Volksmusik: Unterschied zwischen den Versionen

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Volksmusik ist überall auf der Welt ein Pendant zur musikalischen Hochkunst und umfasst von elementaren Ausdrucksformen (Spiellieder der Kinder, Arbeitsrufe, Lärmgeräte, primitive Musikinstrumente) bis zu hochstilisierten Liedern und Tänzen eine Vielzahl an Gattungen. Diese erfahren durch meist improvisatorische Überlieferung und starke Einbindung ins Gemeinschaftsleben ihre jeweils typische Ausprägung. Auch in den Alpen als Lebens- und Wirtschaftsraum hat sich eine von Bergbauernkultur, Alm- und Hirtenwesen geprägte Musik entwickelt, in der Herdengeläute, archaische Jodelformen (besonders Pongau, Salzkammergut, z.B. der Flachauer „Küahsuacher“, als „Almschrei“ Vorstufe des Jodlers) und Tierlockrufe eine große Rolle gespielt haben. Diese „produktive Naturhaftigkeit“ wurde „geschichtlich erworben und verloren“ und erlebte eine typische „alpenländische Einengung und Weiterbildung“ (Walter Wiora). Vom späten Mittelalter an färbte das Vorbild der großen Residenzstädte auf die Musikalität und die Standestänze der Handwerker ab ([[Volkstanz]]). Im ausgehenden 18. Jahrhundert hat die Ausstrahlung der „Wiener Klassik“ ein starkes musikalisches Zentrum am Alpenostrand geschaffen, das u.a. speziell über die Instrumentierung der Schrammelmusik das [[Salzkammergut]] prägte.
 
Volksmusik ist überall auf der Welt ein Pendant zur musikalischen Hochkunst und umfasst von elementaren Ausdrucksformen (Spiellieder der Kinder, Arbeitsrufe, Lärmgeräte, primitive Musikinstrumente) bis zu hochstilisierten Liedern und Tänzen eine Vielzahl an Gattungen. Diese erfahren durch meist improvisatorische Überlieferung und starke Einbindung ins Gemeinschaftsleben ihre jeweils typische Ausprägung. Auch in den Alpen als Lebens- und Wirtschaftsraum hat sich eine von Bergbauernkultur, Alm- und Hirtenwesen geprägte Musik entwickelt, in der Herdengeläute, archaische Jodelformen (besonders Pongau, Salzkammergut, z.B. der Flachauer „Küahsuacher“, als „Almschrei“ Vorstufe des Jodlers) und Tierlockrufe eine große Rolle gespielt haben. Diese „produktive Naturhaftigkeit“ wurde „geschichtlich erworben und verloren“ und erlebte eine typische „alpenländische Einengung und Weiterbildung“ (Walter Wiora). Vom späten Mittelalter an färbte das Vorbild der großen Residenzstädte auf die Musikalität und die Standestänze der Handwerker ab ([[Volkstanz]]). Im ausgehenden 18. Jahrhundert hat die Ausstrahlung der „Wiener Klassik“ ein starkes musikalisches Zentrum am Alpenostrand geschaffen, das u.a. speziell über die Instrumentierung der Schrammelmusik das [[Salzkammergut]] prägte.
  
