Peter Handke

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Handke, Peter, * Griffen (Kärnten) 6.12.1942, Schriftsteller.

Kindheit und Jugend in Kärnten, Jus-Studium in Graz. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurde H. mit Sprech- und Theaterstücken wie #Publikumsbeschimpfung# (1966) u. #Kaspar# (1967), Romanen wie #Die Hornissen# (1966) und #Der Hausierer# (1967) sowie dem Lyrikband #Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt# (1969) zur literarischen Leitfigur der jungen Generation. Es folgten u.a. die Erzähltexte #Die Angst des Tormanns beim Elfmeter# (1970), #Die Stunde der wahren Empfindung# (1975) u. #Langsame Heimkehr# (1979), dazw. die autobiographische Erzählung #Wunschloses Unglück# (1972, ausgelöst vom Suizid der Mutter), die wie das Journal #Das Gewicht der Welt# (1977) im Salzburger →Residenz Verlag erschien.

Nach Aufenthalten in Deutschland und Paris lebte H. von 1979 bis 1987 in Salzburg; seine Tochter Amina besuchte dort das Akademische Gymnasium. Die beiden wohnten im Haus des befreundeten Ehepaars Hans und Gerheid →Widrich am Mönchsberg. Während dieser Zeit war H. als Schriftsteller sehr produktiv, außerdem begann er in Salzburg mit der Arbeit als Übersetzer (in vier Sprachen). In seinen Prosawerken verbindet sich seit jeher die literarische Darstellung konkreter Örtlichkeit mit fiktionaler Topographie; das trifft auch auf die Stadt Salzburg und ihre Umgebung zu. Außerdem sind in seinen Texten einige Salzburger Persönlichkeiten wiederzufinden, freilich in literarisch überformter Gestalt.

Das erste in Salzburg entstandene Buch ist #Die Lehre der Sainte-Victoire# (1980), in dessen Schlusskapitel mit dem Titel „Der große Wald“ H., von einem Bild des Holländers Jacob van Ruisdael ausgehend, eine Wanderung vom Mönchsberg in den Morzger Wald schildert. #Die Kindergeschichte# (1981) schrieb H. im Frühjahr und Sommer 1980 in Salzburg. Es sollte nicht die konkrete Geschichte der Beziehung zwischen dem Vater P. H. und seiner Tochter sein, sondern die abstrahierte Geschichte zwischen dem „Erwachsenen“ und dem „Kind“ – und eben deshalb im Leseakt individuell konkretisierbar.

H.s dramatisches Gedicht #Über die Dörfer# wurde 1982 bei den Salzburger →Festspielen uraufgeführt. Vorbild war das klassische Drama der griechischen Antike mit seinen langen epischen Wechselreden; Autobiographisches (die Darstellung des Konflikts um ein Erbe) ist ins Familienmodell verarbeitet. Regie führte Wim Wenders, zu dessen Film #Der Himmel über Berlin# (1987) H. das Drehbuch schrieb. H. befasste sich auch als Übersetzer mit der griechischen Tragödie: Seine Übertragung des Stücks #Prometheus, gefesselt# von Aischylos wurde 1986 bei den Festspielen uraufgeführt. 1985 drehte er, nachdem er bereits 1978 den Film #Die linkshändige Frau# (nach einem eigenen Text, 1976) inszeniert hatte, den Film #Das Mal des Todes# (nach Marguerite Duras, mit seiner damaligen Lebensgefährtin Marie Colbin in der Hauptrolle) tw. im Schloss Freisaal.

Die Handlung der Erzählung #Der Chinese des Schmerzes# (1983) ist in und um Salzburg herum angesiedelt; dabei verwandelt H. die konkret genannten Schauplätze in eine komplexe literarische Zeichenwelt. In #Nachmittag eines Schriftstellers# (1987) bildet die vertraute Topographie von Berg, Fluss, Brücke, Stadtrand und Umgebung den Erfahrungsraum für die grundsätzliche Begegnung von Künstler und Welt. Die Reise der kleinen Personengruppe in #Die Abwesenheit. Ein Märchen# (1987, unter H.s Regie verfilmt 1992) beginnt ebenfalls in Salzburg, die Protagonisten stammen aus dieser Stadt.

