Geschichtsschreibung

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
Wechseln zu: Navigation, Suche

Salzburg besitzt für die quellenarme Zeit des Frühmittelalters die bedeutendsten Werke der österreichischen Geschichtsschreibung (Historiografie). Schon der gelehrte Ire Virgil regte die älteste Salzburger Annalistik an. Auf ihn oder seinen Umkreis geht auch die älteste Fassung der Lebensbeschreibung des hl. Rupert, die nicht erhaltene Urvita, zurück. Um 749 verfasste Virgil eine Denkschrift über die Auseinandersetzung mit dem Bayernherzog um die Maximilianszelle in Bischofshofen und deren Ausstattungsgüter. Diese Aufzeichnung Virgils (Libellus Virgilii) bildet ein Kernstück der nach 798 angelegten Breves Notitiae.

Virgils Nachfolger Arn(o) ließ die ältesten erhaltenen Salzburger Annalen, die als primitive Form der Historiografie bis um 1400 fortgesetzt wurden, und ein Chronicon breve aufzeichnen. Er legte das älteste Salzburger Güterverzeichnis (Notitia Arnonis) an und hielt in den Breves Notitiae die Frühgeschichte Salzburgs einschließlich der Schenkungen an die Salzburger Kirche fest, um Salzburgs kirchlichen Vorrang zu dokumentieren.

Von ca. 793 stammt auch die älteste bekannte Fassung der Gesta Hrodberti, der Schilderung von Leben und Wirken des Salzburger Gründerheiligen Rupert. Dem Kreis um Erzbischof Liupramm (836–59) ist eine kurze hagiografische Schrift über die Überführung der Gebeine des hl. Hermetis nach Salzburg zu verdanken. Einen Höhepunkt der Salzburger Geschichtsschreibung stellt die Conversio Bagoariorum et Carantanorum, die Bekehrungsgeschichte der Bayern und Karantanen, dar. Diese Denkschrift auf urkundlicher und annalistischer Grundlage wurde um 870 in Salzburg verfasst, um im Streit mit dem Slawenapostel Methodius den Standpunkt der Salzburger Kirche und deren hervorragende Leistungen bei der Mission zu dokumentieren.

Als einzige genaue schriftliche Quelle zur Missionstätigkeit gehört die Conversio zu den beispielhaften Quellen des 9. Jahrhunderts. Politische Gründe führten im 10. Jahrhundert zu einem Niedergang der Salzburger Historiografie (die Vita Erzbischof Gebhards und die Leidensgeschichte Erzbischof Thiemos entstanden im steirischen Admont). Um 1170 verfasste ein Salzburger Domherr für Erzbischof Adalbert II. eine Denkschrift über die Kämpfe des Kaisers gegen die Alexandriner (Historia calamitatum ecclesiae Salisburgensis) und eine Beschreibung des Lebens Erzbischof Konrad I. von Abenbergs, die Vita Chunradi. Auch dessen Nachfolger Eberhard I. fand biografische Würdigung. Daneben entstanden im 12. Jahrhundert anspruchslose Schriften und Legenden.

Abgesehen von der routinemäßig weitergeführten Annalistik wurden erst wieder im 15. Jahrhundert mit einer späten Blüte der Universalgeschichte mit lokalem Einschlag (Salzburger Landeschroniken) hervorragende historiografische Leistungen erbracht. Neben einer anonymen Salzburger Weltchronik von ca. 1465 sind die großen Chroniken des Johann Serlinger und des Benediktiners Leonhard Tornator zu nennen, die ein treffendes Bild des Landes und seiner geistlichen Führung, besonders des Hoflebens, zeichnen.

Eine große Anzahl von Chroniken (Kleine Salzburger Chroniken) entstand im 16. Jahrhundert: Christoph Jordan wirkte als geschickter Kopist, und Virgil Reitgärtler, Johann Baptist Fickler und der erste Salzburger Buchdrucker Hans Baumann (1588) verfassten größere Chroniken. Nachdem 1519 erstmals in deutscher Sprache eine kleine Chronik von Salzburg in Druck erschienen war, brachte Wiguleus von Hundt mit seiner äußerst gründlichen Metropolis Salisburgensis das zweite gedruckte Geschichtswerk über Salzburg heraus. Daneben entstanden im 16. Jahrhundert auch zahlreiche kleinere Darstellungen einzelner Ereignisse oder bestimmter Orte in Salzburg, wie etwa die Beschreibung des Bauernaufstandes oder die Gasteiner Chronik von ca. 1540.