Johann Gottfried Herder gilt weithin als der romantische Entdecker des „Volksliedes“. So wurde auf ihn zurückgehend unter Volksmusik lange nur das Lied verstanden. Deshalb teilte [[Lorenz Hübner]] 1796 auch die salzburgischen Volkslieder in „Schnodahüpfl“, Gasselreime, geistliche Gesänge und Lieder mit den Inhalten: Erotik, Wildschießen, Alpenleben und Soldatenleben ein. Unterstützt durch die Kulturpolitik der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und am Vorbild der Napoleonischen Volksmusikumfrage entstand in den österreichschen Kronländern ab 1819 eine amtliche Volksmusiksammlung, die ihrerseits anregend auf die Überlieferung zurückwirkte. Joseph von Sonnleithner leitete 1819 im Rahmen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien eine große Umfrage bei Lehrern und Geistlichen aller Kronländer ein, die wegen der Karlsbader Beschlüsse gegen nationale und liberale Bestrebungen in Budapest erscheinen musste (''Österreichische Volkslieder und ihre Singweisen''). Der Salzburger Teil der Sonnleithner-Sammlung zeigt im Vergleich zur Sammlung ''Salzburgische Volkslieder mit ihren Singweisen'' von [[Süß, Maria Vinzenz|Vinzenz Maria Süß]], 1865, einen raschen Wandel des Liedgutes auf. Süß zeichnete unzensuriert und ungeschönt die Texte der Lieder und Gstanzeln noch vor Einführung des Musikunterrichtes in den Schulen auf. Dieser, eingeführt mit dem Reichsvolksschulgesetz von 1869, drängte mündliche Überlieferung neben Kirche und Orgel in den Hintergrund. Die Schule (Geige und Repertoireerweiterung) wurde zum wesentlichen Musikvermittler. Die systematische Volksmusikforschung und -pflege, ausgehend von Josef Pommer 1884, führte in wechselhafter Entwicklung zum heutigen Repertoire und der Institution [[Volksliedwerk, Salzburger|Volksliedwerk]].
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[[Datei:Volksmusik, Bürgermusik St. Johann (1835-1935) SLIVK.jpg|miniatur|x250px|Bürgermusik St. Johann (1935)]]
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Johann Gottfried Herder gilt weithin als der romantische Entdecker des „Volksliedes“. So wurde auf ihn zurückgehend unter Volksmusik lange nur das Lied verstanden. Deshalb teilte [[Lorenz Hübner]] 1796 auch die salzburgischen Volkslieder in „Schnodahüpfl“, Gasselreime, geistliche Gesänge und Lieder mit den Inhalten: Erotik, Wildschießen, Alpenleben und Soldatenleben ein. Unterstützt durch die Kulturpolitik der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und am Vorbild der Napoleonischen Volksmusikumfrage entstand in den österreichischen Kronländern ab 1819 eine amtliche Volksmusiksammlung, die ihrerseits anregend auf die Überlieferung zurückwirkte. Joseph von Sonnleithner leitete 1819 im Rahmen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien eine große Umfrage bei Lehrern und Geistlichen aller Kronländer ein, die wegen der Karlsbader Beschlüsse gegen nationale und liberale Bestrebungen in Budapest erscheinen musste (''Österreichische Volkslieder und ihre Singweisen''). Der Salzburger Teil der Sonnleithner-Sammlung zeigt im Vergleich zur Sammlung ''Salzburgische Volkslieder mit ihren Singweisen'' von [[Süß, Maria Vinzenz|Vinzenz Maria Süß]], 1865, einen raschen Wandel des Liedgutes auf. Süß zeichnete unzensiert und ungeschönt die Texte der Lieder und Gstanzeln noch vor Einführung des Musikunterrichtes in den Schulen auf. Dieser, eingeführt mit dem Reichsvolksschulgesetz von 1869, drängte mündliche Überlieferung neben Kirche und Orgel in den Hintergrund. Die Schule (Geige und Repertoireerweiterung) wurde zum wesentlichen Musikvermittler. Die systematische Volksmusikforschung und -pflege, ausgehend von Josef Pommer 1884, führte in wechselhafter Entwicklung zum heutigen Repertoire und der Institution [[Volksliedwerk, Salzburger|Volksliedwerk]].
 
Für Salzburg sind besonders [[Otto Eberhard]] als Aufzeichner des Volksliedwerkes und die Familien Windhofer (der Vereins- und Musikgruppengründer ([[Georg Windhofer]]) und Dengg (der Aufzeichner [[Otto Dengg]]) als Pfleger und Ausführende zu nennen. [[Sepp Dengg]], Lehrer, Chorleiter, Volksliedkomponist, begründete 1950 den Salzburger Volksliedchor, der seit 1968 von seinem Neffen Harald Dengg geleitet wird, weiters den Taxhamer Frauensingkreis neben anderen Volksliedchören sowie mit seinen Brüdern Adolf, Erich und Otto Dengg den bekannten Pongauer Viergesang. Diese Ensembles zählen auch zu den Säulen des [[Salzburger Adventsingen|Salzburger Adventsingens]], dem sie lange eine typische Note gaben.  
 
Für Salzburg sind besonders [[Otto Eberhard]] als Aufzeichner des Volksliedwerkes und die Familien Windhofer (der Vereins- und Musikgruppengründer ([[Georg Windhofer]]) und Dengg (der Aufzeichner [[Otto Dengg]]) als Pfleger und Ausführende zu nennen. [[Sepp Dengg]], Lehrer, Chorleiter, Volksliedkomponist, begründete 1950 den Salzburger Volksliedchor, der seit 1968 von seinem Neffen Harald Dengg geleitet wird, weiters den Taxhamer Frauensingkreis neben anderen Volksliedchören sowie mit seinen Brüdern Adolf, Erich und Otto Dengg den bekannten Pongauer Viergesang. Diese Ensembles zählen auch zu den Säulen des [[Salzburger Adventsingen|Salzburger Adventsingens]], dem sie lange eine typische Note gaben.  
  