In H.s Roman #In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus# (1997) spielen der Schauplatz Taxham sowie die Figur eines Apothekers von Taxham eine zentrale Rolle. Mehrere Prosastücke des Bandes #Noch einmal für Thukydides# (1990 beziehen Salzburgs Landschaft mit ein. Im Journal #Am Felsfenster morgens# (1998) veröffentlichte H. seine Notizen und Reflexionen durch fünf Salzburger Jahre (1982–1987). Die beiden letztgenannten Texte erschienen erneut im Residenz Verlag; H.s Salzburger Publikationsgeschichte setzte sich im Verlag →Jung und Jung fort: #Gestern unterwegs# (2005), #Ein Jahr aus der Nacht gesprochen# (2010), #Die Geschichte des Dragoljub Milanović# (2011) sowie #Vor der Baumschattenwand nachts. Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007–2015# (2016).

Bei den Salzburger Festspielen folgten weitere Uraufführungen von H.-Stücken. 2009 inszenierte Jossi Wieler #Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts#, ein dramatisches „Echo“ (Handke) auf Samuel Becketts #Das letzte Band#. Eines der wichtigsten Dramen H.s ist #Immer noch Sturm#, das im Rahmen der Festspiele 2011 auf der Perner Insel uraufgeführt wurde (Regie: Dimiter Gotscheff; Hauptrolle: Jens Harzer). Es handelt sich um eine weit in die Vergangenheit ausgefaltete theatralische Phantasie über die Familiengeschichte des Autors, verbunden mit einer Auseinandersetzung mit dem Partisanenkampf durch Kärntner Slowenen.

Weitere Werke: Prosa: #Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein Märchen aus den neuen Zeiten# (1994), #Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos# (2002), #Die Morawische Nacht# (2008), #Der Große Fall# (2011), #Die Obstdiebin – oder – Einfache Fahrt ins Landesinnere# (2017); Dramen: #Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land# (1989), #Die Stunde da wir nichts voneinander wußten# (1992), #Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg# (1999), # Spuren der Verirrten# (2007, auch als Oper v. Philip Glass, 2013), #Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße. Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten# (2015).

Neben zahlreichen internat. Auszeichnungen (darunter dem Georg-Büchner-Preis 1973, dem Franz-Kafka-Preis 1979, dem Großen Österr. Staatspreis 1987, dem Bremer Literaturpreis 1988, dem Internationalen Ibsen-Preis 2014) erhielt H. den Literaturpreis des Kulturfonds der Stadt Salzburg 1986 u. den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg 2012, außerdem mehrere Ehrendoktorate, darunter 2003 jenes der →Univ. Salzburg.

Das →Literaturarchiv Salzburg bewahrt einen umfangr. Teilvorlass H.s: neben zahlreichen Einzelmanuskripten (darunter der Essay #Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien#, mit dem 1996 H.s umstrittene Kritik an der einseitigen Parteinahme der westlichen Medien gegen das Verhalten Serbiens im Jugoslawien-Krieg begann) aus dem Bestand der →Adolf Haslinger Literaturstiftung auch die Dokumentation der gesamten Werkgenese des Stücks #Immer noch Sturm#.

Lit.:

  • K. Pektor (Hg.): P.H. Dauerausstellung Stift Griffen. Begleitbuch. Salzburg 2017.
  • M. Herwig: Meister der Dämmerung. P.H. Eine Biografie. München 2010.
  • H. Gottwald, A. Freinschlag: P.H. Stuttgart 2009.
  • H. Höller: P.H. Reinbek bei Hamburg 2007.
  • A. Haslinger: P.H. Jugend eines Schriftstellers. Salzburg 1992.

A.Has., Ma.M.