Thomas Bernhard
Bernhard, Thomas, * Heerlen bei Maastricht (Niederlande) 9.2.1931, † Gmunden 12.2.1989, Schriftsteller.
B. war der uneheliche Sohn von Herta Bernhard, der Tochter des erfolglosen Salzburger Heimatschriftstellers Johannes Freumbichler; seinen Vater, den Tischler Alois Zuckerstätter, lernte er nie kennen. Nach ersten Lebenswochen in Pflegeunterkünften in den Niederlanden lebte er bis 1935 bei den Großeltern unter ökonomisch schwierigen Bedingungen in Wien. Ab 1935 verbrachte er mit den Großeltern eine als glücklich erinnerte Zeit in Seekirchen am Wallersee (Salzburg). 1937 übersiedelte er mit der Mutter und dem Ziehvater Emil Fabjan, den sie 1936 geheiratet hatte, nach Traunstein (Oberbayern); zwei Halbgeschwister: Peter (geb. 1938), Susanne (geb. 1940, verehel. Kuhn).
1944 trat B. in eine Salzburger Hauptschule ein und wohnte zu dieser Zeit in einem nationalsozialistischen Schülerheim in der Schrannengasse. 1946 wechselte er ins Staatsgymnasium (heute: Akad. Gymnasium): das Internat wurde jetzt als katholisches „Johanneum“ geführt und von ihm weiterhin als autoritärer Zwangsapparat erlebt. 1947 brach B. die stets als quälend empfundene Schule ab und begann eine Kaufmannslehre in der am Salzburger Stadtrand gelegenen „Scherzhauserfeldsiedlung“ für sozial Schwache, in deren Umgebung er sich erstmals gesellschaftlich angenommen fühlte.
Um die Jahreswende 1948/49 entwickelte sich aus einer schweren Erkältung eine lebensbedrohliche Erkrankung; B. wurde bereits ins Sterbezimmer des Salzburger Landeskrankenhauses gebracht, von 1949 bis 1951 folgten mehrere Aufenthalte des mittlerweile an Lungentuberkulose Erkrankten in Heilstätten, v.a. in Grafenhof (St. Veit im Pongau). Zu dieser Zeit starben die wichtigsten Bezugspersonen: 1949 der Großvater, 1950 die Mutter; im selben Jahr begegnete Bernhard in St. Veit aber auch seinem „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek, einer um fast 37 Jahre älteren Wiener Ministerialratswitwe, mit der ihn bis zu ihrem Tod 1984 eine enge Freundschaft verband.
Zwischen 1952 und 1955 war Bernhard als freier Mitarbeiter beim sozialistischen #Demokratischen Volksblatt# (Salzburg) tätig und verfasste dabei vorwiegend Gerichtssaalberichte, Buch-, Theater- und Filmkritiken, aber auch kürzere Prosaveröffentlichungen und Gedichte. 1955 begann er an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst „Mozarteum“ in Salzburg zunächst ein Gesangs-, später auch ein Regie- und Schauspielstudium. 1957 schloss er die Ausbildung als Regisseur und Schauspieler mit der Bühnenreifeprüfung ab. Zwischen 1957 und 1960 folgten längere Aufenthalte in Maria Saal (Kärnten) auf dem Tonhof des befreundeten Komponisten Gerhard Lampersberg und dessen Frau Maja Weis-Ostborn.
1957/58 erschienen im Salzburger Otto Müller Verlag die ersten Gedichtbände B.s: #Auf der Erde und in der Hölle# und #In hora mortis#. Nachdem der Verlag 1961 den 140 Gedichte umfassenden Band #Frost# abgelehnt hatte, gelang B. 1963 mit dem ebenso benannten Roman #Frost# (Insel Verlag) der literarische Durchbruch. Die polemische Beschreibung des Gebirgsorts Weng, die im Roman zum Szenario eines fiktionalen Bewusstseinsprozesses wird, führte nach der Zuerkennung des Österr. Staatspreises für Roman (1967) zu Protesten von Politikern im Salzburger Landtag (auch B.s Dankrede anlässlich der Preisverleihung verursachte 1968 einen Skandal). 1965 erwarb B. in Obernathal bei Ohlsdorf (OÖ.) einen Vierkanthof, den er in jahrelanger Arbeit restaurierte und bis zu seinem Tod zum Wohnsitz hatte; in den folgenden Jahren kaufte er zwei weitere Häuser bei Reindlmühl und Ottnang. Weitere Romane folgten: #Verstörung# (1967), #Das Kalkwerk# (1970) und #Korrektur# (1975). B. erhielt zu dieser Zeit mehrere angesehene Preise, u.a. Bremer Literaturpreis 1965, Anton-Wildgans-Preis 1968, Georg-Büchner-Preis 1970; in späteren Jahren nahm er hingegen keine Preise mehr an.