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Der in Österreich geprägte Stilbegriff der „alpenländischen Volksmusik“ (Vorherrschen von Dreiklangsmelodik im Dreiertakt mit großen Tonumfängen und reicher Mehrstimmigkeit in Abgrenzung zur allgemeineuropäischen Melodik) wird nur im süddeutsch-österreichischen Raum verwendet. Er charakterisiert weitgehend die vom Berner Oberland bis Slowenien verbreitete Ländler- und Jodlerkultur. Diese wurde aufgenommen und mitgeprägt von vielerlei Gruppen und Zeitströmungen unterschiedlichster Provenienz, wie z.B. von den Nationalsängern zu Beginn des 19. Jahrhunderts, den Stubenmusiken in Salzburg, Bayern und Westösterreich u.a. (Wolfgang Suppan). Dieser Stil zeigt vielfältige Facetten von traditionsgeprägter Innovation (z.B. Salzburger Stubenmusik, Salzburger Dreigesang, Volksliedchöre) bis zur kommerziellen Verflachung des musikalischen Erbes im Massentourismus ([[Tourismus]]). Auch der Volkstanz entstand in ständigem Wechselspiel zum Tanz reicherer Gesellschaftsgruppen.
 
Der in Österreich geprägte Stilbegriff der „alpenländischen Volksmusik“ (Vorherrschen von Dreiklangsmelodik im Dreiertakt mit großen Tonumfängen und reicher Mehrstimmigkeit in Abgrenzung zur allgemeineuropäischen Melodik) wird nur im süddeutsch-österreichischen Raum verwendet. Er charakterisiert weitgehend die vom Berner Oberland bis Slowenien verbreitete Ländler- und Jodlerkultur. Diese wurde aufgenommen und mitgeprägt von vielerlei Gruppen und Zeitströmungen unterschiedlichster Provenienz, wie z.B. von den Nationalsängern zu Beginn des 19. Jahrhunderts, den Stubenmusiken in Salzburg, Bayern und Westösterreich u.a. (Wolfgang Suppan). Dieser Stil zeigt vielfältige Facetten von traditionsgeprägter Innovation (z.B. Salzburger Stubenmusik, Salzburger Dreigesang, Volksliedchöre) bis zur kommerziellen Verflachung des musikalischen Erbes im Massentourismus ([[Tourismus]]). Auch der Volkstanz entstand in ständigem Wechselspiel zum Tanz reicherer Gesellschaftsgruppen.
  
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[[Datei:Volksmusik, Aufmarschmusik BMK Bischofshofen CM.jpg|miniatur|x250px|Blasmusikkapelle Bischofshofen ]]
 
Volksmusik ist sowohl als Begleitmusik (Lärm- und Musikinstrumente bei Perchtenumzügen, Ratschen als Klangkörper im Brauch der Kartage, Trommler und Pfeifer als Geleitformation etwa der Bergknappen) wie als Erhalt älterer Geleitmusikformen (Militär- und Gardemusik bis zum Barock) bis zur Ausbildung gegenwärtiger Marschmusik (mit den Blechmusikkapellen seit dem 19. Jahrhundert), als Tanzausführung ([[Fackeltanz]], Volkstanz) wie als Lied (wobei ehrenvolle Ansinglieder, z.B. Hochzeitslader, Gratulationslieder, und spöttische Gstanzeln, z.B. Faschingsbriefe, sowie Heischelieder etwa bei den Anglöcklern) Bestandteil vieler Bräuche und Umzüge. Über [[Kuno Brandauer]] entstanden viele Veränderungen und (Er-) Neuerungen im Umkreis der [[Brauchtumsvereine]] bzw. der Kulturpolitik. Speziell in der NS-Zeit wurde die Volksmusik geschönt und mit einem ernsten Tenor bedacht, Doppelbödigkeiten, Witz und Ironie, die so typisch für einen großen Teil der Lieder waren, wurden als „artfremd“ verachtet. Damit gingen die sozialen Elemente der Rüge und Kontrolle und die Interaktion im Witz verloren.
 