Der bedeutendste Salzburger Chronist des beginnenden 17. Jahrhunderts und zugleich der für eineinhalb Jahrhunderte letzte, der selbstständig geforscht und Selbsterlebtes berichtet hat, war Johann Stainhauser. 1666 ließ Franz Dückher von Hasslau mit seiner Saltzburgischen Chronica die erste umfangreiche deutschsprachige Landeschronik (mit Kupferstichansichten) drucken; sie fand große Verbreitung. Die Historia Salisburgensis der Brüder Mezger (1692) und die Chronik des Joseph Benigius Schlachtner bilden das Ende der Salzburger Landeschroniken. 1729 erschien Markus Hansiz’ zweiter Band der Germania Sacra, das erste im modernen Sinn wissenschaftlich bedeutende Geschichtswerk über Salzburg.

An der alten Benediktineruniversität, an der Geschichte schon im 17. Jahrhundert als Unterrichtsfach eingeführt worden war, entstand nach der gelehrten Arbeit der Gebrüder Mezger mit der mehrbändigen Chronik von Salzburg des Juristen Judas Thaddäus Zauner, fortgesetzt vom letzten Rektor der Universität, Corbinian Gärtner, eine weitere bedeutende Landesgeschichte (11 Bände, 1796–1826). Leitender erzbischöflicher Beamter war Franz Thaddäus von Kleimayrn, dessen grundlegendes Werk Juvavia (1784) sich durch umfangreiches verarbeitetes Quellenmaterial auszeichnet.

Die Aufhebung der Universität (1810) und das Ende der Eigenstaatlichkeit Salzburgs bedeuteten auch für das wissenschaftliche Leben einen schweren Rückschlag. In dieser Zeit verfasste Benedikt Pillwein seine historischen Arbeiten. Von außen angeregt, einem schon 1844 ausgesprochenen Wunsch Johann Friedrich Böhmers folgend, verfasste Andreas von Meiller, ein Mitarbeiter des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, seine Regesten zur Geschichte der Erzbischöfe von Salzburg 1106–1246 (1866).

Bald nach der Wiedererrichtung Salzburgs als selbstständiges Kronland gab es neue Impulse. Besondere Bedeutung kam dabei der Gründung der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 1860 zu, deren Mitteilungen sich zum wichtigsten Forum der Heimatforschung entwickelten. Treibende Kraft der Gesellschaft war der Salzburger Arzt Franz Valentin Zillner, dessen Hauptwerk, eine zweibändige Geschichte der Stadt Salzburg, für einzelne Bereiche der Stadtgeschichte bis heute grundlegend geblieben ist.

Umfangreiche, zusammenfassende Darstellungen zur Landesgeschichte verfassten der „vaterländische Geschichtsschreiber“ Georg Abdon Pichler (Salzburg’s Landes-Geschichte, 1865) sowie im Rahmen der Deutschen Ländergeschichten der Mittelschulprofessor Hans Widmann (3 Bände, 1907–14). Diese Werke konnten allerdings auf die wichtigsten quellenkritischen Editionen Salzburger Geschichtsquellen noch nicht zurückgreifen. Das von Willibald Hauthaler begonnene und von Franz Martin fortgesetzte Salzburger Urkundenbuch für die Zeit von 790 bis 1246 bzw. 1343 war mit dem 4. Band erst 1933 abgeschlossen. Martin ließ diesem Die Regesten der Erzbischöfe und des Domkapitels von Salzburg (3 Bände, 1928–34) und seine Salzburger Archivberichte (1944–48) folgen. Die Landesgeschichte war zur fast ausschließlichen Domäne der jeweiligen Landesarchivare (Franz Martin, Herbert Klein) geworden. Nach der (Wieder-)Errichtung der Universität kam 1964 das Historische Institut (heute Fachbereich Geschichte) als weitere tragende Säule hinzu.

Der Landesgeschichte widmete sich v.a. der Lehrstuhl für Österreichische Geschichte von Hans Wagner (gemeinsam mit Reinhard R. Heinisch, Heinz Dopsch und Hanns Haas), der Salzburger Zeitgeschichte der Lehrstuhl der ersten Salzburger Ordinaria, Erika Weinzierl (gemeinsam mit Ernst Hanisch, Rudolf Ardelt und Robert Hoffmann). Besonderer Förderung erfreuten sich Landesbewusstsein und Landesgeschichte durch Landeshauptmann Wilfried Haslauer d. Ä. (Landesausstellungen, Landessymposien sowie Publikationen des Landespressebüros).

