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Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, das erfolgreichste Theaterstück Hugo von Hofmannsthals (Erstdruck: Berlin 1911, zu Lebzeiten des Autors 70 Auflagen), ist als alljährlich auf dem Domplatz aufgeführte Hauptattraktion der Salzburger Festspiele zu einem der wichtigsten Markenzeichen der Kulturstadt Salzburg geworden. Das in archaisierenden Versen verfasste allegorische Drama wurde am 1. Dezember 1911 im Berliner Zirkus Schumann unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführt; am 22. August 1920 begann mit einer Neuinszenierung durch Reinhardt die erste Saison der Salzburger Festspiele, seither stand das Stück dort (mit Ausnahme der Jahre 1922–25 und 1938–45) jeden Sommer auf dem Spielplan.
Hofmannsthal gab für seinen Text mehrere Quellen an: das „Morality-Play“ Everyman (1529), das er selbst auch ins Deutsche übertrug, den niederländischen Elckerlyc (1495), die lateinische Version Homulus (1539) sowie Ein Comedi von dem reichen sterbenden Menschen, der Hekastus genannt (1549) von Hans Sachs. Er verbindet in seiner durchaus eigenständigen Bearbeitung die traditionelle christliche Auffassung von der Nichtigkeit des Materiellen angesichts des Todes mit einer modernen Deutung des Geldwesens, in der seine Beschäftigung mit Georg Simmels Philosophie des Geldes (1900) nachklingt: das Geld als abstrakt-anonymes Tauschmittel, dessen Herrschaft die vormoderne christliche Wertewelt entgegengesetzt wird.
Der reiche Protagonist, der zunächst noch einen armen Nachbarn, einen Schuldner und seine mahnende Mutter überheblich zurückweist, wird auf einem Fest, das er mit seiner Buhlschaft und zahlreichen Freunden feiert, vom Tod über sein baldiges Ableben informiert. Er bittet um eine Frist, um für den letzten Gang Begleiter zu finden; doch sowohl die Buhlschaft, sein „Geselle“ und seine Vettern als auch der Mammon lassen ihn im Stich. Lediglich bei seinen durch die dauernde Vernachlässigung geschwächten Guten Werken und beim Glauben findet er Unterstützung; der Teufel kommt zu spät, der zum Christentum Geläuterte darf auf Gottes Gnade hoffen.
Die Aufführungsgeschichte beginnt mit der prägenden Inszenierung Reinhardts und dem Uraufführungs-Darsteller Alexander Moissi, der auch in Salzburg bis 1931 auftrat. Ihm folgten Paul Hartmann (1932–34) und Attila Hörbiger (1935–38), ehe die Jedermann-Vorstellungen vom NS-Regime verboten wurden. 1946 kehrte das Stück in einer Inszenierung Heinz Hilperts (mit Ewald Balser als Jedermann) auf den Domplatz zurück; 1947–51 leitete Reinhardts Witwe Helene Thimig im Geist ihres Mannes die Vorstellungen, erneut mit Attila Hörbiger als Jedermann (1947–51), 1952 folgten Ernst Lothar als Regisseur (mit Will Quadflieg als Jedermann, (1952–59), dann William Dieterle (1960), Gottfried Reinhardt (1961/62) und erneut Thimig (1963–68); Walter Reyer war jeweils der Jedermann.
Ein Modernisierungsversuch durch Leopold Lindtberg (1969–72, mit Ernst Schröder als Jedermann) war wenig erfolgreich. Die Jahre 1973–83 waren durch den Regisseur Ernst Haeusserman geprägt – und den Einsatz international bekannter Film- und Fernsehstars: z.B. von Curd Jürgens (1973–77), Maximilian Schell (1978–82) und Klaus Maria Brandauer (1983–89) in der Titelrolle, die Buhlschaft spielten u.a. Senta Berger (1974–78, 1980–82), Marthe Keller (1983–86) und später Veronica Ferres (2002–04); der Jedermann wurde zunehmend zum Society-Phänomen.
Unter Gernot Friedel (1984–2001) folgten auf Brandauer Helmuth Lohner (1990–94), Gert Voss (1995–98) und Ulrich Tukur (1999–2001). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigten sich Ansätze einer Erneuerung: 2002–12 in der skeptischen Deutung Christian Stückls, meist mit Peter Simonischek, der den Jedermann bisher am häufigsten verkörperte (91 Vorstellungen 2002–09; ab 2010: Nicholas Ofczarek); 2013 integrierten Brian Mertes und Julian Crouch Elemente des mittelalterlichen Aufführungsspektakels (mit Cornelius Obonya, 2013–16); 2017 inszenierte Michael Sturminger mit Tobias Moretti als Jedermann und signifikanten textlichen Änderungen.
Im Verlauf der Aufführungsgeschichte gab es wiederholt Versuche, eine aktualisierte Textfassung in Auftrag zu geben, z.B. zu Beginn der Nachkriegszeit bei Carl Zuckmayer, in den 1990er Jahren bei Peter Handke, Botho Strauß und Hans Magnus Enzensberger – jeweils ohne Ergebnis. Der Plan einer Alternative mit einem Salzburger Totentanz von Bertolt Brecht endete 1951 mit dem Polit-Skandal um die Einbürgerung des kommunistischen Autors.
Als Thomas Bernhard 1965 den Festspielen eine Frühfassung seines als „Anti-Jedermann“ angelegten Stücks Ein Fest für Boris anbot, lehnten diese ab. Neben dem Mondseer (seit 1922) und Faistenauer Jedermann (seit 1955) in Mundart von Franz Löser (Reinhardts Spielansager) und zahlreichen Aufführungsserien des Jedermann in diversen Städten (z.B. Schwäbisch Hall, Berlin, Hamburg, Bamberg, Wismar) belegten u.a. das Stück Ein Jedermann von Felix Mitterer (1991, mit einem Waffenhändler als Protagonisten), der Film Jedermanns Fest von Fritz Lehner (entst. 1996, Uraufführung 2002, mit Brandauer) sowie jeweils 2018 das Stück jedermann (stirbt) von Ferdinand Schmalz und die Multimedia-Performance Jedermann (reloaded) des erfolgreichen Jedermann-Einspringers (2018) Philipp Hochmair die Faszinationskraft des Stoffes.
Lit.:
- G. Prossnitz: „Jedermann“. Von Moissi bis Simonischek. Salzburg 2004.
- A. Müry: J. darf nicht sterben. Salzburg 2014.
- N.C. Wolf: „J.“ (1911). In: M. Mayer, J. Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch. Stuttgart 2016, S. 207-211.
Ma.M.