Volksmusik ist sowohl als Begleitmusik (Lärm- und Musikinstrumente bei Perchtenumzügen, Ratschen als Klangkörper im Brauch der Kartage, Trommler und Pfeifer als Geleitformation etwa der Bergknappen) wie als Erhalt älterer Geleitmusikformen (Militär- und Gardemusik bis zum Barock) bis zur Ausbildung gegenwärtiger Marschmusik (mit den Blechmusikkapellen seit dem 19. Jahrhundert), als Tanzausführung ([[Fackeltanz]], Volkstanz) wie als Lied (wobei ehrenvolle Ansinglieder, z.B. Hochzeitslader, Gratulationslieder, und spöttische Gstanzeln, z.B. Faschingsbriefe, sowie Heischelieder etwa bei den Anglöcklern) Bestandteil vieler Bräuche und Umzüge. Über [[Kuno Brandauer]] entstanden viele Veränderungen und (Er-) Neuerungen im Umkreis der [[Brauchtumsvereine]] bzw. der Kulturpolitik. Speziell in der NS-Zeit wurde die Volksmusik geschönt und mit einem ernsten Tenor bedacht, Doppelbödigkeiten, Witz und Ironie, die so typisch für einen großen Teil der Lieder waren, wurden als „artfremd“ verachtet. Damit gingen die sozialen Elemente der Rüge und Kontrolle und die Interaktion im Witz verloren.
  
 
In der traditionellen Ständegesellschaft waren die Musikstile der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen stärker differenziert als heute und dennoch in einem ständigen Austausch begriffen. So kam es zu sukzessiver Orientierung an den zeitgenössischen Entwicklungen. In den ärmeren Bevölkerungsschichten prägten Rufe (Vieh- und Almrufe über weite Entfernungen) und Lärminstrumente (Essensglocken und -klappern) sowie Arbeitslieder, die den Takt bei Gemeinschaftsarbeiten vorgaben (beim Dreschen, Mähen etc.), den Arbeitsalltag und die Klangökologie der Landschaften. Freizeit und Feierabend wurden u.a. durch Scherz- und Spottlieder (etwa die „Gstanzeln“, die beim Tanz und im Wirtshaus als gereimte Kleinform des Volkswitzes entstanden und mit Wortwitz und Situationskomik spielen) von ein- und zweideutiger Derbheit, oft voll von Sozialkritik, aber auch von Liedern zur Einübung der Normen, als Ausdruck der Gefühle, zur Schilderung des Alltags, geprägt. Oft erscheinen Lieder als psychisches und soziales Ventil, sie kritisieren die Verhältnisse, sie beziehen sich auf die empfundene Diskrepanz von Recht und Gerechtigkeit bzw. Bedürfnis und Realität. In ihnen werden heute noch Auseinandersetzungen ausgetragen, erotische Sehnsüchte artikuliert, sie enthalten Grobheiten, Zynismus und Situationskomik. Sie sind ein „Spiel hinter dem Spiel“, das die Realität gleichzeitig trifft und aufhebt. Daneben waren Instrumentalmusik (niemals als konzertante Vorführung, sondern immer nur als Begleitung einer Aktivität) und Tanz Mittel der Kommunikation. So zogen wandernde Musikanten in fixen Routen von Fest zu Fest. Für viele Musikanten war Musik auch Nebenerwerb zu Landwirtschaft, Klein- und Wandergewerbe. Das Repertoire der Musikanten wie Sänger war zeit-, anlass- und publikumsspezifisch.
 
In der traditionellen Ständegesellschaft waren die Musikstile der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen stärker differenziert als heute und dennoch in einem ständigen Austausch begriffen. So kam es zu sukzessiver Orientierung an den zeitgenössischen Entwicklungen. In den ärmeren Bevölkerungsschichten prägten Rufe (Vieh- und Almrufe über weite Entfernungen) und Lärminstrumente (Essensglocken und -klappern) sowie Arbeitslieder, die den Takt bei Gemeinschaftsarbeiten vorgaben (beim Dreschen, Mähen etc.), den Arbeitsalltag und die Klangökologie der Landschaften. Freizeit und Feierabend wurden u.a. durch Scherz- und Spottlieder (etwa die „Gstanzeln“, die beim Tanz und im Wirtshaus als gereimte Kleinform des Volkswitzes entstanden und mit Wortwitz und Situationskomik spielen) von ein- und zweideutiger Derbheit, oft voll von Sozialkritik, aber auch von Liedern zur Einübung der Normen, als Ausdruck der Gefühle, zur Schilderung des Alltags, geprägt. Oft erscheinen Lieder als psychisches und soziales Ventil, sie kritisieren die Verhältnisse, sie beziehen sich auf die empfundene Diskrepanz von Recht und Gerechtigkeit bzw. Bedürfnis und Realität. In ihnen werden heute noch Auseinandersetzungen ausgetragen, erotische Sehnsüchte artikuliert, sie enthalten Grobheiten, Zynismus und Situationskomik. Sie sind ein „Spiel hinter dem Spiel“, das die Realität gleichzeitig trifft und aufhebt. Daneben waren Instrumentalmusik (niemals als konzertante Vorführung, sondern immer nur als Begleitung einer Aktivität) und Tanz Mittel der Kommunikation. So zogen wandernde Musikanten in fixen Routen von Fest zu Fest. Für viele Musikanten war Musik auch Nebenerwerb zu Landwirtschaft, Klein- und Wandergewerbe. Das Repertoire der Musikanten wie Sänger war zeit-, anlass- und publikumsspezifisch.
  