Von 1984 bis 2011 bestand ein eigener Lehrstuhl für Vergleichende Landesgeschichte, dessen Inhaber Heinz Dopsch auch für die 1981–91 in acht Teilen erschienene Geschichte Salzburgs hauptverantwortlich zeichnete. Im Rahmen dieses Handbuches wurden viele Bereiche der Salzburger Landesgeschichte erstmals umfassend erarbeitet. Dopsch verfasste zusammen mit Robert Hoffmann die erste moderne Geschichte der Stadt Salzburg (1996 bzw. 2. Auflage 2008), er legte mit der fünfbändigen Geschichte von Berchtesgaden (1991–2001) die bislang umfassendste Spezialstudie für ein Land in den Ostalpen vor und wirkte durch seine rege außeruniversitäre Vortragstätigkeit als Multiplikator der Landesgeschichte. Durch die Vergabe von Dissertationen und Diplom- bzw. Masterarbeiten sowie von universitären Forschungsprojekten wurden wichtige Forschungslücken (z.B. in der Residenzenforschung, der Sozial-, Wirtschafts-, Alltags- und Kulturgeschichte u.a.m.) geschlossen.

Auch die Salzburger historischen Vereine und Forschungseinrichtungen, wie das Forschungsinstitut für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, publizieren Monografien und geben Zeitschriften heraus. Die Salzburger Archive veröffentlichen in ihren Reihen neue Forschungsergebnisse zur Geschichte des 19. bzw. 20. Jahrhunderts und der Zeitgeschichte (Provenienzforschung, Arisierung und Zwangsarbeit, Entnazifizierung etc.). Das Stadtarchiv Salzburg hat gemeinsam mit der Universität in einem mehrjährigen Projekt seit 2009 die Geschichte der Stadt Salzburg im Nationalsozialismus aufgearbeitet. Das 2007 gegründete Personenkomitee Stolpersteine dokumentiert auf der projekteigenen Homepage die Lebensgeschichten der Opfer der NS-Herrschaft in Salzburg.

Neue Forschungsansätze sind die Frauen- und Geschlechtergeschichte, vergleichende Regionalgeschichte, Mikrogeschichte und die Sichtbarmachung des Themas Migration in der Geschichte von Stadt und Land Salzburg.

Im Bereich der Regionalgeschichte hat sich der Schwerpunkt seit dem 19. Jahrhundert von Publikationen über die Salzburger Gaue (Ignaz von Kürsinger, Josef Dürlinger) auf die Orts- und Gemeindegeschichte verlagert. Seit 1985 werden im Salzburger Landesarchiv regelmäßig Ortschronistenseminare abgehalten. Den organisatorischen Rahmen dafür bildete der 1990 errichtete Arbeitskreis für Landesgeschichte am Salzburger Bildungswerk. Dieser wurde 1997 unter Landesarchivar Fritz Koller neu konstituiert und wird heute als Arbeitskreis Geschichte und Kultur unter dessen Nachfolger Oskar Dohle auch länderübergreifend gemeinsam mit der EuRegio fallweise in Bayern abgehalten. Bereits zur Jahrtausendwende verfügte beinahe jede Salzburger Gemeinde über ihre Ortschronik, zum Teil sind inzwischen auch die Zeitgeschichte entsprechend berücksichtigende Neuauflagen bzw. Neufassungen erschienen.

Lit.:

  • H. Dopsch: Landes- und Regionalgeschichte in Österreich. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 147/148 (2011/12), S. 7–30.
  • H. Dopsch: Heimatforschung in Salzburg. In: Forum Heimatforschung. H. 1. München 1996, S. 15ff.
  • H. Dopsch: Probleme der Landes- und Regionalgeschichte am Beispiel Salzburgs. In: H. Wolfram, W. Pohl (Hg.): Probleme der Geschichte Österreichs und ihrer Darstellung. Wien 1991, S. 193ff.
  • A. Jungreithmayr: Die deutschen Handschriften des Mittelalters der Universitätsbibliothek Salzburg. Wien 1988. – G. Hayer: Die deutschen Handschriften des Mittelalters der Erzabtei St. Peter zu Salzburg. Wien 1982.
  • R. Wagner: Salzburger Chronisten und Historiographen vom Ende des 15. bis zum Anfang des 18. Jh.s. In: F. Dückher: Saltzburgische Chronica 1666. Graz 1979, S. 30ff.
  • A. Mühlböck: Die Pflege der Geschichte an der alten Universität. Wien 1973.
  • A. Lhotsky: Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs. Graz 1963.
  • M.C. Trdán: Beiträge zur Kenntnis der salzburgischen Chronistik des 16. Jh.s. In: MGSLK 54, 1914, S. 135ff.
  • G. Scheibner: Beiträge zur salzburgischen Historiographie am Ausgange des Mittelalters. Salzburg 1911.

P.F.K.