hochradner u.a. (Hg.): Those were the days. (Veröff. d. Arbeitsschwerpunkt Sbg. Musikgeschichte 5) Wien 2017.
- W. Froihofer (Hg.): Volkstanz zwischen den Zeiten. Zur Kulturgeschichte des Volkstanzes in Österreich und Südtirol. Weitra 2012. Kurztexte im Buch, Wiss. Langtexte auf DVD.
- o.A.: Volkstanz in Salzburg. 60 Volkstanzformen. Hg. AG Salzburger Volkstanz. 2./2009.
- I. Peter: Salzburger Tänze. Salzburg 1975.
U.K.