Vom 19. Jahrhundert an entwickelten sich weite Teile der Volksmusik unter den bewertenden und auswählenden Einflüssen von Pflege- und Brauchtumsvereinen weiter und führten dennoch zu einer eigenständigen Aneignung. Andere Bereiche der Musik verschwanden seit dem 19. Jahrhunderts im Zuge der steten Veränderungen des Alltags- und Wirtschaftslebens. So ist auch im Bereich der Volksmusik seit dem 19. Jahrhundert eine Verschiebung vom Alltag in die Fest- und Freizeit, vom gemeinschaftlichen Tun zur Aufführung zu bemerken. Vielfach ist der gesamte Lebenszusammenhang einzelner Musikstücke heute nur mehr über Feldforschungsarbeiten zu dokumentieren. Durch Volksmusikpflege und Vereine kam es einerseits zur Ausbildung konservierender und perpetuierender geschlossener Systeme und andererseits zu breitenwirksamen Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten und damit zur Hebung des technischen und musikalischen Niveaus (Fortbildungswochen und Instrumentenbaukurse des Volksliedwerkes). Musikvermittlungsinitiativen in offener Geselligkeit (z.B. Musikantenstammtisch) und die Fortentwicklung der Traditionen mit den Mitteln und Stilen gegenwärtiger Musik (u.a. Lungauer Querschläger) versuchen dieser Stagnation heute entgegenzusteuern. Neben dem Genre „traditionelle Volksmusik im Umkreis der Pflege“, neben der von dieser als „volkstümlich“ bezeichneten kommerzialisierten Volkmusik zählen für die heutige Volkskunde alle Formen der gegenwärtigen gruppenspezifischen Musikstile, die von solchen Gruppen als „richtig“, „eigen“ und „authentisch“ empfunden werden, als Forschungsfeld.
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Vom 19. Jahrhundert an entwickelten sich weite Teile der Volksmusik unter den bewertenden und auswählenden Einflüssen von Pflege- und Brauchtumsvereinen weiter und führten dennoch zu einer eigenständigen Aneignung. Andere Bereiche der Musik verschwanden seit dem 19. Jahrhunderts im Zuge der steten Veränderungen des Alltags- und Wirtschaftslebens. So ist auch im Bereich der Volksmusik seit dem 19. Jahrhundert eine Verschiebung vom Alltag in die Fest- und Freizeit, vom gemeinschaftlichen Tun zur Aufführung zu bemerken. Vielfach ist der gesamte Lebenszusammenhang einzelner Musikstücke heute nur mehr über Feldforschungsarbeiten zu dokumentieren. Durch Volksmusikpflege und Vereine kam es einerseits zur Ausbildung konservierender und perpetuierender geschlossener Systeme und andererseits zu breitenwirksamen Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten und damit zur Hebung des technischen und musikalischen Niveaus (Fortbildungswochen und Instrumentenbaukurse des Volksliedwerkes). Musikvermittlungsinitiativen in offener Geselligkeit (z.B. Musikantenstammtisch) und die Fortentwicklung der Traditionen mit den Mitteln und Stilen gegenwärtiger Musik (u.a. Lungauer Querschläger) versuchen dieser Stagnation heute entgegenzusteuern. Neben dem Genre „traditionelle Volksmusik im Umkreis der Pflege“, neben der von dieser als „volkstümlich“ bezeichneten kommerzialisierten Volksmusik zählen für die heutige Volkskunde alle Formen der gegenwärtigen gruppenspezifischen Musikstile, die von solchen Gruppen als „richtig“, „eigen“ und „authentisch“ empfunden werden, als Forschungsfeld.
  
