Einleitung – Wissenschaft und Geschichte

Aus Salzburger Kulturlexikon 3.0
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Taschenuhrwerk, F.J. Nidermair

Die Kombination von Wissenschaft und Geschichte in einem Sachbereich des Salzburger Kulturlexikons ist ein Novum. Wohl standen auch pragmatische Erwägungen Pate bei dieser Neuformatierung. Und doch zeigt schon ein flüchtiger Blick zurück in die Salzburger Geschichte, wie im Wortsinne naheliegend das Verhältnis von Bildung, Wissenschaft und Geschichte als prägender Bestandteil des kulturellen Lebens in Stadt und Land Salzburg war und ist. Dies beginnt bei der langen Tradition regionaler Trägerinstitutionen von Bildung und Wissenschaft, deren nur einige wenige hier benannt seien: Die Schule zu St. Peter, die als älteste Schule in Salzburg auf den heiligen Rupert zurückgehen dürfte, die Domschule, die Ende des zehnten Jahrhunderts an ihre Seite trat, später dann 1617 das Gymnasium und vor allem die 1622 durch Erzbischof Paris Graf von Lodron (1586–1653) gegründete Benediktineruniversität, die bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1810 einen wichtigen Hort von Wissenschaft und Gelehrsamkeit bildete und an der Persönlichkeiten wie der Prediger und Dichter Abraham a Sancta Clara (1644–1709), der Chronist und Dramatiker Simon Rettenbacher (1634–1706), Johann Andreas von Liebenberg (1627–1683), Wiener Bürgermeister während der zweiten Türkenbelagerung, oder der Pädagoge und Schriftsteller Franz Michael Vierthaler (1758–1827) studierten. Sie war Zentrum aufklärerischer Reformanliegen unter Erzbischof Hieronymus Graf Colloredo (1732–1812). Und auch die langen Bemühungen um eine Wieder- bzw. Neugründung einer Universität in Salzburg – sie sollten erst im Jahre 1962 Früchte tragen – sind wesentlicher Teil der Salzburger Geschichte. Heute (2020/21) besuchen 33.497 Studierende die Hochschulen im Land Salzburg. An die Seite der Universität sind u.a. die Universität Mozarteum Salzburg, die Paracelsus Medizinische Privatuniversität, die Pädagogische Hochschule, die Fachhochschule Salzburg und die Privatuniversität Schloss Seeburg (Seekirchen) getreten. Auch das Primar- und Sekundarschulwesen des Landes – im Schuljahr 2018/19 besuchten 77.143 Schülerinnen und Schüler die öffentlichen und privaten Schulen und Akademien Salzburgs – ist in hohem Maße ausdifferenziert.

Nicht weniger ausdifferenziert präsentiert sich die Salzburger Geschichtsschreibung in ihrer langen Tradition von den Breves Notitiae des achten Jahrhunderts bis zur umfassenden Landesgeschichte, die Heinz Dopsch und Helmut Spatzenegger zwischen 1981 und 1991 in mehreren Teilbänden publizierten. Das Kulturlexikon würdigt auch die Bedeutung derjenigen Institutionen, die Forschung zur Salzburger Geschichte fördern und organisieren. Es liegt nahe, dabei an die Universität Salzburg zu denken, die seit über fünfzig Jahren einen geschichtswissenschaftlichen Fachbereich besitzt, der wichtige Forschungsleistungen zur Salzburger Geschichte hervorgebracht hat und weiter hervorbringt. Zu denken ist hier aber auch an Institutionen wie die bereits 1860 gegründete Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, deren Bedeutung für die Salzburg-Historiografie ermessen mag, wer sieht, wie viele der Artikel dieses Lexikons zu historischen Persönlichkeiten oder Sachverhalten auf Literatur verweisen, die in den Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde erschienen ist.

Man denke aber etwa auch an den Verein der Freunde der Salzburger Geschichte, der seit 2001 in Zusammenarbeit mit dem Salzburger Stadtarchiv die Salzburg-Bibliographie herausgibt, ein jahresaktuelles Verzeichnis von Neuerscheinungen zu Geschichte und Kultur Salzburgs. Den Archiven, Bibliotheken und Sammlungen von Land, Kommunen und kirchlichen Trägern kommt herausragende Bedeutung zu. Sie bergen nicht nur die historischen Quellenbestände und damit die Grundlage geschichtswissenschaftlicher Arbeit. Sie selbst treten auch als institutionelle Initiatoren bzw. Organisatoren der Erforschung ihrer Überlieferung in Erscheinung, indem sie Forschungsprojekte durchführen, Fachtagungen veranstalten und Forschungsergebnisse in eigenen Publikationsorganen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Auch hier mag ein prominentes jüngeres Beispiel genügen: Das vom Stadtarchiv initiierte und koordinierte Projekt Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus definiert in mittlerweile sieben erschienenen Bänden den Forschungsstand zu diesem ebenso wichtigen wie zuvor unterforschten historiografischen Thema.