1965/66 scheiterte das Projekt einer ersten Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen aufgrund der düsteren Anlage des als „Anti-Jedermann“ konzipierten Stücks; seine Endfassung wurde unter dem Titel #Ein Fest für Boris# als erstes von insges. 18 abendfüllenden Dramen 1970 in Hamburg uraufgeführt, Regie führte (wie bei den meisten B.-Uraufführungen) Claus Peymann. Die Produktion von B.s erstem Festspiel-Stück #Der Ignorant und der Wahnsinnige# endete 1972 mit dem sogenannten ‚Notlicht-Skandal‘, weil die geforderte Abschaltung des Notlichts am Ende aus feuerpolizeilichen Gründen nicht erlaubt wurde. Dennoch folgte bereits 1974 eine weitere Festspiel-Uraufführung, die Komödie #Die Macht der Gewohnheit# mit B.s fortan bevorzugtem Hauptdarsteller Bernhard Minetti. Die Zusammenarbeit erfuhr zwar nach einem Konflikt wegen des Stücks #Die Berühmten# (1986), das wegen befürchteter Anspielungen auf die Festspielprominenz nicht im Voraus akzeptiert und daraufhin von B. zurückgezogen wurde, eine Unterbrechung, doch mit drei weiteren Uraufführungen (#Am Ziel#, 1981, #Der Theatermacher#, 1985, und #Ritter, Dene, Voss#, 1986) avancierte B. zum meistgespielten zeitgenössischen Dramatiker des Festspiele nach 1945.
1975 die insgesamt fünfbändige Reihe autobiograph. Erzählungen, die der mittlerweile zum Suhrkamp-Autor avancierte B. im Residenz Verlag herausbrachte. Zunächst löste er mit dem Band #Die Ursache. Eine Andeutung# einen Skandal aus, weil er darin die Stadt Salzburg als „katholisch-nationalsozialistischen Todesboden“ bezeichnete; der Salzburger Stadtpfarrer erwirkte im Rahmen einer Klage die Streichung von gegen ihn gerichteten Passagen. 1976 folgte #Der Keller. Eine Entziehung#, die Darstellung von B.s Kaufmannslehre, 1978 #Der Atem. Eine Entscheidung# und 1981 #Die Kälte. Eine Isolation#, die Schilderung der Krankheitsphase, ehe 1982 in #Ein Kind# die Darstellung der frühesten Kindheitsjahre nachgereicht wurde.
Im Mittelpunkt des Romans #Der Untergeher# (1983) steht der Pianist Glenn Gould; der Text ist eine fiktionale Auseinandersetzung mit B.s Mozarteums-Zeit. 1984 löste die Veröffentlichung des Romans #Holzfällen. Eine Erregung# aufgrund der vorübergehenden Beschlagnahmung nach einer Klage Lampersbergs, der sich in einer Romanfigur verunglimpft sah, den bis dahin größten Skandal um B.s Werk aus. 1986 erschien der Roman #Auslöschung. Ein Zerfall#, der allgemein als eine Art „opus magnum“ wahrgenommen wurde. Im „Bedenkjahr“ 1988 (50 Jahre Anschluss Österreichs an NS-Deutschland) verursachte B. mit seinem letzten Theaterstück #Heldenplatz# nochmals eine intensive öffentliche Auseinandersetzung.
Seine letzte Prosaveröffentlichung erfolgte 1989 erneut im Residenz Verlag; es handelte sich um den im Wesentlichen Ende der 1950er-Jahre entstandenen Text #In der Höhe. Rettungsversuch, Unsinn#. In seinem Testament untersagte B. die Veröffentlichung aller zu Lebzeiten unpubliziert gebliebenen Texte sowie die öffentliche Aufführung und den Druck aller seiner Werke in Österreich; etwa ein Jahrzehnt nach seinem Tod wurde dieses Aufführungsverbot nach der Gründung einer T. B. Privatstiftung, die sich der öffentl. Repräsentanz von B.s Werk widmen sollte, wieder aufgehoben. 1999 wurde in Salzburg die Internationale T. B. Gesellschaft konstituiert, Gründungspräsident: Adolf Haslinger.
Lit.:
- M. Huber, M. Mittermayer (Hg.): B. Handbuch. Stuttgart 2018.
- M. Mittermayer: T.B. Eine Biografie. Wien, Salzburg 2015.
- M. Mittermayer, S. Veits-Falk (Hg.): T.B. und Salzburg. 22 Annäherungen. Salzburg 2001.
- L. Huguet: Chronologie. Johannes Freumbichler – T.B. Weitra [1995].
- H. Höller: T.B. Reinbek bei Hamburg 1993.
Ma.M.