  

Version vom 11. Mai 2021, 14:42 Uhr

Volksmusik ist überall auf der Welt ein Pendant zur musikalischen Hochkunst und umfasst von elementaren Ausdrucksformen (Spiellieder der Kinder, Arbeitsrufe, Lärmgeräte, primitive Musikinstrumente) bis zu hochstilisierten Liedern und Tänzen eine Vielzahl an Gattungen. Diese erfahren durch meist improvisatorische Überlieferung und starke Einbindung ins Gemeinschaftsleben ihre jeweils typische Ausprägung. Auch in den Alpen als Lebens- und Wirtschaftsraum hat sich eine von Bergbauernkultur, Alm- und Hirtenwesen geprägte Musik entwickelt, in der Herdengeläute, archaische Jodelformen (besonders Pongau, Salzkammergut, z.B. der Flachauer „Küahsuacher“, als „Almschrei“ Vorstufe des Jodlers) und Tierlockrufe eine große Rolle gespielt haben. Diese „produktive Naturhaftigkeit“ wurde „geschichtlich erworben und verloren“ und erlebte eine typische „alpenländische Einengung und Weiterbildung“ (Walter Wiora). Vom späten Mittelalter an färbte das Vorbild der großen Residenzstädte auf die Musikalität und die Standestänze der Handwerker ab (Volkstanz). Im ausgehenden 18. Jahrhundert hat die Ausstrahlung der „Wiener Klassik“ ein starkes musikalisches Zentrum am Alpenostrand geschaffen, das u.a. speziell über die Instrumentierung der Schrammelmusik das Salzkammergut prägte.

Bürgermusik St. Johann (1935)

Johann Gottfried Herder gilt weithin als der romantische Entdecker des „Volksliedes“. So wurde auf ihn zurückgehend unter Volksmusik lange nur das Lied verstanden. Deshalb teilte Lorenz Hübner 1796 auch die salzburgischen Volkslieder in „Schnodahüpfl“, Gasselreime, geistliche Gesänge und Lieder mit den Inhalten: Erotik, Wildschießen, Alpenleben und Soldatenleben ein. Unterstützt durch die Kulturpolitik der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und am Vorbild der Napoleonischen Volksmusikumfrage entstand in den österreichischen Kronländern ab 1819 eine amtliche Volksmusiksammlung, die ihrerseits anregend auf die Überlieferung zurückwirkte. Joseph von Sonnleithner leitete 1819 im Rahmen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien eine große Umfrage bei Lehrern und Geistlichen aller Kronländer ein, die wegen der Karlsbader Beschlüsse gegen nationale und liberale Bestrebungen in Budapest erscheinen musste (Österreichische Volkslieder und ihre Singweisen). Der Salzburger Teil der Sonnleithner-Sammlung zeigt im Vergleich zur Sammlung Salzburgische Volkslieder mit ihren Singweisen von Vinzenz Maria Süß, 1865, einen raschen Wandel des Liedgutes auf. Süß zeichnete unzensiert und ungeschönt die Texte der Lieder und Gstanzeln noch vor Einführung des Musikunterrichtes in den Schulen auf. Dieser, eingeführt mit dem Reichsvolksschulgesetz von 1869, drängte mündliche Überlieferung neben Kirche und Orgel in den Hintergrund. Die Schule (Geige und Repertoireerweiterung) wurde zum wesentlichen Musikvermittler. Die systematische Volksmusikforschung und -pflege, ausgehend von Josef Pommer 1884, führte in wechselhafter Entwicklung zum heutigen Repertoire und der Institution Volksliedwerk. Für Salzburg sind besonders Otto Eberhard als Aufzeichner des Volksliedwerkes und die Familien Windhofer (der Vereins- und Musikgruppengründer (Georg Windhofer) und Dengg (der Aufzeichner Otto Dengg) als Pfleger und Ausführende zu nennen. Sepp Dengg, Lehrer, Chorleiter, Volksliedkomponist, begründete 1950 den Salzburger Volksliedchor, der seit 1968 von seinem Neffen Harald Dengg geleitet wird, weiters den Taxhamer Frauensingkreis neben anderen Volksliedchören sowie mit seinen Brüdern Adolf, Erich und Otto Dengg den bekannten Pongauer Viergesang. Diese Ensembles zählen auch zu den Säulen des Salzburger Adventsingens, dem sie lange eine typische Note gaben.