Die Beschäftigung mit Wissenschaft als Bestandteil kulturellen Lebens in Salzburg lenkt den Blick auch auf Institutionen der musealen Wissensvermittlung. Pars pro toto sei hier das Haus der Natur erwähnt, das, 1924 als Museum für darstellende und angewandte Naturkunde gegründet, sich bis heute äußerst erfolgreich als Kompetenzzentrum für naturwissenschaftliche Bildung positioniert und entwickelt hat und das 2018 auf dem Haunsberg die modernste und leistungsstärkste Besuchersternwarte Mitteleuropas eröffnete. Der Griff nach den Sternen hindert das Haus nicht daran, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben, und dazu gehörte auch, die eigene institutionelle Geschichte kritisch zu reflektieren.

Wissenschaft in Salzburg – das bedeutet auch die Würdigung von wichtigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die aus Salzburg stammen oder die hier ihre Spuren hinterlassen haben. Auch wenn es anachronistisch wäre, an das 16. Jahrhundert einen modernen Wissenschaftsbegriff anzulegen, wird einem auf der Suche nach prominenten Beispielen umgehend Paracelsus (Theophrast von Hohenheim, 1493–1541) in den Sinn kommen, der in Salzburg lebte, wirkte und starb. Mit Christian Andreas Doppler (1803–1853) wurde einer der bedeutendsten Physiker überhaupt in Salzburg geboren. Die Astronomin und Astrophysikerin Lisa Kaltenegger (*1977) stammt aus Kuchl. Für die wissenschaftlichen Lebenswege von Albert Einstein (1879–1955) und Sigmund Freud (1856–1939) bildeten Fachtagungen in Salzburg wichtige Wegmarken. Die historische Beschäftigung mit den Spuren großer Forscherpersönlichkeiten in Salzburg führt gleichwohl auch zur Revision von Liebgewonnenem. So legt es die aktuelle Forschung nahe, dass der weitgereiste Naturforscher Alexander von Humboldt (1769–1859) seinen viel zitierten und variierten Ausspruch, wonach die Salzburger Gegend an Schönheit gemeinsam mit den Gegenden von Neapel und Constantinopel zu den schönsten der Welt gehöre, wohl so nie getätigt hat.

Revisionsbedarf, wie er an diesem Beispiel im anekdotischen Detail sichtbar wird, verweist auf einer allgemeineren Ebene darauf, dass Geschichte als Teil eines zeitlichen Kontinuums nie abgeschlossen ist. Selbiges gilt für ihre Erforschung. Die Aktualisierung des Forschungsstandes schlägt sich auch in der vorliegenden Auflage des Salzburger Kulturlexikons nieder: Den jüngeren zeithistorischen Forschungsergebnissen Rechnung tragend, spielt die Zeit des Nationalsozialismus eine größere Rolle. Dies führt auch dazu, dass das biografische Porträt mancher Persönlichkeit ambivalenter ausfällt als bisher. Auch erhalten manche Themen breiteren Raum als zuvor, etwa die Geschichte des jüdischen Lebens in Salzburg oder der für das Land kulturell so prägende wie sozioökonomisch bedeutende Tourismus. Ebenfalls dem aktuellen geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand entspricht, dass wir in der Überarbeitung und Neuanlage von Lemmata von einem weiten Kulturbegriff ausgegangen sind.

Kultur, so bringt es der Historiker Achim Landwehr auf den Punkt, sei „nicht als zusätzliches Luxusgut oder als sekundärer Überbau misszuverstehen, sondern stellt für den Menschen eine Überlebensnotwendigkeit dar“. Dementsprechend findet etwa die Geschichte von Bädern, Spitälern oder Gasthäusern ganz selbstverständlich ihren Platz in diesem Lexikon. Nicht selten wurde die Arbeit an den entsprechenden Lemmata über die Grenzen der zuständigen Bereiche hinweg koordiniert. Dass bei alledem manche historische Persönlichkeit oder manches Thema, das sich die Eine oder der Andere in diesem Lexikon erwartet haben mag, fehlt, liegt in der Natur der Sache. Gerade aus der Sicht der beiden Bereichsleiter Wissenschaft und Geschichte, ihres Zeichens Historiker von Profession, ist der Hinweis auf die Unabgeschlossenheit des historischen Prozesses und die damit einhergehende Aktualisierungsbedürftigkeit von Wissen ein gutes Argument für die Schaffung eines digitalen Lexikonformats. Möge das nun vorliegende digitale „Salzburger Kulturlexikon 3.0 – Onlineversion“ - wie schon zuvor die drei Druckauflagen – ein verlässlicher Begleiter und ein informatives Nachschlagewerk für Spaziergänge durch Wissenschaft und Geschichte Salzburgs sein.


Martin Knoll, Reinhold Reith