Eine besondere Prägung erlebte die Salzburger Volksmusik durch Tobias Reiser d. Ä., der durch seine auf der Tradition fußenden, aber seiner Zeit angepassten Kompositionen sowie durch die wirksame Verbreitung im Rahmen der Kulturpolitik des NS-Regimes die weitere Entwicklung nachhaltig beeinflusste (Chor von Landa Clauss-Ruprecht). Weiters begründete Reiser die konzertant bzw. im Wohnraum aufgeführte alpenländische Instrumentalmusik mit der Saitenmusik bzw. Stubenmusik (Ensemble mit Hackbrett – ab 1954 chromatisch gestimmt als Melodieführer, Zither, Gitarre und Kontrabass), die auch für andere Länder vorbildlich wurde. In diesen Entwicklungen spiegeln sich Identitätsbildungsprozesse, die bis heute prägend sind. Durch viele dieser Entwicklung entstammende Musikgruppen und Chorleiter entwickelte sich so seit den 1940er Jahren ein typischer Stil der Salzburger Volksmusik, der bis heute besteht und auf die benachbarten Bundesländer, auch über Wettbewerbe (u.a. Amselsingen), ausstrahlt. Mit den ärmeren Bevölkerungsschichten Salzburgs (Oberndorfer Schiffer und Schöffleute, Dürrnberger Bergleute u.a.) haben sich über die Heischegänge (Anglöckeln und Herbergssuchen) und die starke Verbreitung der Weihnachtskrippen im Lande auch viele Weihnachts- und Hirtenlieder erhalten. Mit der Schaffung des Adventsingens fanden diese als eine neue Art der Adventfeier weite Verbreitung.

Der in Österreich geprägte Stilbegriff der „alpenländischen Volksmusik“ (Vorherrschen von Dreiklangsmelodik im Dreiertakt mit großen Tonumfängen und reicher Mehrstimmigkeit in Abgrenzung zur allgemeineuropäischen Melodik) wird nur im süddeutsch-österreichischen Raum verwendet. Er charakterisiert weitgehend die vom Berner Oberland bis Slowenien verbreitete Ländler- und Jodlerkultur. Diese wurde aufgenommen und mitgeprägt von vielerlei Gruppen und Zeitströmungen unterschiedlichster Provenienz, wie z.B. von den Nationalsängern zu Beginn des 19. Jahrhunderts, den Stubenmusiken in Salzburg, Bayern und Westösterreich u.a. (Wolfgang Suppan). Dieser Stil zeigt vielfältige Facetten von traditionsgeprägter Innovation (z.B. Salzburger Stubenmusik, Salzburger Dreigesang, Volksliedchöre) bis zur kommerziellen Verflachung des musikalischen Erbes im Massentourismus (Tourismus). Auch der Volkstanz entstand in ständigem Wechselspiel zum Tanz reicherer Gesellschaftsgruppen.

Blasmusikkapelle Bischofshofen

Volksmusik ist sowohl als Begleitmusik (Lärm- und Musikinstrumente bei Perchtenumzügen, Ratschen als Klangkörper im Brauch der Kartage, Trommler und Pfeifer als Geleitformation etwa der Bergknappen) wie als Erhalt älterer Geleitmusikformen (Militär- und Gardemusik bis zum Barock) bis zur Ausbildung gegenwärtiger Marschmusik (mit den Blechmusikkapellen seit dem 19. Jahrhundert), als Tanzausführung (Fackeltanz, Volkstanz) wie als Lied (wobei ehrenvolle Ansinglieder, z.B. Hochzeitslader, Gratulationslieder, und spöttische Gstanzeln, z.B. Faschingsbriefe, sowie Heischelieder etwa bei den Anglöcklern) Bestandteil vieler Bräuche und Umzüge. Über Kuno Brandauer entstanden viele Veränderungen und (Er-) Neuerungen im Umkreis der Brauchtumsvereine bzw. der Kulturpolitik. Speziell in der NS-Zeit wurde die Volksmusik geschönt und mit einem ernsten Tenor bedacht, Doppelbödigkeiten, Witz und Ironie, die so typisch für einen großen Teil der Lieder waren, wurden als „artfremd“ verachtet. Damit gingen die sozialen Elemente der Rüge und Kontrolle und die Interaktion im Witz verloren.

In der traditionellen Ständegesellschaft waren die Musikstile der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen stärker differenziert als heute und dennoch in einem ständigen Austausch begriffen. So kam es zu sukzessiver Orientierung an den zeitgenössischen Entwicklungen. In den ärmeren Bevölkerungsschichten prägten Rufe (Vieh- und Almrufe über weite Entfernungen) und Lärminstrumente (Essensglocken und -klappern) sowie Arbeitslieder, die den Takt bei Gemeinschaftsarbeiten vorgaben (beim Dreschen, Mähen etc.), den Arbeitsalltag und die Klangökologie der Landschaften. Freizeit und Feierabend wurden u.a. durch Scherz- und Spottlieder (etwa die „Gstanzeln“, die beim Tanz und im Wirtshaus als gereimte Kleinform des Volkswitzes entstanden und mit Wortwitz und Situationskomik spielen) von ein- und zweideutiger Derbheit, oft voll von Sozialkritik, aber auch von Liedern zur Einübung der Normen, als Ausdruck der Gefühle, zur Schilderung des Alltags, geprägt. Oft erscheinen Lieder als psychisches und soziales Ventil, sie kritisieren die Verhältnisse, sie beziehen sich auf die empfundene Diskrepanz von Recht und Gerechtigkeit bzw. Bedürfnis und Realität. In ihnen werden heute noch Auseinandersetzungen ausgetragen, erotische Sehnsüchte artikuliert, sie enthalten Grobheiten, Zynismus und Situationskomik. Sie sind ein „Spiel hinter dem Spiel“, das die Realität gleichzeitig trifft und aufhebt. Daneben waren Instrumentalmusik (niemals als konzertante Vorführung, sondern immer nur als Begleitung einer Aktivität) und Tanz Mittel der Kommunikation. So zogen wandernde Musikanten in fixen Routen von Fest zu Fest. Für viele Musikanten war Musik auch Nebenerwerb zu Landwirtschaft, Klein- und Wandergewerbe. Das Repertoire der Musikanten wie Sänger war zeit-, anlass- und publikumsspezifisch.

Vom 19. Jahrhundert an entwickelten sich weite Teile der Volksmusik unter den bewertenden und auswählenden Einflüssen von Pflege- und Brauchtumsvereinen weiter und führten dennoch zu einer eigenständigen Aneignung. Andere Bereiche der Musik verschwanden seit dem 19. Jahrhunderts im Zuge der steten Veränderungen des Alltags- und Wirtschaftslebens. So ist auch im Bereich der Volksmusik seit dem 19. Jahrhundert eine Verschiebung vom Alltag in die Fest- und Freizeit, vom gemeinschaftlichen Tun zur Aufführung zu bemerken. Vielfach ist der gesamte Lebenszusammenhang einzelner Musikstücke heute nur mehr über Feldforschungsarbeiten zu dokumentieren. Durch Volksmusikpflege und Vereine kam es einerseits zur Ausbildung konservierender und perpetuierender geschlossener Systeme und andererseits zu breitenwirksamen Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten und damit zur Hebung des technischen und musikalischen Niveaus (Fortbildungswochen und Instrumentenbaukurse des Volksliedwerkes). Musikvermittlungsinitiativen in offener Geselligkeit (z.B. Musikantenstammtisch) und die Fortentwicklung der Traditionen mit den Mitteln und Stilen gegenwärtiger Musik (u.a. Lungauer Querschläger) versuchen dieser Stagnation heute entgegenzusteuern. Neben dem Genre „traditionelle Volksmusik im Umkreis der Pflege“, neben der von dieser als „volkstümlich“ bezeichneten kommerzialisierten Volksmusik zählen für die heutige Volkskunde alle Formen der gegenwärtigen gruppenspezifischen Musikstile, die von solchen Gruppen als „richtig“, „eigen“ und „authentisch“ empfunden werden, als Forschungsfeld.


Lit.:

  • G. Haid: Von der Volksmusik zum Evergreen. In: Volkskunde in Österreich, hg. v. O. Bockhorn, H. Eberhart. Wien 2001.
  • Dies.: Die Volksmusik der Alpen – ein differenziertes Bild. In: Kulturprotokoll zur Alpenkonvention. Innsbruck 2000.
  • Th. Hochradner: Salzburgische Volks-Lieder mit ihren Singweisen. Gesammelt von V. M. Süß, Salzburg 1865, Nachdruck mit Kommentaren. In: Salzburg Archiv 19, Salzburg 1995.
  • G. Noll (Hg.): Musikalische Volkskultur und die politische Macht (= Musikalische Volkskunde. Materalien und Analysen 11). Essen 1994.
  • Th. Hochradner: Bibliographie zur Volksmusik im Lande Salzburg. Salzburg 1990.

U.K.